
Unterstützung für politische Gefangene des belarussischen Regimes
Autor: Jochen Zenthöfer
„Briefe an Gefangene sind kostbare Zeichen der Solidarität“, heißt es von der Initiative 100x Solidarität. Sie setzt sich mit einer Aktion für die Solidarität mit politischen Gefangenen in Belarus ein. Dort geht der Staat unter Diktator Alexander Lukaschenko seit den Wahlen 2020 mit brutaler Gewalt gegen Menschen vor, die friedlich gegen das gefälschte Wahlergebnis protestierten.
„Die Einsatzkräfte nahmen von August bis November 2020 in Zusammenhang mit den Protesten rund 40.000 Personen vorübergehend fest, 4000 Personen wurden schwer misshandelt oder auf andere Weise unmenschlich und unrechtmäßig behandelt. Acht Demonstranten wurden von Sicherheitskräften getötet oder starben im Zusammenhang mit ihrer Festnahme. Gegen mehr als 4500 Personen sind Strafverfahren eröffnet worden“, heißt es von der Initiative. „Seit Dezember 2020 ergehen wöchentlich Urteile in den politisch motivierten und unter Verstoß gegen die belarussische Verfassung, die Strafprozessordnung, und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit geführten Prozessen. Freisprüche gibt es nie, sehr selten wird ein Verfahren eingestellt.“
Mehrjährige Haftstrafen für einfachen Protest
Über 1000 Menschen sind bereits verurteilt worden, viele wegen einer „Teilnahme an Massenunruhen“ (§ 293 des belarussischen Strafgesetzbuchs) oder der „Organisation von und der Teilnahme an gemeinsam begangenem Landfriedensbruch“ (§ 342). Manchen werden auch Steuerhinterziehung (§ 243) oder Hooliganismus (§ 339) vorgeworfen. Seit Frühjahr 2021 verfolgen die Behörden des Landes jede Form der Kritik an ihrem Vorgehen als „Volksverhetzung“ (§ 130) und verurteilten eine große Zahl von Menschen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Zahl der politischen Gefangenen beträgt im Juni 2023 über 1000.
In manchen Fällen entließen die Sicherheitsbehörden Gefangene in den Hausarrest. Die Konditionen in den Haftanstalten sind teilweise menschenunwürdig: Die Oppositionelle Maria Kalesnikava berichtet etwa von schweren Misshandlungen. Überprüfen lassen sich die Informationen nicht.
Zur Unterstützung von Menschen wie Kalesnikaba haben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) – gemeinsam mit der belarussischen Menschenrechtsorganisation Vjasna (Frühling) – die Aktion 100x Solidarität gestartet, bei der viele Menschen Briefe an die Gefangenen senden. Zu den Unterstützenden gehören Prominente wie die Autorin Carolin Emcke oder der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas. Die Briefe sind auf der Webseite www.100xsolidaritaet.de vorformuliert und müssen nur ausgedruckt und verschickt werden.
Die politischen Gefangenen, die auf der Website aufgeführt werden, sind vom belarussischen Menschenrechtsrat als solche anerkannt. Der Rat orientiert sich unter anderem an den Kriterien von Amnesty International. Die Angaben über die Inhaftierten folgen denen der belarussischen Menschenrechtsorganisation Vjasna, die die Verhaftungen und Anklagen in Belarus dokumentiert und sich für die Gefangenen einsetzt. Trotz der Briefe bleibt der Kontakt zu den Inhaftierten begrenzt: Den direkten Kontakt haben ausschließlich Anwälte, individuelle Patenschaften können nicht vermittelt werden.
Briefe mit Absenderangabe versenden
Was jeder tun kann, ist aber, einen Brief abzusenden. „Der Absender sollte außen auf dem Umschlag notiert sein“, erklärt Ansgar Gilster vom Referat Migration und Menschenrechte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Diese Regelung wurde eingeführt und zählt zur Strategie, die Gefangenen zu isolieren. Denn vor allem Menschen in Belarus, die Briefe an die Gefangenen schreiben, sollen dadurch abgeschreckt und eingeschüchtert werden.“
Immerhin gebe es keinerlei Anzeichen dafür, dass das Regime die Absender der Briefe erfasst oder gar systematisch sammelt, so Gilster weiter. Allein: „Ob die Gefangenen immer auch den Umschlag erhalten, kann ich nicht sicher sagen. Dies kann auch von Gefängnis zu Gefängnis unterschiedlich gehandhabt werden.“
Den Unterstützenden bleibt die Gewissheit, dass sie ihre Solidarität ausgedrückt haben. Auch das ist ein hohes Gut: Man wisse über die Angehörigen und Anwälte, wieviel den Gefangenen Post bedeutet, wenn sie ankommt, sagt Gilster: „Ein Brief, der eintrifft, rettet die Stimmung in der Zelle über viele Tage! Zugleich ist jeder Brief auch ein Signal an das Regime, an die Postangestellten, die Mitarbeitenden in der Gefängnisverwaltung.“
Mit einer Antwort ist nicht zu rechnen
Auch eine Brieffreundschaft dürfte aus den Unterstützungsbriefen nicht entstehen. Gilster erklärt: „Nur in seltenen Fällen haben wir erfahren, dass es Antworten auf Briefe der Aktion gibt. Die Gefangenen haben meist kein Papier, keine Briefmarken und überhaupt die Möglichkeit, Post zu verschicken“, sagt er. „Gerade im Arbeitslager haben die Menschen auch keine Zeit und Kraft, um Briefe aus der Haft zu schreiben – oder nutzen die wenigen Gelegenheiten und Briefmarken, die sie haben, für Post an ihre Familie. Dies gilt umso mehr, wenn Menschen zusätzlich in Isolationshaft sind. Ich höre von Menschen in Belarus, die teilweise über Monate auf Antwort von Familienangehörigen und Freund*innen warten.“
Die Aktion 100x Solidarität bleibt trotz allem – oder gerade deswegen – ein wichtiges Zeichen: Dafür, dass die Gefangenen in Belarus weder allein noch vergessen sind.
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