- Politik
31 Vorschläge für eine Politik der Resilienz (Reaktion auf Vorschlag 26: Maxime Weber)
Vorschlag 26 der forum-Redaktion: Die Qualität der Kommunikation zwischen Regierung, den übrigen politischen Institutionen und den BürgerInnen während der Krise muss genau analysiert werden. Der Ausbreitung von Verschwörungstheorien, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus muss größte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Politische Parteien, Gewerkschaften, Vereine und Medien stehen hier in der Verantwortung.
Reaktion 26 von Maxime Weber:
Neben überwältigender Hilfsbereitschaft und Solidarität sind während der Corona-Pandemie leider auch die hässlichen Seiten am Menschen in aller Deutlichkeit zutage getreten. So lässt sich etwa auf Wikipedia eine erschreckend lange Liste an rassistischen und xenophoben Vorfällen finden, die sich im Zuge der Corona-Pandemie ereignet haben und vor allem gegen asiatisch gelesene Personen gerichtet waren. In vielen Ländern wurden Frauen während des Lockdowns vermehrt Opfer von häuslicher Gewalt oder sahen sich dazu gezwungen, in als längst überholt geglaubte Geschlechterrollen zurückzufallen. Und Verschwörungstheorien über das Virus – die, wie so oft, einen antisemitischen Kern enthalten – trugen dazu bei, dass beispielsweise am 29. August in Berlin 38.000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen der deutschen Regierung auf die Straße strömten und Neo-Nazis unter den Demonstrierenden es bis auf die Treppen des Bundestages schafften.
Auch Luxemburg ist von Vorkommnissen dieser Art nicht verschont geblieben. Am 24. Mai organisierte die Vereenegung grot Schëld – die in den sozialen Medien immer wieder durch das Verbreiten von Falschinformationen über das Coronavirus auffällt und deren Präsident schon in diversen rechtsextremen Gruppierungen tätig war – einen Spaziergang durch Luxemburg-Stadt. Im Anschluss an eine Pressekonferenz der Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) für die lusophone Gemeinschaft Luxemburgs wiederum behauptete „Wee2050“-Präsident Tom Weidig auf Facebook, dass die Mehrheit der SARS-CoV2-Neuinfektionen im Großherzogtum von Portugies*innen ausgehen würde. Und „Wee2050“-Gründer Fred Keup, der im Oktober Gast Gibéryens Sitz für die ADR in der Chamber übernehmen wird, suggerierte unter dem gleichen Beitrag, dass die Regierung die Konferenz „geheim“ gehalten hätte – was nichts weniger als eine Verschwörungstheorie ist (für die er wenig überraschend auch keinerlei Belege liefern konnte).
Verzerrtes Selbstverständnis überwinden
Wie kann man nun gegen solche Phänomene vorgehen? Der erste Schritt ist es sich einzugestehen, dass es diese Probleme überhaupt gibt – und das nicht erst seit Corona. Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus und der Hang zu Verschwörungstheorien sind strukturelle Phänomene, die Luxemburg schon seit Längerem plagen. In Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie, in denen die regelrechten Fundamente von Gesellschaften auf die Probe gestellt werden, kommen Risse dieser Art nur eher ans Tageslicht als gewöhnlich. Nicht zuletzt wegen des multikulturellen und weltoffenen Selbstverständnisses Luxemburgs wird das Ausmaß dieser Spannungen aber gerne runtergespielt oder gar komplett in Frage gestellt.
Als das Tageblatt vor einigen Monaten im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung eine Artikelserie veröffentlichte, in denen Schwarze Menschen in Luxemburg von ihren Rassismuserfahrungen berichteten, reagierten manche Luxemburger Leser*innen mit Wut und Empörung auf diese Aussagen – was schließlich allen Ernstes dazu führte, dass einige der Interviewten sich öffentlich entschuldigten. Bei Sexismus oder Antisemitismus zeigen manche Luxemburger*innen oftmals eine ähnliche Tendenz zur Verneinung auf – man denke etwa nur an die erbosten Reaktionen auf den Artuso-Bericht.
Intersektionale Herangehensweise wichtig
Erst wenn man sich eingestanden hat, dass Luxemburg genauso wie alle anderen westlichen Länder auch von diesen Problemen befallen ist, kann man auch wirklich etwas dagegen unternehmen. Dadurch, dass es sich bei Rassismus, Sexismus, Antisemitismus usw. um strukturelle Probleme handelt, reicht es allerdings nicht aus, dass nur Einzelpersonen ihr Verhalten ändern – auch wenn es natürlich von großer Wichtigkeit ist, dass man sich beispielsweise als Weiße*r Luxemburger*in damit auseinandersetzt, inwiefern man selbst möglicherweise noch an rassistische Mythen glaubt und diese perpetuiert. Aber selbst wenn jede*r einzelne Luxemburger*in das tut, bleibt das gesellschaftliche System, das Ausgrenzungsmechanismen dieser Art erst hervorbringt, letztlich unangetastet.
Dementsprechend stehen vor allem die Regierung, politische Institutionen, Parteien, Medien und andere zentrale Akteur*innen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in der Verantwortung, etwas zu unternehmen. Eine dringend nötige Maßnahme wäre es beispielsweise, mehr Studien zu diesen Problemfeldern durchzuführen, um endlich ein präzises und wissenschaftlich belegbares Bild von ihrem Ausmaß in Luxemburg zu bekommen. Dazu bedarf es noch deutlich mehr öffentlicher Podiumsdiskussionen und Workshops zu diesen Themen. Bei der Organisation von Veranstaltungen dieser Art kann man dabei auch gleich mit gutem Beispiel vorangehen und strukturellen Ungleichheiten entgegenwirken, in dem man dafür sorgt, dass beispielsweise bei Vorträgen über Rassismus auch primär Schwarze Menschen als Redner*innen eingeladen werden.
Letztlich ist es bei all dem auch von großer Wichtigkeit, eine intersektionale Herangehensweise zu verfolgen. Denn nur wenn man davon ausgeht, dass Rassismus, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus und damit verbundene Verschwörungstheorien letztendlich miteinander zusammenhängen und sich sogar gegenseitig verstärken, lassen sich diese Phänomene auch wirklich adäquat bekämpfen. Und da Krisen wie die Corona-Pandemie gerade eben durch das Aufzeigen von fundamentalen Problemen immer auch eine Chance darstellen, um die Grundbedingungen einer Gesellschaft neu auszuhandeln, gibt es keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, damit anzufangen.
Maxime Weber ist Schriftsteller und freier Journalist. Er lebt in Berlin, wo er momentan seinen Master in Philosophie abschließt.
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