Von Sprachen, Geld und großen Nachbarn

Einige Gedanken zum Literaturbetrieb im Kleinstaat Luxemburg

„Deen hei am Land Bicher schreiwt, as schlëmmer drun ewéi een, deen Hämmelskoteletten oder Calçonge feel huet.“ Dieses deprimierende Zitat stammt aus einer Rede Batty Webers, die er 1937 bei der „Semaine du Livre Luxembourgeois“ gehalten hat.1 Die Stoßrichtung, die es hinsichtlich des luxemburgischen Literaturbetriebs nimmt, lässt sich bis heute, wenn man sich nur den Kasten mit unserer kleinen Umfrage ansieht (siehe S. 56), so auf den Punkt bringen: It’s the economy, stupid!

Sicher, Autor*innen haben und hatten es überall auf der Welt schwer, von ihrer Arbeit zu leben. Kaum ein Autor der legendären 1947 begründeten Gruppe 47, die in der Bundesrepublik bis zu ihrer Trennung im Jahre 1967 die literarische Deutungshoheit gewonnen hatte, konnte allein von den Einnahmen aus dem Bücherverkauf leben. Das gilt bis heute: Im deutschen Raum zählt eine Auflage von 15.000 Exemplaren bereits als Spitzentitel. Dass damit – bei einem Honorar von 5 bis 12 Prozent vom Nettoladenpreis – kein Haus zu kaufen, ja nicht einmal eine Wohnung zu mieten ist, versteht sich von selbst.

Aber, das muss man zugeben, in Luxemburg stellt sich der ökonomische Aspekt noch einmal dramatischer dar als in den Nachbarländern. Bei einer Veranstaltung im Merscher CNL hat Claude D. Conter erst Mitte vergangenen Monats darauf aufmerksam gemacht. « La littérature reste le parent pauvre de la culture et de la politique culturelle ».2 Das berührt freilich einen wunden Punkt im luxemburgischen Kulturleben: den der Verteilung des Kulturbudgets auf die unterschiedlichen Sektoren. Und da steht die Literatur nun einmal ganz hinten – weit hinter Film, Kunst und Musik (wobei die Rechnung, dass mehr Subvention automatisch zu höheren Absatzzahlen führte, wohl nicht aufgehen kann). Dennoch: Was die Literaturszene in Luxemburg benötigt, ist internationale Sichtbarkeit. Und da war es dann besonders hart, als Anfang 2018 der Schwerpunkt des ersten Buchmesseauftritts Luxemburgs in Frankfurt am Main nach fünfjähriger Abwesenheit bekannt gegeben wurde. Dass der Film im Zentrum stand3, war für viele literarische Autor*innen im Großherzogtum sicherlich ein Schlag ins Gesicht. Aber lassen wir das Monetäre und die Konkurrenz innerhalb der Kulturszene für einen Moment beiseite und fragen: Wodurch ist die hiesige Literaturszene noch gekennzeichnet?

Ein, zwei, drei, vier, viele Sprachen

„Wir wussten bald schon, dass Deutsch und Französisch sehr unterschiedliche, aber große Sprachen waren, die man unbedingt lernen musste. Was aber war mit den Worten, mit/in denen wir aufgewachsen waren?“4 So fragt Nico Helminger in einer schönen Skizze aus dem Jahr 2014. Die Frage nach der Sprachwahl stellt sich wohl in keinem anderen Land der Welt so eklatant wie in Luxemburg. Natürlich gibt es auch hiesige Schriftsteller*innen, die sich die Frage nicht stellen, weil sie per se eine bevorzugte Sprache haben. So Elise Schmit (siehe Kasten) oder auch Nathalie Ronvaux. Andere, wie rezent Samuel Hamen, schreiben in verschiedenen Sprachen: Seinen ersten Prosa-Band verfasste er auf Luxemburgisch, seine Literaturkritiken schreibt er auf Deutsch. „Man atmet anders im Luxemburgischen“, findet er. Guy Rewenig, der die ersten 10 Jahre seines literarischen Schaffens nur auf Deutsch und Luxemburgisch geschrieben hatte, veröffentlichte 1978 plötzlich einen Gedichtband auf Französisch. Und Anise Koltz entschied sich aus persönlichen Gründen dafür, nicht mehr auf Deutsch zu schreiben, nachdem ihr Ehemann 1971 an den Spätfolgen der Misshandlungen während des Zweiten Weltkrieges gestorben war.5

