(Reaktion von Jos Schürr auf Michel Cames, Droht Staatsversagen bei Mineralölsteuern?, in forum Nr. 370 / Februar 2017)
Es liegt wieder einmal eine Studie vor von Dieter Ewringmann, der schon so oft unseren Regierungen geholfen hat, wenn sie selbst in einem Problemfall nicht zu einer Lösung gekommen sind, leider nicht immer, aus meiner Sicht, zum Wohle des Landes.
War er es doch, der dazu beigetragen hat, dass nunmehr fast alle unserer Gemeinden bei Müll und Wasser eine fixe (d.h. eine von der Müllerzeugung bzw. vom Wasserverbrauch unabhängige) Gebühr sowie eine variable (d.h. eine von der Müllerzeugung bzw. vom Wasserverbrauch abhängige) Gebühr verlangen, ein Nonsens, wenn man auch über die Gebührengestaltung erreichen will, dass weniger Müll erzeugt bzw. weniger Wasser verbraucht wird.Hoffen wir mal, dass nach der aktuellen Studie von Herrn Ewringmann zum Tanktourismus keine negativen Regierungs-/Parlamentsbeschlüsse gefasst werden trotz dieser ermittelten, schaurigen Zahl von 3,5 Milliarden Euro Kosten, die der Luxemburger Tanktourismus verursachen würde. Ich betone „würde“, da die Höhe dieser Kosten auch davon abhängig ist, wie Tanktourismus definiert ist.
Was ich unter Tanktourismus verstehe, wird im folgenden versucht, herauszukristallisieren. Dabei gehe ich nach der Methode meines hochverehrten Juraprofessor vor, der bei der Lösung eines Falles immer verlangte, herauszuarbeiten, welche Paragrafen des BGH nicht heranzuziehen sind, um dann schlussendlich bei den richtigen Paragrafen zu landen.
FALL 1: Tanktourismus?
Ich habe Verwandte in der Oberpfalz. Sie besuchen uns einmal im Jahr mit ihrem PKW; das sind hin und zurück circa 800km. Selbstverständlich tanken sie in Luxemburg voll vor ihrer Rückfahrt; da sie nicht rauchen und auch nur Tee trinken, kaufen sie keine Tabakwaren, keinen Kaffee.
FALL 2: Tanktourismus?
Wir haben Freunde in NRW; diese besitzen an der Hunsrückhöhenstrasse ein Ferienhaus; wenn sie dort Ferien machen, besuchen sie uns; das sind hin und zurück etwas mehr als 150km. Selbstverständlich tanken sie in Luxemburg voll vor ihrer Rückfahrt und sie kaufen für ihre gesamte Familie Kaffee an der Grenze.
FALL 3: Tanktourismus?
Als ich noch nicht pensioniert war, also noch in meinem Beruf gearbeitet habe, da hat ein Werk von uns in Gent (Flandern) Schweißdraht produziert. Wir haben dieses Produkt per LKW auch in die Schweiz, auch nach Italien geliefert. Der LKW fuhr in Gent auf die Autobahn und weiter auf der Autobahn durch Luxemburg, Frankreich, Schweiz, Italien. Der LKW hat nicht in Belgien, auch nicht in Frankreich, auch nicht in Italien vollgetankt; vollgetankt hat er auf der Hin- und Rückfahrt in Luxemburg und in der Schweiz.
FALL 4: Tanktourismus?
Seit meiner Pensionierung produziere ich in der Toskana Olivenöl. Ich fahre viermal pro Jahr in die Toskana, Hin- und Rückfahrt sind 2.200km plus Autofahrten in Italien. Ich tanke bei Abfahrt in Luxemburg voll, tanke in Chiasso vor der Grenze Italien wieder voll und bei der Rückfahrt tanke ich in Italien nur so viel, dass ich Chiasso (Schweiz) ohne Tanken erreiche. Der volle Tank reicht bis nach Luxemburg.
Sind die Fälle 1 bis 4 Tanktourismus? Die Antwort ergibt sich aus der folgenden Annahme: Alle Länder hätten denselben Benzin- bzw. Dieselpreis. Würde in diesem Fall ein zusätzlicher Kilometer weniger gefahren und damit zusätzliche Belastung der Straßen und der Umwelt wegfallen? Nein, in keinem einzigen Fall. Eventuell jedoch würde an anderen Tankstellen nachgetankt werden, abhängig davon, wie freundlich man an den Tankstellen behandelt würde. Deshalb klare Antwort: Die Fälle 1 bis 4 sind kein Tanktourismus. Wann liegt denn dann Tanktourismus vor?
FALL 5: Tanktourismus?
Ein Autobesitzer aus Deutschland lebt circa 50 Kilometer entfernt von der Luxemburger Grenze. Macht er sich auf, um nach Luxemburg zum Tanken zufahren? Hin- und Rückfahrt sind 100km. Pro Kilometer entstehen diesem Autobesitzer für Treibstoffverbrauch und Abschreibung Kosten von 30 bis 50 Cent je nach Autotyp, also insgesamt 30 bis 50 Euro. Angekommen in Luxemburg tankt er voll, also in etwa 50 Liter, mit einer Preisdifferenz von 30 Cent pro Liter, also insgesamt 15 Euro Preisvorteil. Wenn dieser Autobesitzer die vier Grundrechnungsarten beherrscht, wird er nicht zum Tanken nach Luxemburg aufbrechen. Also wieder kein Tanktourismus.
Fall 6: Tanktourismus?
Ein Autobesitzer aus Deutschland lebt circa 10 Kilometer entfernt von der Luxemburger Grenze. Macht er sich auf, um in Luxemburg zu tanken? Hin- und Rückfahrt sind 20km. Nach der obigen Rechnung würden diesem Autobesitzer zusätzlich Kosten von 6 bis 10 Euro entstehen, bei einem Preisvorteil durchs Tanken von 15 Euro. In diesem Fall würde auch ich von Tanktourismus sprechen.
Resümee: Wenn diese Definition von Tanktourismus, der tatsächliche Kosten verursacht durch die zusätzliche Belastung von Straßen und Umwelt, auch Herr Ewringmann akzeptieren könnte und wenn er dann auf dieser Basis die zusätzlich entstehenden Kosten berechnen würde, was wäre dann das Resultat? Die Summe von zusätzlichen Kosten von 3,5 Milliarden Euros würde zwar nicht gegen Null tendieren, aber sicherlich substantiell niedriger sein.
Eine Entscheidung über Maßnahmen zur Eindämmung des Tanktourismus wäre gegenstandslos.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!