- Renten
Renten, Wachstum und Nachhaltigkeit: (wie) passt das zusammen?
Unser Rentensystem ist darauf ausgerichtet, dass wir als Volkswirtschaft wachsen. Denn um die aktuellen Renten zu finanzieren, sind wir auf Sozialbeiträge der arbeitenden Menschen angewiesen. Ein sogenanntes „Umlageverfahren“ also: diejenigen, die heute arbeiten, finanzieren mit ihren Sozialabgaben die Renten derjenigen, die heute nicht mehr arbeiten. Im Gegenzug erhalten die heutigen Beschäftigten mit ihren Einzahlungen in das Sozialsystem ein Grundrecht auf eine spätere Rente, die wiederum von den nachkommenden Generationen auf dem Arbeitsmarkt finanziert werden soll.
Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass bis 2070 aufgrund des demographischen Wandels die Zahl der Menschen, die in Rente gehen, viel schneller steigen wird als die Zahl der arbeitenden Menschen. Damit die Renten trotzdem weiterhin finanziert werden können, müssen also entweder die Löhne steigen, damit auch höhere Sozialabgaben generiert werden können, oder es müssen mehr Menschen in Luxemburg arbeiten. Unsere Wirtschaft muss also immer weiterwachsen.
Das Problem: Wirtschaftswachstum ist nicht nachhaltig. Zumindest nicht, wenn wir so weiterwachsen wie bisher. Denn möglich war dieses Wachstum nur dadurch, dass wir immer neue (und meist nicht-regenerative) Rohstoffe abbauen und verbrauchen. Hinzu kommen die damit verbundenen hohen Treibhausgasemissionen, welche die Klimakrise weiter befeuern. Ausgehend von dem für das aktuelle Rentensystem benötigten exponentiellen Wirtschaftswachstum gibt es gleich mehrere Faktoren, die sich negativ auf unseren Ressourcenverbrauch, Biodiversität und Klima auswirken.
Mobilität
Wer sich werktags in Luxemburg mit dem Auto auf den Weg zur Arbeit macht, weiß: viel mehr neue Arbeitsplätze können unsere Straßen nicht mehr tragen. Das luxemburgische Ministerium für Mobilität hat sich 2022 mit einem „Plan national de mobilité“ zwar zum Ziel gesetzt, den Prozentsatz von sanften und nachhaltigen Mobilitätsformen bis 2035 stark zu erhöhen, um ein solches Wirtschaftswachstum nachhaltiger zu gestalten. Trotzdem würde die absolute Zahl an Autos auf den Straßen weiter steigen und den Ausbau der Infrastruktur unabdingbar machen.

Dabei ist der Transportsektor (trotz leichtem Rückgang in den vergangenen Jahren) noch immer für rund 60 Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.1 Damit steckt unglaublich viel Potenzial in diesem Sektor, um Luxemburg on track für die Klima- und Biodiversitätsziele zu setzen. Neben dem Ausbau von Bus, Tram, Fahrradinfrastruktur, Carsharing und Elektromobilität könnten die Möglichkeiten von flexibleren Arbeitszeiten, Home Office oder Pendlerbüros in der Grenzregion die negativen Auswirkungen des Wachstums zum Teil abfedern.
Landesplanung
Die steigende Anzahl von Arbeitsplätzen in Luxemburg zieht auch den Bau von neuen Wohnungen, öffentlichen Einrichtungen, Firmenkomplexen und den (Aus-)bau von Infrastrukturen mit sich. Eine ziemliche Herausforderung angesichts der Tatsache, dass Luxemburg nach Malta flächenmäßig das kleinste Land innerhalb der EU ist.Trotzdemwird hierzulande jährlich eine Fläche von rund 240 Fußballfeldern verbaut.2 Die Versiegelung, welche durch das Wirtschaftswachstum angekurbelt wird, erhöht das Risiko für Überschwemmungen und übermäßige Hitze, steht in direkter Konkurrenz mit flächenintensiven Sektoren wie der Landwirtschaft, setzt unsere Wasserressourcen unter Druck und trägt nicht zuletzt zum Verlust von natürlichen Räumen und der Artenvielfalt bei.
Dass die vollständige Entkopplung von Wachstum und Ressourcenver-brauch gelingt, bezweifelte der Club of Rome bereits vor mehr als 50 Jahren in seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“.
Das Programme directeur de l’aménagement du territoire (PDAT), welches 2023 veröffentlicht wurde und den Leitrahmen für die nationale Raumplanung bis 2035 setzen soll, sieht deshalb Maßnahmen vor, die zur Verringerung des Flächenverbrauchs beitragen sollen. Ein zaghafter erster Schritt, wissend, dass auf EU-Ebene bereits seit einigen Jahren das Ziel des Netto-Null-Flächenverbrauchs bis 2050 entschieden wurde. Das PDAT setzt insbesondere auf kommunale, regionale und grenzübergreifende Zusammenarbeit, festgelegte Grenzwerte für den Flächenverbrauch sowie die Schaffung von zentralen Hotspots der räumlichen Entwicklung. Entscheidend in der Wachstumsfrage ist darüber hinaus, welche Arbeitsplätze hier in Luxemburg geschaffen werden und wie ressourcenintensiv die Unternehmen sind, die sich hier ansiedeln.