Mehrsprachigkeit bedeutet aber auch Vorteile für Autor*innen, die ausschließlich in einer Sprache schreiben. Die frankophone, belgischstämmige luxemburgische Autorin Nathalie Ronvaux liebt den Multilingualismus in ihrem Land und sieht ihn als Chance: « C’est une réelle chance et richesse que nous avons dans ce pays, réinventer et bâtardiser, s’approprier pour créer! » Und Jeff Schinker führt in seiner neusten bei Hydre erschienenen Prosa-Publikation Sabotage vor, was man mit dieser Mehrsprachigkeit literarisch anstellen kann, indem er permanent zwischen Luxemburgisch, Englisch, Deutsch und Französisch wechselt.

Überhaupt das Englische: Es hat sich mittlerweile fast zur vierten Landessprache entwickelt, auch in der Literatur. Im aktuellen Jahrbuch des CNL sind beinahe alle aufgenommenen literarischen Texte in englischer Sprache geschrieben.6 Und vermutlich entstehen, während diese Zeilen geschrieben werden, literarische Texte im Großherzogtum in weiteren Sprachen. Samuel Hamen weist im Kasten auf unsere bornierte Fixierung auf die Dreisprachigkeit hin.

In der Vielsprachigkeit steckt der Kern eines enormen, wie die Werbetexter sagen würden, Alleinstellungsmerkmals der luxemburgischen Literatur: Das Spiel mit den Sprachen ist auf dem hiesigen Literaturmarkt viel eher möglich als in anderen Ländern, wo sich die Verlage noch immer schwer tun mit fremdsprachigen Passagen in Büchern. Die Mehrsprachigkeit ist die Chance für die Rezeption der luxemburgischen Literatur auch jenseits der Landesgrenzen.

Eine gute Infrastruktur

Die Infrastruktur zur weiteren Entwicklung des Literaturbetriebs sieht zudem sehr gut aus. Es gibt (mittlerweile) ein relativ differenziertes Verlagswesen, das sich auf luxemburgische Literatur in den verschiedenen Sprachen spezialisiert hat. Zudem gibt es zunehmend Übersetzungen ins Luxemburgische (etwa Dem Greg säin Tagebuch oder Felicitas Hoppes Vu Wëlwerwolz op Kalkutta bei capybara). Es gibt ein ausgebildetes Konsekrationssystem (Bourdieu), das Preise vergibt und damit das symbolische Kapital bestim­mter Autor*innen erhöht. Es gibt Literaturkritik in den Tageszeitungen und im Radio (eine Literatursendung im Fernsehen fehlt hingegen). Und es gibt ein (für einen Kleinstaat) sehr hohes Angebot an Lesungen und Debatten. Seit drei Jahren gibt es zwar keinen Schriftstellerverband mehr (schlimm genug), aber es gibt die Lëtzebuerger Bicherediteuren (zumindest das). Eigentlich also sind die infrastrukturellen Voraussetzungen m.E. gut für die luxemburgische Literatur. Ein großes Problem aber ist die Position des Landes zwischen seinen großen Nachbarn.

Nathalie Ronvaux umschreibt das so: « Déduisons les personnes qui préfèrent lire les écrivains des maisons d’éditions réputées chez nos grands voisins. Combien de lecteurs resteraient-il? » Und tatsächlich: Die Luxemburger*innen lesen französische, deutsche, englische Autor*innen im Original, Literatur in anderen Sprachen in deutschen oder französischen Übersetzungen. Da bleibt nicht viel Luft und Zeit für die luxemburgische Literatur. Samuel Hamen thematisiert die Absorbierungskräfte der beiden großen Nachbarn (siehe Kasten).

