Farm-to-fork – Vom Hof auf den Tisch
Für nachhaltigere Lebensmittelsysteme
Leere Regale in der Konservenabteilung der Supermärkte, mehrwöchige Wartefristen für Nudel- und Mehllieferungen bei gleichzeitigen Milch- und Rindfleischüberschüssen. Während der letzten Monate belegte die COVID-19-Pandemie eindrucksvoll und in kürzester Zeit, wie schnell globale Lieferketten zusammenbrechen und wie wesentlich die Lebensmittelversorgung für die Gesellschaft ist. „Resilienz“ lautet der Fachausdruck – Lebensmittelversorgungsketten und Ernährungssysteme müssen resilienter werden, um für alle Bürger eine dauerhafte und in ausreichender Menge vorhandene Versorgung mit gesunden und erschwinglichen Lebensmitteln gewährleisten zu können. Genau das schlägt u. a. die kürzlich veröffentlichte Farm-to-fork-Strategie der Europäischen Kommission vor.1 Mit dem expliziten Ziel, den Weg zu einem fairen, gesunden und nachhaltigen Lebensmittelsystem aufzuzeigen, will sie u. a. auch einen Plan zur Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und der Ernährungssicherheit initiieren, welcher in Krisenzeiten in Kraft treten kann. Eigentlich für Anfang des Jahres geplant, verzögerte sich die Veröffentlichung bis Ende Mai, weshalb durch die Pandemie entstandene Erkenntnisse berücksichtigt und integriert werden konnten. Die Strategie steht im Zeichen der Transformation hin zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem für Europa und zielt ausdrücklich darauf ab, alle Teilnehmer der Lebensmittelkette mit einzubeziehen. Sie enthält daher eine Vielzahl an Vorschlägen sowohl für Landwirtschaft, Verarbeitung und Vertrieb als auch für Forschung, Entwicklung und den Verbraucher. Als Kernstück des Green Deal soll sie insbesondere zu einer nachhaltigen Wachstumsstrategie Europas beitragen.
Wachstum neu denken
Die rezente Pandemie hat eindrucksvoll die Grenzen des globalen Wachstums im Bereich der Lebensmittelproduktion aufgezeigt. So wurde etwa vermehrt über die Überproduktion von Milch und ihre Vernichtung berichtet, da durch die Globalisierung entstandene Absatzmöglichkeiten am Weltmarkt zum Erliegen kamen und es nicht möglich war, alle produzierten Übermengen zu lagern. Hinsichtlich der Abnahme von Rindfleisch entstanden ebenfalls Probleme, da die Gastronomie ihre Aktivitäten einstellen musste, während weiterhin Importe auf den europäischen Markt stattfanden. Parallel legte die Krise eindrucksvoll die Bedeutung der lokalen Produktion, Verarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln für die Versorgung der Bevölkerung offen. Sie unterstrich somit nachdrücklich, dass ein nachhaltiges Wachstum in der Lebensmittelproduktion nicht nur global stattfinden kann, sondern neu ausgerichtet werden muss. Durch die verschiedenen pandemiebedingten Einschränkungen entstanden gleichzeitig aber auch viele innovative lokale und regionale Absatzlösungen, ermöglicht und vereinfacht durch digitale Vernetzungsmöglichkeiten. Unter anderem konnten auch auf dem luxemburgischen Markt Geschäftsmodelle in kürzester Zeit umstrukturiert werden – Großhändler schafften neue Absatzschienen für Privatkunden, und in der Gastronomie tauchten unzählige Lieferservices für den lokalen Markt auf. Intelligent kombinierte Ideen sachkundiger Unternehmer ermöglichten diese Fortschritte. Genau diese in den Betrieben selbst entstandenen Innovationen und Entwicklungen werden zum Ausbau nachhaltiger Ernährungssysteme gebraucht. Die europäische wie auch die nationale Politik könnten hier methodisch ansetzen und im Zuge der neuen Strategie Instrumente schaffen, welche diese kreativen, innovativen Ansätze für den Absatz und somit das Wachstum innerhalb der Mitgliedstaaten gezielt stimulieren. Die Fachkenntnis und Erfahrung aller Akteure des Lebensmittelsystems wären hier von Vorteil. Die vorgesehenen Förderprogramme der Farm-to-fork-Strategie, mit denen die angestrebte Transition ermöglicht werden soll, zielen auf die Bereiche der Forschung, Innovation, Technologie und Investitionen. Es bleibt bislang aber unklar, ob derartige sachkundige Innovationen über die einzelnen Mitglieder der Lebensmittelkette hinweg gestützt werden, da landwirtschaftliche und für das nachgeschaltete Gewerbe vorgesehene Förderungen meistens aus verschiedenen Programmen schöpfen. Da im Bereich der Lebensmittelproduktions-, -transformations- und -distributionskette Nachhaltigkeit und Resilienz vor allem auch durch die entsprechende Vernetzung der Beteiligten sowie einen robusten Aufbau der passenden Lieferketten entstehen, sollten entsprechende Zuschüsse unbedingt auch bereichsübergreifend gewährt werden.
