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Climate Diary 9

3. Oktober (Donnerstag)
Epilog
In diesem Epilog soll ich noch einmal die „Week for Future“ resümieren. Doch ich denke, dass es noch mehr zu sagen gibt.
Ich bin wie zerschlagen, kann mich halbwegs gerade halten. Als wäre ich einen Marathon gelaufen. Sechs Monate lang, nur bergauf. Mit Nächten, fast so lang wie Trinkpausen. Aber ich will wirklich nicht meckern; andere haben viel mehr geleistet und bestimmt noch weniger geschlafen. Man hat gegen Ende zunehmend gemerkt, wie geladen einige waren.
Jeder Höhepunkt eines Rennens ist die Zielgerade – und dann kommt die Ekstase. Die aber blieb hier aus, zumindest bei mir. Ich bin am Freitag wirklich bedrückt nach Hause gegangen und hab fast das ganze Wochenende im Bett verbracht: keine Klima-Doku und keine Interviews geschaut, mich nicht mit Artikeln und wissenschaftlichen Papers vollgelesen. Hab nicht versucht, jemanden davon zu überzeugen, dass Fliegen und Fleischfressen scheiße sind für unsere Zukunft. Weit weg von (fast) jedem, weit weg vom Lärm, weit weg von der Realität. Weit weg davon zu versuchen, die Welt zu retten.
Und eigentlich betrachtet, haben wir doch schon einiges geleistet: Zwei große Demos, die Seedbomb-Action, die Fahrrad-Demo, unzählige Presse-Interviews, der Bank-Die-in, das Referat, und ein ganzer Tag beim Naturfestival. Wir haben eine Klima-Koalition gegründet, Gewerkschaften auf die Straße gekriegt, die Regierung bei verschiedenen Punkten ins Schwitzen gebracht. Freundschaften geschlossen, und uns zusammengerafft, weil es die Situation verlangte.
Und trotzdem, fühl ich mich nicht gut.
Ich frage mich, ob das, was ich tue, irgendeinen Sinn ergibt?
Denn wenn wir ehrlich sind (und du weißt, ich hab das immer versucht): Was bewegen wir denn? Vielleicht bewege ich mich, vielleicht ich dich, vielleicht bewegen wir gemeinsam den einen oder anderen. Aber im Angesicht der Situation, in der wir alle stecken, ist es ziemlich utopisch zu denken, man könnte schnelles Handeln von den Mächtigen erwachten. Auch wenn unsere Lage so drastisch ist wie noch nie.
„Was ihr Jungen macht ist super, toll, dass ihr utopisch denkt, Ihr könntet die Welt verändern!“ (So eine Frau zu mir auf der Demo vom 27. September).
Es kommt mir fast so vor, als wären wir in einem apokalyptischen Action-Film:
Der Film beginnt damit, dass irgendwelche Wissenschaftler/innen ein menschenvernichtendes Problem entdecken.
Keine hört ihnen zu.
Die Sache fängt an, den Bach runterzugehen, und es sieht echt schwarz aus für die Menschheit.
Doch da kommt ein/e Held/in, treibt die Truppen zusammen, und in einem unfassbar knappen Kampf bringt sie/er es fertig, das Blatt zu wenden, jeder wird gerettet –Happy End.
Aber was ist, wenn der oder die Held/in nicht kommt?
Ich mag es mir nicht ausmalen.
Was kommt nun?
Um die Sache so einfach wie möglich zu sagen:
Wir müssen aufhören, Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Den Wahnsinn von endlosem Wachstum und Überproduktion stoppen. Sonst droht die Oberflächentemperatur der Erde so heiß zu werden, dass unser Ökosystem irreparabel geschädigt wird, dass das Leben an verschiedenen Orten nicht mehr möglich sein wird und dass unsere Zivilisation an ihr Ende kommt: durch Ressourcenmangel (Wasser, Essen, usw.), Zerstörung wichtiger Standorte (New York, Bangkok, Shanghai), Klimaflucht und Anarchie, eine Situation, in der nur die Starken sich noch durchsetzten können.
Wissend, dass wir unsere Versorgung überdimensional stark auf fossiler Energie aufbauen, fällt es mir sehr schwer zu glauben, dass wir das in den nächsten zehn bis 15 Jahren hinbekommen. Aber in dieser Frage geht es gar nicht darum, was wir wollen, sondern darum, was wir brauchen, oder besser: was wir tun müssen, um gerade noch so die Kurve zu kriegen.
Netto 0 Treibhausgasemission so schnell wie möglich! Allein bei diesem Satz läuft es mir kalt den Rücken runter, weil das Ziel, das wir vor Augen haben, auf so viele Widerstände stößt.
Und es wird kommen, wie es bis jetzt immer kam. Die Reichen werden sich auch den Liter Wasser für 1000€ leisten können (was man tendenziell schon jetzt sehr gut in Afrika, Indien oder Chile sehen kann: der ärmste Teil der Bevölkerung verdurstet, während die Reichen ihre Autos mit Trinkwasser waschen). Und irgendwann wird es auch bei uns so weit sein. Im Moment schützen unsere Gesetze und Regierungen uns (noch so einigermaßen), doch irgendwann wird es auch in Europa so weit kommen, dass Systeme zusammenbrechen – und die ersten, die leiden, werden die Armen sein.
Ich hoffe ich drücke mich halbwegs verständlich aus.
Die Erde wird sich weiter um die Sonne drehen, das ist nicht die Frage. Irgendetwas wird auf der Erde überleben, ja, irgendetwas. Auch wenn es nicht die Eisbären, nicht die Elefanten, nicht die Bienen sind, oder sogar vielleicht nicht WIR.
Das Problem ist die Verantwortung, die wir kollektiv als Menschheit tragen. Die müssen wir ernst nehmen. Und uns auch mal fragen, wie unsere Nachfahren von uns berichten werden:
Waren wir die, die ein kaputtes Öl-System aufgegeben haben, um uns und unsere Erde zu schützen? Waren wir die, die dem Tot ins Auge geblickt haben, aber rechtzeitig die Notbremse gezogen haben?
oder
waren wir die, die mit dicken Autos zum Hafen gefahren sind, um mit Kreuzfahrtschiffen um die Welt zu CO2en. Waren wir die, die ihre Handys alle sechs Monate ausgetauscht haben, kabellose Kopfhörer verbraucht haben und immer wieder Geld & Macht vor die Zukunftsperspektive gesetzt haben?
Die Antwort liegt bei dir, mein/e liebe/r Leser/in. Nur du kannst den Weg in die richtige Richtung gehen, niemand sonst wird ihn für dich beschreiten.
Fuchs.
Ps. Ich möchte mich bedanken, dass du dir die Zeit genommen hast, diese Zeilen zu lesen. Es war für mich eine echte Bereicherung, mich so frei äußern zu können, und es war eine Befreiung, meine Wut, meine Angst, meine Hoffnung rauszulassen. Hoffentlich habe ich mich meistens klar ausgedrückt.
Danke an die Redaktion von forum.
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