Kennen, klüngeln, kooperieren

Ein anderes Problem, das mit der kleinen Größe zu tun hat, sind die „Ämterhäufungen“, die wir auch in der Literaturszene beobachten können. Jeff Schinker schrieb dazu im November 2017 im Tageblatt: „In Luxemburg ist man schnell zugleich Forscher, Kritiker, Jurymitglied, Journalist, Autor, Mitglied eines Verwaltungsrats – und Bekannter der Personen, deren Werke man besprechen soll. (Dies bezieht sich teilweise auch auf den Verfasser dieser Zeilen.) (…) Hat man das Werk schlecht gefunden, vermutet der Leser Rivalitäten, lobt man es, praktiziert man Vetternwirtschaft.“7

Elise Schmit hingegen (siehe Kasten) bezweifelt, dass Klüngelei ein typisch luxemburgisches Phänomen sei. Und da ist was dran: Schaue man sich doch nur einmal die Shortlist (eine Longlist gibt es hier nie) des Buchpreises der Leipziger Buchmesse im Bereich Sachbuch für das Jahr 2019 an. Vorsitzender der Jury war SZ-Redakteur Jens Bisky. Und von fünf Nominierten waren zwei Autoren Zeitungskollegen des Jury-Präsidenten (einer von ihnen, Harald Jähner, bekam den Preis für das beste Sachbuch). Bei dem riesigen deutschen Buchmarkt wäre das vielen Leser*innen vielleicht gar nicht aufgefallen, wenn nicht die taz das Ganze als „(b)erserkerhaftes Buddy-Business“ geoutet hätte.8 In Luxemburg, so könnte man Schinker entgegenhalten, wo die Szene so klein ist, wissen eigentlich alle, wer wen kennt, und so kann man, wenn man klüngelt, das zumindest nicht im Geheimen tun. Indes, wo das gegenseitige persönliche Kennen im Inland zu positiven Effekten führen kann, wird es problematisch, wenn man auf die Kenntnis (und Anerkennung) der luxemburgischen Literatur im Ausland blickt.

Que faire ?

Da der hiesige Absatzmarkt so klein ist, scheint mir die internationale Vermarktung der luxemburgischen Literatur von immenser, ja, existentieller Bedeutung zu sein. Wenn man es als Ziel ansetzt, dass luxemburgische Autor*innen von ihrem Schreiben leben können, dann muss ihre Produktion auch außerhalb des Großherzogtums wahrgenommen und gekauft werden. Was es also braucht, ist eine wirkliche Vermarktung ins Ausland. Der Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse, von Anina Valle Thiele 2018 meisterhaft gestemmt, vom Kulturministerium in Formalitäten erstickt, kann trotzdem nur ein Anfang sein. Zu hoffen bleibt, dass man sich traut, 2019, nun unter Ministerin Sam Tanson und dem Ersten Regierungsrat Jo Kox, die beide mehr Expertise und Leidenschaft für die Sache mitbringen als das Duo Bettel/Arendt, das in den Fokus zu rücken, um was es geht: die Literatur, ihre Verleger*innen und Autor*innen. Es kann nicht darum gehen, mit den Büchermenschen nation-branding zu betreiben: Es muss darum gehen, dem hiesigen Literaturbetrieb Kontakt zu internationalen Verlagen zu ermöglichen und Übersetzungslizenzen zu vergeben. Ein Lizenzkatalog mit nur 13 (!) Büchern und ein seelenloser Stand mit Flat-Screen machen noch keinen Vertragsabschluss. Das Ministerium muss rechtzeitig (also jetzt!) Ausschau halten nach fach- und sachkundigen Beratern. Vielleicht sollte man die Expertise des CNL und seines Teams, das am laufenden Band die schönsten Ausstellungen und Kataloge auf den Markt wirft, noch stärker einbinden als 2018. Auch die Zusammenarbeit mit internationalen Agent*innen, bereits im letzten Jahr angestoßen, sollte fortgeführt werden.

