- Politik
31 Vorschläge für eine Politik der Resilienz (Reaktion auf Vorschlag 22: Jean-Louis Zeien)
Vorschlag 22 der forum-Redaktion: Die Luxemburger Agrar-, Wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik muss mit den Zielen der Kooperationspolitik in Einklang gebracht werden (Kohärenzprinzip). Auch müsste sie den Menschenrechten und den Demokratisierungsprozessen besser Rechnung tragen.
Reaktion 22 von Jean-Louis Zeien:
Die Bereiche Menschenrechte und Nachhaltigkeit, die in der Kooperationspolitik gefördert werden, können in Konflikt mit anderen Politikbereichen wie Wirtschaft, Finanzen oder Landwirtschaft geraten. Wenn Regierungsgeschicke von mehreren Parteien – siehe Dreierkoalitionen in Luxemburg – geleitet werden, gestaltet sich die Bestimmung einer kohärenten politischen Linie umso schwieriger.
Die Erwartung, dass sich die Politik für eine kohärente Vorgehensweise im Sinne einer sozial gerechten und nachhaltigen Zukunft einsetzt, wurde nicht erst seit der COVID-Krise geäußert. Diese Krise hat erneut schonungslos offengelegt, dass vor allem die ärmsten Bevölkerungsteile weltweit die ersten wirtschaftlichen Opfer sind.
Die Verdienste der luxemburgischen Kooperationspolitik sind im Bereich Menschenrechte und Nachhaltigkeit unbestreitbar, dennoch gilt es, auch die verbleibenden 99 % des Bruttosozialproduktes dazu in Verhältnis zu setzen. Ansonsten wird billigend in Kauf genommen, dass ein langer Schatten auf dieses eine Prozent für Entwicklungszusammenarbeit fällt.
Ein Beispiel: Im Kongo und in anderen Teilen der Welt kommt es beim Abbau von Konfliktmineralien, die u. a. in unseren Smartphones oder Tablets verarbeitet werden, zu massiven Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit, Vergewaltigungen, Zwangsarbeit und Umweltzerstörung. Jahrzehnte lang wurde dies konsequent ausgeblendet. Ansonsten hätte in Luxemburg (wo rund 50 Unternehmen im Import von Konfliktmineralien aktiv sind) und anderen europäischen Ländern eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen eingeführt werden müssen.
Laut einer Impaktstudie belaufen sich die jährlichen Zusatzkosten einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht auf 0,011 % des Jahresumsatzes eines Unternehmens. Es ist kaum vorstellbar, dass jährliche Zusatzkosten von 0,011 % jahrzehntelang dazu beigetragen haben, eine gesetzliche Verordnung zu Konfliktmineralien zu blockieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit folgt jetzt ein erster kleiner Schritt: Ab dem 1. Januar 2021 soll eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen in Kraft treten, allerdings nur beim EU-Import von vier Konfliktrohstoffen (ein Smartphone enthält über 30 verschiedene Mineralien!). Importierte Endprodukte, die ihren Weg in die EU-Länder finden, sind davon ausgeschlossen. Auch bei öffentlichen Ausschreibungen haben die Kriterien Menschenrechte und Nachhaltigkeit hierzulande beim Einkauf von elektronischen Geräten bislang keine Rolle gespielt, obwohl es bereits Alternativen (z. B. Fairphone, Shift-Geräte) gibt. Über den Bereich der Konfliktmineralien hinaus eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht bei Unternehmen einzuführen, dazu hat bislang nur Frankreich den politischen Mut aufgebracht.
Es scheint, dass das Argument der Kosten und Verantwortlichkeiten weiterhin Konjunktur hat. Im Juli 2020 hat der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn auf eine parlamentarische Anfrage entsprechend reagiert: ein nationales Gesetz im Bereich der Menschenrechte und Wirtschaft würde Gefahr laufen, „distorsions de concurrence“ auszulösen. Es ist interessant, dass Jean Asselborn hier so argumentiert wie verschiedene Arbeitgeberverbände in Europa. Dabei liegt bislang keine Studie vor, die belegen würde, dass es durch ein solches Gesetz zu Wettbewerbsverzerrungen kommen könnte. Außer man würde, wie oben beschrieben, Zusatzkosten von 0,011 % ernsthaft als solche ansehen. Was die Angst vor Delokalisierungen von Unternehmen innerhalb der EU anbelangt, die das Ministerium auch anführt: Laut Charlotte Michon von der Vereinigung „Entreprises pour les droits de l’Homme“ hat in Frankreich seit 2017 kein Unternehmen aufgrund der nationalen Gesetzgebung im Bereich menschenrechtliche Sorgfaltspflicht das Land verlassen.
Trotzdem riskiert Politikkohärenz in Sachen Menschenrechte und Nachhaltigkeit immer wieder unter die Räder zu kommen. Der „Cercle des ONGD“ hat in den vergangenen Jahren bereits öfters darauf hingewiesen, dass zwischen verschiedenen Politikfeldern Gräben bestehen, ohne dass bislang tiefgreifende Reformen eingeleitet worden wären1, um die fehlende Kohärenz sicherzustellen. Ein Instrument wie das Comité interministériel de développement ist ein erster Ansatz, kann aber logischerweise keine politischen Entscheidungen herbeiführen und umsetzen. Ein Blick über die Grenzen hinaus zu den Niederlanden zeigt, dass dort Strukturen aufgebaut wurden, die eine tiefergehende Politikkohärenz ermöglichen.
Dabei ist und bleibt es eine Frage der Politikkohärenz für die gesamte Regierung. Auch in anderen Politikbereichen gibt es hierzulande entsprechende Herausforderungen, die angegangen werden müssten, so z. B. öffentliche Ausschreibungen (wann kommt eine voluntaristische Einkaufspolitik in Sachen Menschenrechte und Nachhaltigkeit?), Finanzen (wann kommt die angekündigte sustainable finance roadmap?), Elektromobilität (Problematik des Lithiumabbaus und Gefahr der Zerstörung der Lebensgrundlagen der betroffenen indigenen Bevölkerung), Landwirtschaft (welche Kriterien soll das zukünftige Qualitätslabel erfüllen?).
„Fit4Resilience“? Beim „Neustart Luxemburgs“ in Zeiten von COVID-19 stellt sich abschließend die Frage, inwieweit in den Lieferketten der Wirtschaft Menschenrechte und Nachhaltigkeit eine Rolle spielen werden. Die kommenden Monate werden hier Aufschluss geben. Resilienz ist nicht nur eine Frage der Digitalisierung oder Logistik, sondern auch der Menschen(rechte) in unseren Lieferketten.
Jean-Louis Zeien ist Präsident von Fairtrade Luxembourg a.s.b.l., einer NGO, die für einen fairen Handel mit den Produzenten in Afrika, Asien und Lateinamerika eintritt. Seit 2017 ist er Generalsekretär von Justice et Paix Luxembourg. Er hat an der Ausarbeitung der „Fair Politics“-Analysen und den beiden nationalen Aktionspläne Luxemburgs zur Umsetzung der Leitprinzipien der UN zu Wirtschaft und Menschenrechten mitgewirkt.
1 Zum Beispiel: Fair politics http://cercle.lu/wp-content/uploads/2017/11/Fair-Politics-2017.pdf
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