- Geschichte, Gesellschaft, Kultur
Wall Street Cinema
Auch in der Ära Youtube sind Filme und Fernsehserien durch ihre fast universelle Zugänglichkeit nach wie vor besonders gut geeignet, um auf politische und soziale Missstände aufmerksam zu machen. Sie haben das Potenzial Menschen über Generationen hinweg zu prägen. Antikriegsfilme wie Apocalypse Now oder Full Metal Jacket und Serien wie The Wire, Mad Men oder The Sopranos können hier als Beispiel angeführt werden. Krieg, soziale Ungerechtigkeit, politische Korruption, Sexismus, Rassismus, organisierte Kriminalität – alles Themen, die trotz ihrer Komplexität ausgiebig und sehr unterschiedlich behandelt wurden. Warum gibt es jedoch wenige Filme, die sich mit der Finanzwelt befassen? Oder anders gefragt: Wieso gibt es fast keine Filme, die sich ernsthaft mit dieser befassen?
Blockbuster über Wall Street, Banker und später auch über die Immobilien- und Finanzkrise hatten es in den letzten Jahren nicht leicht. Martin Scorseses The Wolf of Wall Street war zwar ein Kassenerfolg, hatte allerdings außer Exzessen dionysischen Ausmaßes wenig zu bieten. Scorsese vermutete wohl zu Recht, dass Klischees über die Superreichen der Wall Street, wie Prostituierte und Drogen, besser ankämen als eine Introspektion der Deregulierung von Finanzmärkten oder der Schaffung neuer Finanzprodukte. Wall Street: Money never sleeps – immer noch mit Michael Douglas als Gordon Gekko – bemühte sich besonders schwerfällig um eine zuschauergerechte Beschreibung der Ereignisse um 2008 – und scheiterte kläglich. Während der 1987 erschienene erste Teil noch durch seine Keckheit und Provokation faszinierte, ist der zweite Teil enttäuschend fad. Die Metapher der „Bubble“ wurde anhand eines mit bunten Seifenblasen fröhlich spielenden Kindes dargestellt – es lässt sich erahnen: Die Seifenblasen platzen.
Jedoch nicht jeder Film, der sich mit der Finanzkrise befasst, besteht aus derart vorhersehbaren und biederen Handlungen. Deshalb stelle ich vier empfehlenswerte Filme vor, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Thematik beschäftigen und jeweils verschiedene Aspekte beleuchten – Inside Job, The Big Short, Margin Call und Too big to fail.
‘For the first time in history, average Americans have less education and are less prosperous than their parents.’
Bei Inside Job handelt es sich um einen Dokumentar-film, der kurz nach der Finanzkrise (2010) erschienen ist. Der Film ist empfehlenswert, da er direkt am Anfang einen Bogen nach Europa schlägt, die Welle von Privatisierungen staatlicher Banken in Island erwähnt und die Finanzkrise in einen historischen Kontext setzt. Als Dokumentarfilm hat Inside Job das Privileg, ausgiebig zu erläutern, inwiefern die amerikanische Politik von Reagan über Bush senior und Clinton durch eine konsequente Verweigerung von Regulierungen der Finanzmärkte den Boden für eine Krise globalen Ausmaßes vorbereitet hat. Regisseur Charles Ferguson stellt unangenehme Fragen, ärgert seine Interviewpartner und schafft es natürlich nicht, „Big Shots“ wie Timothy Geithner, Henry „Hank“ Paulson oder Ben Bernanke vor die Kamera zu bekommen – sie haben wohl erahnt, dass der Film nicht zu ihren Gunsten ausfallen würde. Inside Job handelt sowohl von den systemrelevanten und strukturellen Problemen, die zur Krise geführt haben, prangert allerdings auch schamlos einzelne Individuen und deren Gier und unendliche Naivität an.
‘How do you make poor people feel wealthy when wages are stagnant? You give them cheap loans.’
So beschreibt der Autor und ehemalige Investmentbanker Michael Lewis in seinem mittlerweile zum heiligen Gral der Finanzreportage gewordenen Bestseller The Big Short (2015) den Weg zur Finanzkrise gegen Ende des letzten Jahrzehnts. Regisseur Adam McKay – vor allem bekannt durch Funny or Die und bestenfalls durchwachsene Komödien – hat Lewis’ Buch mit größtmöglicher Starbesetzung (Ryan Gosling, Brad Pitt, Christian Bale, Steve Carell) verfilmt. The Big Short versucht den komplexen Weg zum Platzen der Immobilienblase anhand von Popkultur-Referenzen, schwarzem Humor und einer besonderen Dynamik, die von den allesamt perfekt ausgewählten Schauspielern ausgeht, darzustellen. Subprime mortgages, credit default swaps, collateralized debt obligations – was in Lewis’ Buch auf endlosen Seiten detailgetreu erläutert wird, wird im Film von Fernsehköchen, Kinderstars und blonden, Champagner-trinkenden Frauen in Badewannen erklärt. Wer nachher immer noch nichts davon verstanden hat – wie wohl die meisten Zuschauer ohne Erfahrung in der Branche –, dem empfehle ich das Buch anschließend zu lesen.