Auch unabhängig von der Messe gilt es zu internationalisieren. Systematische Übersetzungen ins Englische und internationale Lesereisen, so betont Nathalie Ronvaux, seien von besonderer Bedeutung. Ferner wäre es wünschenswert, auch internationale Begegnungen in Luxemburg, wie es sie jetzt schon etwa am Institut Pierre Werner gibt, auszubauen. Auch mit Geld. Gespannt dürfen wir auf die Konkretisierungen zum Arts Council sein. Letztendlich ist noch immer nicht klar, wie es aufgestellt sein wird: Weder, welche Sparten dort vertreten sein werden, noch, mit welchem Budget die dort vertretenen ausgestattet sein werden, und schon gar nicht, wer die Fachleute sein werden (und welche Fachleute diese Fachleute bestimmen werden), die über die diversen Zuwendungen entscheiden werden.9 « Une réelle volonté politique », so Ronvaux, sei nötig. Aber nicht nur das. Auch die Büchermenschen selbst sind gefragt. Nochmal Ronvaux: « Il faudrait plus de dialogue entre les acteurs de la chaîne du livre pour comprendre les contraintes, limites et envies de tous en vue de réfléchir à une stratégie dans sa globalité (à noter aussi que les écrivains n’ont actuellement pas de groupement et donc pas de levier lobby). »

Was ist die Rolle der Literatur?

Alles in allem kommt aber ein weiterer Punkt zu kurz, den die luxemburgischen Autor*innen selbst anstoßen müssten. Die Internationalität im Land, in der das Eigene und das Fremde tagtäglich aufeinandertreffen oder idealiter überhaupt nicht mehr als Eigenes und Fremdes wahrgenommen werden, könnte Luxemburg zum Exempel machen. Über 170 Nationalitäten sind im kleinen Großherzogtum versammelt. Daraus lassen sich doch Funken schlagen. Luxemburg hat, das schrieb Germaine Goetzinger schon vor 15 Jahren, mit seinem „starken Spannungsverhältnis von Identität und Differenz (…) in gewisser Weise Modellcharakter für Literatur in einer zunehmend sich öffnenden und nomadisierenden Welt“.10 Diesen Modellcharakter sollte man ausspielen. Dazu aber bräuchte es mal eine Debatte, in der es sich bei aller berechtigten und für viele Autor*innen existentiell bedrohlichen Sorge nicht um Geld, sondern um Inhalte dreht.

Was will, kann, soll Literatur? Was ist die Rolle der Schriftsteller*innen in der Gesellschaft? Diese Debatten, in den sechziger und siebziger Jahren nicht nur in Deutschland und Frankreich geführt, gab es auch in Luxemburg.11 Diese Fragen gehören erneut auf die Tagesordnung. Luxemburg könnte zum Exempel werden, wenn es diese Fragen stellen würde. Denn im Sartre-Land und im Land der Gruppe 47 werden diese Fragen schon lange nicht mehr gestellt. Wartet man im Westen bloß auf den nächsten Houellebecq, und diskutiert man im Osten wochenlang einen literarisch mediokren und als politisch gefährlich skandalisierten Roman über Stella Goldschlag, finden auch dort und dort keine wirklichen Debatten mehr über das, was Literatur kann und soll, statt. Luxemburg könnte Vorreiter werden, indem es vor dem Hintergrund seiner so zeitgemäßen Bevölkerungsstruktur, einer nomadisierenden Welt, wie Goetzinger formuliert, die wirklich relevanten Fragen auch in literarischen Debatten thematisieren würde.

Ein Traum wäre ein Messeauftritt, in dem nicht das Land, sondern eine gesellschaftlich relevante Literatur aus dem Land im Mittelpunkt stünde. Da aber ist nicht nur das Geld aus den Töpfen des Kulturministeriums gefragt, sondern das kreative Potenzial der hiesigen Intelligenz. Dieses Potenzial ist da, es muss sich nur lauter als bisher artikulieren. Und das Ministerium, das nun neu besetzt ist, sollte den Mut haben, dieses Potenzial in Paris und Frankfurt zu präsentieren: in einer Form und mit Formaten, die Verleger*innen, Autor*innen, Veranstalter*innen und das Ministerium in einer konzertierten Aktion miteinander aushecken.

