public forum zum Nachhören: Der Mythos vom Mythos. Geschichte im Spannungsfeld von Historikern und Zeitzeugen

Am 10. Februar präsentierte der Premierminister der Presse einen Bericht über die Kollaboration des Luxemburger Staates mit den Nazi-Besatzern. Lange Zeit gehörte die Vorstellung von den Luxemburgern als einer (fast) geeinten Nation von Widerständlern zur Identität des Landes. Heute ist die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten und das Verhalten der luxemburgischen Bevölkerung in diesen Jahren Anlass öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten. Doch welche Rolle spielt die gemeinsame Erinnerung in unserer Gesellschaft? Und welchen Zugriff hat die Geschichtswissenschaft darauf? Konstruiert sie Mythen, die die übernächste Generation wieder zerstören muss?

Gemeinsam mit Zeitzeugen sowie Experten aus Medien und Wissenschaft haben wir am 16. Februar im Rahmen des public forum den Umgang mit Geschichte und Erinnerung am Beispiel des Zweiten Weltkriegs erörtert. Im Austausch mit dem Publikum diskutierten:

  • Jean Hamilius (Zeitzeuge und ehemaliger DP-Politiker, der vor kurzem seine Erinnerungen Luxemburg im Wandel der Zeiten veröffentlicht hat)
  • Loretta Walz (Filmemacherin, Autorin und Dozentin im Themenbereich Geschichte und Biografie, Düsseldorf)
  • Michel Pauly (Professor für transnationale Luxemburger Geschichte an der Universität Luxemburg)
  • Simone Beck (Gymnasiallehrerin für Geschichte und Generalsekretärin der Stiftung „Forum der Zivilisationen“, verantwortlich für den Konferenzzyklus „La mémoire sélective“)
  • moderiert von Pol Schock (forum)

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(CC BY-ND 2.0 by Hamed Parham)

Die gesamte Veranstaltung können Sie unter diesem Link nachhören (144 min., 250 MB). Die Diskussion war in drei Teile gegliedert:

1. Der Zeitzeuge: Welche Rolle hat er in einer Gesellschaft? Wie entsteht Erinnerung? (40 min, 70 MB)

Jean Hamilius erzählt, warum er seine Erinnerungen veröffentlicht hat. Michel Pauly, Loretta Walz und Simone Beck erklären, welche Bedeutung der Zeitzeuge als Quelle hat – sei für die Geschichtswissenschaft, den Dokumentarfilm oder den Geschichtsunterricht.

Diskussion (13 min., 22 MB): Was versteht man unter Mythos? Wie entsteht Erinnerung und wie zuverlässig ist sie? Darf man Werturteile über Geschichte und Erinnerung fällen? Dient Erinnerung der Rechtfertigung?

2. Die Bedeutung des Zweiten Weltkriegs in Luxemburg (65 min., 113 MB)

Michel Pauly erläutert, welche neuen Erkenntnisse der Artuso-Bericht enthält. Jean Hamilius weist auf die Bedeutung der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg hin. Diskutiert wird auch über den Antisemitismus, der bereits in den 1930er Jahren in Luxemburg präsent war.

Was versteht man unter dem „Gründungsmythos der Luxemburger Nation im Zweiten Weltkrieg“? (ab min. 19) Warum wird dieser Mythos heute von Historikern in Frage gestellt? Die Podiumsgäste erklären, dass die Vorstellung des „einig widerständigen“ Luxemburgs sicher nicht zutraf. Erwähnt wird die Rolle der Resistenzbewegung und der Opferverbände, die die kollektive Erinnerung stark beeinflussten und sich in 1980er Jahren mit Historikern auseinandersetzten, die ihre Erzählungen hinterfragten.

Sollte die Regierung sich für die Beteiligung des Luxemburger Staates an der Judenverfolgung entschuldigen? Was heißt es, sich zu entschuldigen? Reicht es, anzuerkennen, dass Unrecht geschehen ist? Diese Fragen diskutierten das Podium sowie Renée Wagener (Historikerin), Pierre Lorang (Publizist) und Henri Juda (MemoShoah).

3. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fürs Leben (Friedrich Nietzsche) (12 min., 21 MB)

Was die Motivation und die Aufgabe des Historikers ist, erklärt Michel Pauly. Simone Beck erklärt die Möglichkeiten und Grenzen des Geschichtsunterrichts. Loretta Walz betont, dass es wichtig sei, Geschichte aus möglichst vielfältigen Perspektiven zu erzählen.

Die abschließende Diskussion (13 min., 23 MB) behandelte vor allem die Frage der Kontinuität nach dem Krieg – gerade auch im Singen von antisemitischen Liedern, wie etwa die Kontroverse um den Umzug in Vianden 2013 noch zeigte.

public forum wird organisiert von der Zeitschrift forum. Die Diskussion fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe OPEN SQUARE des CarréRotondes statt.

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