Climate Diary 6

25. September (Mittwoch)

„Alles ist vergänglich“

Kennst du das Gefühl, etwas zu erleben, das von heute auf morgen nicht mehr da ist? Das Gefühl, in einem Moment zu glauben, du hättest Kontrolle, um dann zu merken, dass du sie überhaupt nicht hast? Du denkst, etwas würde für immer so bleiben, wie es ist, und irgendwann stellst du fest: „für immer“, das gibt es nicht. Du wachst auf und merkst, dass alles anders ist?

Das Leben ist ein Kommen und Gehen von Momenten, ein Kommen und Gehen von Menschen und Gesprächen. Es gibt die ausgesprochenen Wörter, die in der Luft schweben und ihre Zuhörer finden, und es gibt das nie Ausgesprochene, das, was tief in einem selbst verschlossen ist. Das Schwierige ist, dass bestimmte Situationen vielleicht gar nicht so sind, wie man sie in einem Moment empfindet, weil man nicht in der Lage ist, die Komplexität der Situation zu verstehen. Selten hat man ein globales Bild, und oft beschränkt sich unsere Realität auf die Grenzen unserer Sinne.

Ich habe in der letzten Zeit oft das Gefühl, dass wir alle zwar physisch auf demselben Planeten leben, doch innerlich befindet sich jeder in einer eigenen Welt. Was dir wichtig ist, ist vielleicht nicht wichtig für Marie, der liegt etwas am Herzen, was Frank nicht kratzt, und dann gibt es noch Jean-Claude, der ganz was anderes macht.

Als ich jünger war, lebte ich in einer heilen Welt. Im Schutze meines Großvaters, umgeben von meinen Eltern und meiner Familie, in einem Land, das unverkennbar viele Vorteile bot. Und trotzdem hab ich schon als Kind gemerkt, dass etwas nicht richtig ist an der Situation, in der wir leben.

Sehr lange habe ich nicht verstanden, warum Menschen das tun, was sie tun. Warum Menschen so sind, wie sie sind. Ich habe lange geglaubt, der Mensch sei mit seinem Gehirn allem überlegen. Doch unsere Handlungen zeugen vom Gegenteil. Unser Denken war nie dafür vorgesehen, weitsichtig zu sein und langfristig zu denken. Wir werden durch Gefühle gesteuert, durch Angst und Liebe verführt. Das Morgen ist uns egal, solange wir heute ein Glücksgefühl ergattern können.

Heute Abend hatte „Mouvement Écologique“ einen Referenten eingeladen. „Wir geben uns Ziele, die wir in 15 bis 20 Jahren erreichen wollen, aber wir geben uns nicht die Mittel, um diese Ziele zu realisieren“, stellt er fest. Und dann fragte er: „Wie wollen wir das schaffen?“ Es saßen Experten zu verschiedenen Themenbereichen, die im Kampf gegen den Klimawandel relevant sind, im Publikum. Es kam zum Austausch. Und doch: Ich konnte nicht bis zum Schluss dabei sein.

Ich bin geflüchtet, weil mich gestern Abend, da so unter Gleichgesinnten sitzend, die Angst überkam. Weil ich vielleicht auch gestern Abend die Wahrheit nicht ertragen wollte. Beim Rausgehen hab ich noch Flyer am Empfang gelassen, denn am Freitag steht der große „Earth Strike“ an, aber gestern: nichts wie raus. Frische Luft, durch die Dunkelheit des Parks, weg. Weg von der Realität.

Vielleicht ist es das, was Menschen davon abhält, der Realität ins Auge zu blicken: Sie sind sich zwar bewusst, wie schlimm es um uns alle steht, wollen es aber einfach nicht wahrhaben – gerade, weil es so schlimm um uns steht. Also mal so tun, als ob alles gut wäre – so lang, bis es dann nicht mehr geht. Oder wir sind einfach nur zu faul, zu geizig, zu stur, zu süchtig, um das aktuelle zerstörerische System für eine lebbare und gerechte Zukunft zu stürzen.

In der Lehre von Satya N. Goenka wird folgender Satz endlos wiederholt:„accept reality how it is, not how you want it to be“

accept reality how it is, not how you want it to be

accept reality how it is, not how you want it to be

Ich hab für heute nicht mehr zu sagen…

 

Fuchs.

Luxemburg, 25. September 2019

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