
Yorick Schmit
Meditation:
„Social distancing“ als Möglichkeit,
zu sich selbst zu finden
Meditieren ist eine der wenigen Aktivitäten, für die soziale Isolation eine notwendige Voraussetzung ist. Man kann selbstverständlich in Gruppen meditieren, aber auch dann sind die individuellen Teilnehmer auf sich selbst und ihre innere Befindlichkeit fokussiert. Jede menschliche Interaktion steht dem eigentlichen Ziel im Weg.
Um Wirkung und Nutzen der Meditation zu illustrieren, greifen buddhistische Mönche gerne auf eine Allegorie zurück: Schöpft man mit einem Glas Wasser aus einem Fluss, ist der Inhalt anfangs trüb und undurchsichtig. Sandpartikel und Sedimente wirbeln umher. Hat man jedoch Geduld und stellt das Glas ab, sammelt sich der Schmutz am Grund, und das Wasser wird klar.
Das Wasser ist unser Bewusstsein, die Erde am Grund sind unsere Gedanken. Meditieren heißt, das Gedanken-Karussell abzuschalten. Den Großteil unseres Lebens verbringen wir in unserem Kopf, sei es bei Versäumnissen in unserer Vergangenheit oder bei zukünftigen Herausforderungen. Wer meditiert, lernt, sich nicht vom Fluss der Gedanken wegreißen zu lassen und im Hier und Jetzt verankert zu bleiben.
Emotionen entstehen aus dem Zusammenspiel einer physischen Reaktion und einer Kontextualisierung dieser durch unseren Geist. Wer seine Gedanken besser kontrollieren kann, gewinnt Einfluss auf die eigene Gefühlswelt. Und dabei kann die Meditation helfen. Aber man muss weder den Buddhisten glauben, die überzeugt sind, in der Mediation den Weg ins Nirvana gefunden zu haben. Noch den Neurologen, die, in teils kontroversen Studien, hervorheben, dass Mediation bei Stressabbau, Schlafstörungen und chronischen Schmerzen helfen kann. Man kann es einfach selbst ausprobieren.
Es genügt, sich hinzusetzen, entspannt, aber nicht zu bequem – entweder im Schneidersitz auf ein Kissen oder auch auf einen Stuhl mit gerader Rückenlehne. Die Augen sind geschlossen, der Kopf leicht nach vorne gebeugt. Auf eine gerade Rückenhaltung achten. Hände auf die Oberschenkel legen. Als Fokussierungspunkt wird Anfängern gerne die Atmung empfohlen. Es kann aber auch das Ticken der Küchenuhr sein oder der Regen, der gegen die Fensterscheibe klopft. Ziel ist es, seine gesamte Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, ein Geräusch, einen Bewegungsablauf zu lenken und dort so lange wie möglich zu verbleiben.
Meistens bemerkt man schon nach wenigen Sekunden, dass der Geist abschweift. Das ist normal und kein Grund aufzugeben. Einfach immer wieder die eigene Atmung in den Fokus rücken. Wer regelmäßig übt (z. B. 15 Minuten am Morgen und 15 Minuten am Abend), bemerkt schnell, wie sich die eigene Konzentrationsfähigkeit verbessert und man immer länger im Augenblick verweilen kann.
Egal, wie der Tag verläuft, das Wasser im Glas bleibt klar.
Detaillierte Anleitungen und Videos zur Meditation findet man online. Lektüretipp: Sam Harris, Waking up. A guide to spirituality without religion, New York u. a., Simon & Schuster, 2014.
Yorick Schmit arbeitet als „Digital Curator“ in der Nationalbibliothek. Nebenbei ist er literarisch tätig. 2018 erschien sein Erzählband Der Geruch der Erde nach dem Regen (2018). Bei forum erschien zuletzt von ihm „Zwischen Pflichtabgabe und Sammelauftrag. Die Missionen der Nationalbibliothek“, in: forum 404, März 2020, S. 56.

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