Klausur-Kultur (19)


Fabienne Gilbertz

Nick Seluk: Heart and Brain (The Awkward Yeti)

 

Wir erleben gerade eine Zeit, in der wir nur allzu leicht zum Hypochonder werden. Die kleinste körperliche Regung wird sofort analysiert und überinterpretiert, jedem Kratzen im Hals, jedem Kribbeln in der Brust wird momentan eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil. Wer wissen will, was denn tatsächlich in unseren Körpern passiert, sich mit Anatomie und biochemischen Prozessen jedoch überfordert fühlt, dem bietet der amerikanische Zeichner Nick Seluk einen besonderen Blick nach innen: In seinen Comicstreifen Heart and Brain (einem Ableger der Reihe The Awkward Yeti) spielen die menschlichen Organe die Hauptrolle. Da ist zum Beispiel die Zunge, die es vor allem auf Pizza und Eis in großen Mengen abgesehen hat und dadurch meist im Konflikt mit dem Magen und dem Darm steht. Der Darm ist dabei nicht nur für die Verdauung, sondern darüber hinaus – dem englischen Begriff gut entsprechend – für das berühmte, doch nicht immer vertrauenswürdige Bauchgefühl zuständig. Aber auch weniger prominente Charaktere, wie die Milz und die Gallenblase haben ihre Auftritte und beweisen, dass auch sie im organischen Zusammenspiel ihre unabdingbare Funktion haben.

Hauptfiguren sind jedoch – man beachte den Titel der Reihe – das Herz und das Gehirn. Während das Herz seinen Emotionen und Impulsen (meist in der Form eines Schmetterlings) folgt, ist das Gehirn um verantwortliches, vorausdenkendes und logisches Handeln bemüht. Dies führt oft zu Meinungsverschiedenheiten, meist aber zur Einsicht, dass sich beide letztendlich ziemlich gut ergänzen: Das Herz lernt vom Gehirn, das Gehirn vom Herzen – und als Leser*in erkennt man das eigene Handeln, die eigenen Routinen und Gedankengänge nur allzu gut wieder. Dies gilt ganz besonders in Quarantäne-Zeiten: In den letzten Tagen und Wochen publizierte Seluk auf Twitter und Instagram einige Comics, die unseren neuen Alltag explizit und auf humorvolle Weise reflektieren. Aber auch andere, ältere Streifen sind erstaunlich gut auf die aktuelle Situation übertragbar. So greift der Comic unscheinbare Momente auf, die viele von uns zurzeit erleben: Konzentrationsstörungen, Langeweile, der unmotivierte Gang zum Kühlschrank… Die Streifen thematisieren aber auch ganz allgemein den Umgang des Menschen mit seinen eigenen Gedanken, Ängsten und Gefühlen. Das bringt einen als Leser*in nicht nur zum Nachdenken, sondern auch oft zum Schmunzeln – und das ist in Krisenzeiten gar nicht mal so unwichtig.

Fabienne Gilbertz ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Luxemburgistin. 2019 erschien ihre Dissertation Wortproduzenten. Literarische und ökonomische Professionalisierung im Luxemburger Literatursystem der 1960er und 1970er Jahre im Universitätsverlag Winter. Derzeit unterrichtet sie Luxemburgisch als Fremdsprache am Institut national des langues. 

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