Materialverbrauch
Ausgehend davon, dass wir für das benötigte Wirtschaftswachstum entweder neue Arbeitsplätze in ressourcenintensiven Sektoren schaffen (wie z. B. im Bau-, Textil-, oder Elektroniksektor), oder durch höhere Löhne den Konsum ankurbeln, wird dieses Wachstum auch Haupttreiber unserer Nutzung natürlicher Rohstoffe bleiben. Bereits heute sind in der EU mehr als 90 % des Verlusts der Biodiversität und der Wasserknappheit auf die Rohstoffgewinnung und -verarbeitung zurückzuführen.3
In Luxemburg war in den vergangenen Jahren eine Strukturverschiebung weg von ressourcenintensiven Industrien hin zum Dienstleistungssektor zu beobachten, wofür das neue Banken- und Finanzviertel Kirchberg sinnbildlicher nicht stehen könnte. Heute gilt Luxemburg als europäisches Zentrum globaler Finanzdienstleistungen, wodurch das Wirtschaftswachstum hierzulande vom damit verbundenen Ressourcenverbrauch teilweise entkoppelt werden konnte. Auch der Einsatz verbesserter Produktionsmethoden und technologischer Innovationen sowie die Bemühungen auf politischer Ebene zur Förderung der Kreislaufwirtschaft (beispielsweise die Strategie „Null Offall Lëtzebuerg“) haben dazu beigetragen.4
Dass die Produktivität ohne Umweltkosten mittels sogenannter Künstlicher Intelligenz gesteigert werden kann, ist jedoch unwahrscheinlich: Die Ausführung computergestützter Programme benötigt große Mengen an Energie und Kühlwasser.
Ist „grünes Wachstum“ die Lösung?
Wachstum kommt also niemals allein, sondern ist an die Emission von Treibhausgasen und den Abbau/ die Nutzung von natürlichen Ressourcen gebunden. Als nachhaltiger Lösungsansatz wird dabei oft sogenanntes „grünes Wachstum“ (auf englisch green growth) genannt. Durch grünes Wachstum soll es den Volkswirtschaften durch eine Entkopplung der Treibhausgasemissionen und des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum gelingen, weiter zu wachsen, ohne dabei Umwelt- und Klimaschäden zu verursachen.

Tatsächlich können bestimmte gesellschaftspolitische Entwicklungen dazu führen, dass die Anzahl unserer Treibhausgasemissionen weniger stark durch das Wirtschaftswachstum beeinflusst wird. Beispiele für eine solche Entkopplung in Luxemburg sind die zuvor genannte verstärkte Ausrichtung auf den Dienstleistungssektor oder noch die Ausweitung der Home-Office-Regelungen während der Covid-Pandemie. Ob eine teilweise Entkopplung reicht, um unsere planetaren Grenzen trotz Wachstum nicht zu überschreiten, ist allerdings besonders auf politischer Ebene umstritten. Kein Wunder, würde eine vollständige Entkopplung doch tiefgreifende und nicht unbedingt sehr beliebte politische Maßnahmen erfordern. Fakt ist allerdings, dass die Reduktion des CO2-Verbrauchs in absoluten Zahlen unbedingt notwendig ist, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Dass die vollständige Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch gelingt, bezweifelte der Club of Rome bereits vor mehr als 50 Jahren in seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Auch in Luxemburg haben zivilgesellschaftliche Organisationen wie der Mouvement écologique oder der Nachhaltigkeitsrat anlässlich des diesjährigen nationalen Overshoot Days am 20. Februar (nur in Katar lebt man noch früher „auf Pump“) erneut die „Wachstumsfrage“ gestellt. Ihre Forderung einer gesellschaftlichen Debatte über eine Reform des Rentensystems begründen sie damit, dass „auch unbegrenztes ‚grünes Wachstum‘ auf einem endlichen Planeten nicht möglich ist“5 und dass wir nicht auf solch grünes Wachstum setzen können, um ein Rentensystem zu schaffen, welches im Einklang mit unseren Nachhaltigkeits-, Klima- und Biodiversitätszielen steht.
Tanja Duprez hat einen Masterabschluss in der Politikwissenschaft und ist aktuell für die Koordinierung der Jugendgruppe move. beim Mouvement écologique zuständig.
1 Portail de l’environnement (Juli 2023) : Bilan provisoire des émissions de gaz à effet de serre 2022.
2 Portail de l’aménagement du territoire (Juli 2023): Liewensqualitéit erhalen fir haut a fir muer. Den neien PDAT.
3 Europäische Kommission (Dezember 2019): Nachhaltige Industrie. Der Europäische Grüne Deal.
4 WIFO (November 2023): Befunde zur finanziellen Nachhaltigkeit des luxemburgischen Pensionssystems.
5 Mouvement écologique (Februar 2024): Die finanzielle Abhängigkeit des Pensionssystems vom steten Wachstumszwang hinterfragen!
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