
Anne Schaaf
Pornös fair
Besser hätte die Autorin des Beitrags über den Pornokonsum von Luxemburger:innen im aktuellen forum-Heft es wohl nicht ausdrücken können, als sie die Situation der Selbstquarantäne, sozialer Distanzierung und Ausgangssperren als Zeiten umschrieb, „in denen sich jeder selbst am nächsten ist“. Tatsächlich schnellten weltweit die Besucher:innenzahlen auf Seiten mit sexuellem visuellen Inhalt ab dem Moment hoch, als der Lustbefriedigung außerhalb der eigenen vier Wände ein Riegel vorgeschoben wurde. Masturbation oder schlicht das Ausleben der eigenen Lust in seinen mannigfaltigen Facetten können – wenn hierdurch niemand unfreiwillig miteingebunden, gestört oder akut lärmbelästigt wird – durchaus als gesunde Elemente der Psychohygiene gelten und dürfen zu wertvollen Tools im Bereich der sogenannten Selfcare zählen. Außerdem stärken Orgasmen das Immunsystem, wodurch man löblicherweise nicht nur sich selbst, sondern auch andere schützt. Bevor man sich aber einem Preislied an die lebensrettenden Masturbator:innen dieser Welt allzu sehr hingibt, sollte im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus den Augen verloren werden, was diese sich zum Zwecke der Luststeigerung eigentlich anschauen.
Pornogegner:innen argumentieren häufig damit, dass im Bereich dieses Filmgenres ausschließlich Produktionen entstünden, die sich jenseits jedweder Legalität bewegten und somit unkontrollierbar seien. Zwar entstehen nach wie vor derartige Clips, bei denen unter anderem das vorgeschriebene Mindestalter nicht eingehalten, geschweige denn auf Konsens und das Wohlbefinden des Gegenübers geachtet wird. Indes machen diese nicht den Hauptteil jenes Contents aus, der die Server von Pornoanbieter:innen heiß laufen lässt und die Sehgewohnheiten der Durchschnitts-Onanierenden bestimmt. Der dort auffindbare Mainstreamporno ist das Resultat einer hochprofessionalisierten Maschinerie, mit der zahlreiche Reglementierungen einhergehen. Dies sollte dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Darsteller:innen – wie etliche andere Berufstätige auch – einem extremen Leistungsdruck gegenüber sehen und mit Sicherheit nicht auf die gleiche gewerkschaftliche Vertretung wie etwa luxemburgische Staatsbeamt:innen zählen können. Und das, obwohl beide nur ausführen, was von ihnen verlangt wird.
Deswegen lohnt sich eine eingehendere Beschäftigung mit dem Bereich des sogenannten Fair Porn, seinen Produzent:innen und Akteur:innen. Dieses Subgenre zeichnet sich einerseits durch faire Arbeitsbedingungen für alle am Filmset aktiven Arbeiternehmer:innen aus. Damit geht fast immer einher, dass User:innen auf spezialisierten Plattformen eine gesellschaftliche Verantwortung für ihren Konsum übernehmen und für den Zugang zahlen müssen. Anderseits wird bei den vermittelten Inhalten auch Wert auf die Abbildung von vielfältigen sexuellen Identitäten, Altersgruppen und Körperformen gelegt. Produktionen mit dem Fair porn-Label positionieren sich häufig nicht nur durch das visuell Dargebotene politisch, sondern lassen ab und an auch politische Debatten in ihre Filme mit einfließen. In der Regel stößt man demnach auf sexpositive, feministische und alles andere als heteronormative Inhalte, denen jede:r auch über den Orgasmus hinaus noch nachgehen kann. (Hier finden Sie eine Liste mit alternativen Porno-Angeboten. Es lohnt sich ebenfalls, den TED-Talk der schwedischen Pornoproduzentin Erika Lust zu hören.)
Anne Schaaf ist Journalistin und angehende Historikerin. Seit Jahren bereits beschäftigt sie sich mit den Themen Porno und Sex. Sie hat das aktuelle forum-Dossier zum Thema „Sex“ koordiniert und darin drei Beiträge verfasst: „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Einführung ins Dossier“, in: forum 405, April 2020, S. 35-37; „Der Storch hat ausgedient. Sexuelle Bildung in Luxemburg“, in: ebd., S. 38-42; „The kids are alright. Ein kurzes, recht subjektives Plädoyer dafür, die junge Generation nicht für dumm zu verkaufen“, in: ebd., S. 72-73.
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