Klausur-Kultur (10)


Yves Steichen

Twelve Monkeys (Netflix)

 

Menschenleere Großstädte, geschlossene Grenzen mit kilometerlangen Staus, Panikkäufe und die sorgenvollen Gesichter von Politikern und Experten in Fernsehansprachen – viele von den Bildern, die wir zurzeit tagtäglich in den Nachrichten sehen, kommen uns seltsam bekannt vor. Nicht etwa, weil wir in den letzten Jahrzehnten eine vergleichbare Krise wie die gegenwärtige Covid-19-Pandemie bereits mitgemacht hätten, sondern weil das langlebige und erfolgreiche Genre des Katastrophenfilms bis dato Dutzende von Pandemie-Filmen hervorgebracht hat, die das Bedrohungsszenario einer sich flächendeckend ausbreitenden, tödlichen Infektionskrankheit variantenreich durchgespielt und unsere Vorstellungen dementsprechend geprägt haben (siehe dazu auch meinen Beitrag in der kommenden April-Ausgabe von forum).

Pandemie-Filme nehmen im Katastrophengenre eine gewisse Sonderstellung ein. Während Vulkanausbrüche, Erdbeben, brennende Hochhäuser, drohende Meteoriteneinschläge  und ja, sogar der totale Weltuntergang beim Publikum zwar wohlige Beklemmung auslösen, so handelt es sich dabei doch stets um filmische Katastrophenszenarien, die keinen unmittelbaren Bezug zur Wirklichkeit der Zuschauer haben – und die obendrein lösbar erscheinen. Bei Pandemien auf der großen Leinwand verhält es sich da schon etwas anders, denn sie wirken wie das ungleich realistischere und bedrohlichere Szenario. Seuchenthriller wie Outbreak (Wolfgang Petersen, 1995) und Contagion (Steven Soderbergh, 2011) nehmen geschickt Bezug auf menschliche Urängste vor der unsichtbaren, immateriellen und kaum zu kontrollierenden Ausbreitung einer tödlichen Virenerkrankung, die mühelos die gesamte Menschheit an den Rand der Existenz bringen kann.

Ein herausragender Vertreter unter den Pandemie-Filmen ist die Science-Fiction-Dystopie Twelve Monkeys, realisiert von Ex-„Monty Python“-Mitglied Terry Gilliam nach einem Drehbuch von David Webb und Janet Peoples. Der Film feiert dieses Jahr seinen 25. Jahrestag – im Kontext der aktuell verhängten Ausgangsbeschränkungen möglicherweise ein willkommener Anlass, diesen modernen Klassiker des Sci-Fi-Kinos wiederzuentdecken.

Angelehnt an den Kurzfilm La Jetée (1962) von Chris Marker, spielt Twelve Monkeys auf mehreren Zeitebenen – darunter auch im Jahr 2035. Nachdem eine Virus-Pandemie in den Jahren 1996/97 etwa fünf Milliarden Menschen das Leben gekostet hat, haben sich die wenigen Überlebenden, ein Prozent der Menschheit, in dunkle und feuchte Kanäle unter der Erde zurückgezogen. Um mehr über das Virus zu erfahren, schicken sie „Freiwillige“ wie James Cole (Bruce Willis) auf Zeitreisen zurück in die neunziger Jahre, um Proben des noch nicht mutierten Originalvirus zu finden und in die Gegenwart zurückzubringen. Durch ein Versehen landet Cole allerdings im Jahr 1990 – und wird wegen seiner wirren Aussagen über eine bevorstehende Pandemie sofort in eine psychiatrische Klink eingeliefert. Dort trifft er auf den psychisch kranken Jeffrey (Brad Pitt) und die Psychiaterin Dr. Kathryn Railly (Madeleine Stowe), die alsbald Schlüsselfunktionen in Coles Versuchen übernehmen, die Ereignisse der Zukunft aus der Vergangenheit heraus (oder umgekehrt?) zu rekonstruieren.

Obwohl Twelve Monkeys formal wie erzählerisch stellenweise äußerst bedrückend geriet – die Charaktere sind fortwährend irgendwo eingesperrt, auf der Flucht oder kämpfen gegen einen kafkaesken institutionellen Apparat, die Erzählweise ist labyrinthartig, das Set-Design schmuddelig und die Kameraarbeit gelinde gesagt: wild –, führte Gilliam Reflexionen ins Feld, die unser traditionelles Verständnis postapokalyptischer Erzählungen in Frage stellten, denn in Twelve Monkeys stellt auch eine unvermeidbare Katastrophe nicht zwangsläufig das Ende dar.

Der Film kann auf Netflix gestreamt werden.

Yves Steichen ist Historiker und arbeitet im Département Film-TV des CNA. Er ist Redaktionsmitglied bei forum, wo zuletzt von ihm die Rezension zur Fernsehserie Capitani erschien (in forum 403, Februar 2020, S. 58-60).

(c) Universal Pictures

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