1) Batty Webers Zitat und der Hinweis auf Georges Hausemer sind abgedruckt in „,Wer hierzulande schreibt, kennt sein Risiko’“, in: d’Letzeburger Land vom 31. Oktober 1985, S. 7.
2) Zit. n. Jeff Schinker, « Le parent pauvre de la culture », in : Tageblatt vom 13. März 2019, S. 16f., hier S. 16.
3) Im Projektaufruf des Kulturministeriums hieß es dazu: „Präsentation eines thematischen Bereiches, der in diesem Jahr den Buchsektor mit audiovisuellen Medien und Kino verbindet. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf das szenische Schreiben gelegt. Die Partner dieses thematischen Bereichs werden der Film Fund und das Centre national de l’audiovisuel (CNA) sein.“ Siehe http://culture.lu/fr/culture/projets/frankfurter-buchmesse/projektaufruf, letzter Aufruf: 25. März 2019
4) Nico Helminger, „Wahl & Wal. Skizzen zum Porträt des Schriftstellers als Luxemburger“, in: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik, Jg. 5/H. 1, 2014, S. 161-169, S. 162
5) Vgl. Frank Wilhelm/Ludivine Jehin, „Anise Koltz“, in: https://www.autorenlexikon.lu/page/author/488/4889/DEU/index.html, letzter Aufruf: 20. März 2019
6) Vgl. die Rezension dazu in diesem Heft.
7) Jeff Schinker, “Small Worlds”, in: Tageblatt vom 27. November 2017, http://www.tageblatt.lu/meinung/editorial/small-worlds, letzter Aufruf: 11. März 2019
8) Tania Martini, „Berserkerhaftes Buddy-Business“, in: taz vom 14. Februar 2019, http://www.taz.de/!5573382, letzter Aufruf: 26. März 2019
9) Vgl. zum Beispiel Daniel Conrad, „Informationslöcher und Tatendrang“, in: Luxemburger Wort vom 23. März 2019, S. 27
10) Germaine Goetzinger, „Die Referenz auf das Fremde. Ein ambivalentes Begründungsmoment im Entstehungsprozess der luxemburgischen Nationalliteratur“, in: Irmgard Honnef-Becker/Peter Kühn, Über Grenzen. Literaturen in Luxemburg, Esch/Alzette, Editions Phi, 2004, S. 15-26, hier S. 23
11) Vgl. dazu die demnächst erscheinende Dissertation von Fabienne Gilbertz über die Professionalisierungsprozesse der Luxemburger Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bereits jetzt: Fabienne Gilbertz, „Vom ,Ende der Bescheidenheit’ im Luxemburger Literaturbetrieb der 1960er und 1970er Jahre“, in: Anne-Marie Millim/Ian De Toffolin(Hg.), Modernismen in Luxemburg. Traditionen – Variationen – Brüche, Mersch, CNL, 2019,
S. 220-247, v.a. S. 224-228

3 Fragen an…

1. Der Literaturbetrieb in Luxemburg ist mehrsprachig. In welcher Sprache schreibst du und warum?
2. Gibt es deiner Meinung nach Auswirkungen der Größe des Landes Luxemburg, das ein Kleinstaat ist,
auf den nationalen Literaturbetrieb? Wenn ja, welche?
3. Was könnte deiner Meinung nach besser sein am luxemburgischen Literaturbetrieb?

Elise Schmit

1. Ich habe mich nicht bewusst dazu entschieden, auf Deutsch zu schreiben. Es ist die Sprache, die mir die meisten Möglichkeiten bietet, mich dem anzunähern, was ich sagen will. Außerdem ist die Mehrsprachigkeit des Literaturbetriebs ja nicht gleichbedeutend mit der Mehrsprachigkeit eines einzelnen Autors. Ich kenne überhaupt höchstens drei Luxemburger, die die drei Landessprachen und Englisch perfekt beherrschen. Keiner davon ist Schriftsteller.

2. Oft heißt es, die Mehrfachbesetzungen – dass zum Beispiel Autoren auch Kritiker oder Verleger sein können – seien erstens typisch luxemburgisch und zweitens von Nachteil. Ich bezweifle beides. Dass die Wege kurz sind, heißt für mich, dass man seine Projekte leichter und schneller verwirklichen kann. Die Vorstellung, dass es in Deutschland oder Frankreich keine oder kaum Überlappungen gibt zwischen dem Schreiben literarischer Texte, dem Verlagswesen und der Kritik, halte ich für ein Märchen.