Der Film lebt von an realen Personen angelehnten Charakteren, die mal bei der Deutschen Bank Trader sind, mal Hedgefund Manager. Sie alle haben die Immobilienblase lange genug kommen sehen, um gegen den Markt zu wetten und so entweder ihren Kunden oder sich selbst einen Haufen Geld zu bescheren. Besonders Bale brilliert als ehemaliger Neurochirurg Michael Burry, dessen Genie nur von seinem Mangel an sozialen Fähigkeiten überschattet wird. Auch Carell in der Rolle von Mark Baum überzeugt durch sein tiefes Misstrauen in die gesamte Kultur der Finanzwelt und seine urkomisch dargebotene pessimistische Grundeinstellung. Die Moral ist allerdings ernüchternd: Während fast alle Protagonisten Finanzmärkte und alles was dazu gehört verdammen und die grundlegenden Probleme verstehen – Mark Baum hat geahnt, dass Millionen Menschen ihre Arbeit und Heime verlieren würden –, so bleibt außer Hiobsbotschaften und einem meist siebenstelligen Gewinn am Schluss nicht viel von der Empörung übrig.
‘Maybe you could tell me what is going on. And please, speak as you might to a young child. Or a golden retriever. It wasn’t brains that brought me here; I assure you that.’
So John Tuld, CEO einer fiktiven aber ganz klar an Lehmann Brothers angelehnten Investment Bank, am Vorabend ihrer Insolvenz. Margin Call (2011)– mit Jeremy Irons, Kevin Spacey und Zachary Quinto – ist eine bemerkenswert unaufgeregte, kluge und zugleich fesselnde Mutmaßung darüber, wie es beim Einschlag der Krise bei einer Investment Bank ausgesehen haben könnte. Der Film beschreibt, wie der Leiter der Riskmanagement Abteilung (Stanley Tucci) entlassen wird und dank eines USB-Sticks die Chefetage der Bank innerhalb einer Nacht über ihr sicheres Ende informiert. Margin Call wählt bewusst eine Sprache, die als Barriere zur Außenwelt funktioniert und wirft einen dunklen Schleier über die eigentlichen Gründe, die zur Krise führten. Der ahnungslose Zuschauer kommt zur haarsträubenden Erkenntnis, dass die mit Privatjets anreisenden CEOs ebenso wenig von ihrer Profession verstehen wie er selbst. Kühl, kalkuliert und unnahbar – Margin Call fungiert als Ebenbild der Welt, die er dem Zuschauer vermitteln will und zu der er doch nie durchdringen wird.
‘No one wanted to. They were making too much money.’
So Hank Paulson (Finanzminister unter Bush junior von 2006 bis 2009, vorher CEO von Goldman Sachs) in Too big to fail (2011) auf die Frage, warum nicht schon längst härter reguliert wurde auf den Finanzmärkten. Der HBO-Fernsehfilm zeichnet den Bailout, die Verhandlungen hinter geschlossenen Türen zwischen dem Finanzministerium, der Federal Reserve, der New York Fed und diversen Investment Banken (Goldman Sachs, Merril Lynch,…) nach. Der Zuschauer erhält einen Einblick sowohl in unübersichtliche Seilschaften, wie auch in Überlegungen darüber, wie man der US-amerikanischen Bevölkerung beibringen kann, dass mit ihren Steuer-geldern diejenigen gerettet werden (oder auch nicht, wie bei Lehmann Brothers), die das Unheil erst angerichtet haben. Too big to fail ist sehr aufschlussreich, wenn auch teilweise vielleicht zu nachsichtig, beispielsweise wenn es um das „Revolving Door“ Phänomen geht, welches ja auch in Luxemburg bekannt ist, vor kurzem wieder in den Medien durch die wechselnden Positionen des ehemaligen Finanzministers Luc Frieden.
Während Griechenland noch immer mit den Konsequenzen der letzten Wirtschaftskrise zu ringen hat, warnte Michael Burry kürzlich im New York Magazine vor einer erneuten globalen Krise. Ich schlage deshalb vor, dass David Simon (The Wire) sich mit Matthew Weiner (Mad Men) zusammen tut und die Finanzwelt in Form einer Serie darstellt. Sieben Staffeln mit jeweils 20 Episoden – als Erinnerung daran, dass es doch (be)lohnenswert ist, sich mit scheinbar undurchdringbaren Komplexitäten zu befassen.
Letztlich sollte es den kritischen, nicht verherrlichenden Filmen über Wall Street und die Finanzbranche auch um ihren Bildungsauftrag gehen, ob sie diesen nun anerkennen oder nicht: Fast acht Jahre nach der Krise geht es heute mehr denn je darum, gegen das Vergessen „anzufilmen“ und den Zuschauer verständlich und konkret an die Gründe besagter Krise zu erinnern.
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