3. Wenn das Ziel die Professionalisierung der Branche sein soll, brauchen die Verlage wesentlich mehr Geld. Statt dass der Staat Autoren mit Veröffentlichungsprämien und Druckkostenbeihilfen unterstützt, sollte er Verlage stärker bezuschussen, damit sie in angemessene Autorenhonorare investieren können, in Layout, Druck, Lektorat, Vertrieb und Marketing. Luxemburgische Verlage sind bisher kaum interessant für Autoren aus dem Ausland. Das sollte zu denken geben.

Ian De Toffoli

1. J’écris en français et en luxembourgeois. La première est la langue dans laquelle j’ai fait mes études, je m’en sens proche, j’aime la travailler. La deuxième est une de mes langues maternelles, le rapport est plus conflictuel, mais non moins intéressant.

2. Le plus grand impact est le nombre réduit de lecteurs nationaux, et donc par conséquent, le nombre réduit d’exemplaires imprimés et vendus par les éditeurs littéraires.

3. Il y a toute une liste de choses: nouvelle politique de subventionnement plus adapté à la situation des éditeurs luxembourgeois, diffusion, distribution, relations internationales de toutes sortes, etc.

Samuel Hamen

1. Wenn ich Luxemburgisch schreibe, ist es für mich eine permanente Übung in einem nur vage bekannten Spiel, dessen Regeln man live erkennt und anwendet. Nirgendwo sonst lässt sich so gut toben. Die Sprache ist ideologisch nicht kontaminiert – im Gegensatz zum Deutschen. Der einzige Ballast, den sie mit sich rumschleppt, ist ihre bäuerliche Archaik, die eher albern denn belastend ist. Und die vielen Einschränkungen, die sie einem auferlegt (kein Partizip Präsens, fast keine Präteritum-Formen, begrenzte Kompositumbildung), nötigen einen zu einer anderen sprachlichen Rhythmik, pathetisch ausgedrückt: Man atmet anders im Luxemburgischen.

2. Es ist sehr schwierig, eine kritische Masse zu erreichen, die vonnöten wäre, um auf Dauer eine gesunde Bibliodiversität (Susan Hawthorne) zu kultivieren. Der Ruch des Nepotismus mag jedem Kleinsystem anhaften, der Luxemburger Literaturbetrieb ist in der Hinsicht aber besonders muffig. Die Ausrichtung an den Nachbarländern Frankreich und Deutschland bedeutet für den hiesigen Buchmarkt als Industrie eine schwierige Situation, schließlich absorbieren beide Länder mit ihren (weit professioneller ausgebildeten) Medien- und Unterhaltungsangeboten das Fitzelchen an Interesse, das Belletristik hier überhaupt entgegenschlägt. Für mich besteht das ärgste Defizit darin, dass jede kulturelle Tätigkeit ständig gerechtfertigt werden muss. Hierzulande hat sich kein über Jahrhunderte organisch gewachsenes Bewusstsein für den Wert von Kultur an sich herausgebildet, die Erschöpfung in Anbetracht dieser Dauer-Legitimierung ist groß. Und der Versuch der gegenwärtigen Kulturpolitik, das Problem synthetisch durch institutionelle Reformen zu lösen, ist zwar verständlich und begrüßenswert, letztlich aber keine Antwort auf diese historische Schwachstelle. (Dieser letzte Punkt mag nur indirekt etwas mit der Größe des Landes zu tun haben, vielleicht eher etwas mit seiner Jugend und seinem verkürzten geschichtlichen Selbstverständnis.)

3. Es wäre schön, die schleifenähnliche Wiederholung aus Engagement, Abebben und Wiederbeleben zu durchbrechen, aus Initiativen, ihrem Absterben und ihrem anschließenden Zombietum – das macht einen irgendwann müde, illusionslos und gleichgültig. Es wäre wichtig, die nahezu vollständige und ziemlich beschämende Abwesenheit lusophonischer Literatur im Betrieb zu thematisieren, zu verstehen, zu kontern. Daran anschließend bestünde eine Aufgabe darin, zu fragen, wer (und wer nicht) im hiesigen Betrieb an der Literatur als einer sozialen Praxis teilnimmt – und wie man eine mögliche strukturelle Enge aufbrechen könnte.

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