Interessant scheint in diesem Zusammenhang das rezent auf nationaler Ebene vom Wirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit Luxinnovation ausgearbeitete Programm „Fit for resilience“, welches innovative und resiliente Geschäftsmodelle der Post-COVID-19-Phase fördern und begleiten will. Der Ansatz ist sinnvoll, der Fokus liegt aber nur auf der Unterstützung der einzelnen Betriebe, obwohl es im Bereich nachhaltiger Lebensmittelsysteme sinnvoll wäre, die Kooperation innerhalb der Lieferkette beratend zu unterstützen und dadurch zu fördern.
Der Verbraucher soll sich für eine nachhaltige und gesunde Ernährung entscheiden
Die Strategie will dem Konsumenten sämtliche Informationen zur Verfügung stellen, um ihn zu selbstbestimmten Entscheidungen in Sachen gesunder und nachhaltiger Ernährung zu befähigen. Die Europäische Kommission sieht in ihrer Mitteilung eine vereinfachte Darstellung der Nährwerte auf der Verpackungsvorderseite der Lebensmittel verpflichtend vor. Dieser Entscheidung gehen die in einer Reihe von Mitgliedstaaten bereits bestehenden Initiativen einer zusätzlichen vereinfachten Kennzeichnung der Nährwerte (Energie, Kohlenhydrate, Zucker, Fett, gesättigte Fettsäuren, Proteine, Salz) auf freiwilliger Basis voraus. Entsprechende Forderungen wurden vermehrt auch von Verbraucherorganisationen und Vertretern der Zivilgesellschaft gestellt. Ein transparenteres Labelling der Nährwerte soll außerdem die Hersteller dazu anregen, die Zusammensetzung ihrer Produkte zu überdenken und gesünder auszurichten. Verpflichtende Ursprungs- und Herkunftsangaben, welche bislang nur eine Reihe von Erzeugnissen (v. a. Obst/Gemüse, Fleisch, Honig, Eier) betreffen, sollen ebenfalls erweitert werden, um dem Konsumenten mehr Transparenz zu garantieren und ihm somit die Möglichkeit zu eröffnen, sich für einen nachhaltigeren Konsum zu entscheiden. Die Kommission will darüber hinaus eine Harmonisierung von freiwilligen Nachhaltigkeitskennzeichnungen unter den Aspekten Nährwert, Klima, Umwelt und Soziales prüfen. Zusätzliche Klarheit soll die Interpretation der Haltbarkeitsdauer von Lebensmitteln bieten und dazu beitragen, die Lebensmittelverschwendung einzuschränken. Der Verbraucher soll also zukünftig einfacher erkennen können, ob er eine gesunde Nahrungsmittelauswahl trifft, in der Lage sein, den für ihn passenden Ursprung der Produkte wählen und durch verbesserte Information bezüglich Haltbarkeitsdauer der Lebensmittel aktiver zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung beitragen zu können. Er wird also offensichtlich dazu angeregt, mitzuentscheiden sowie bewusst und verantwortungsvoll zu handeln.
Ziele abgleichen
Die Verantwortung soll aber nicht allein auf den Konsumenten abgeschoben werden. Die gesamte Lebensmittelkette „Vom Hof auf den Tisch“ soll zur Schaffung eines nachhaltigen Lebensmittelsystems miteinbezogen werden. Eine große Herausforderung besteht daher in der entsprechenden Koordinierung und Zusammenarbeit aller betroffenen Kompetenzbereiche wie Landwirtschaft, Klima, Umwelt, Wirtschaft, Gesundheit, Forschung und Entwicklung, um Politiken aufeinander abzustimmen und bereits bestehende Ansätze weiterzuentwickeln.
Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene existieren bereits eine ganze Reihe von Aktionen mit komplementären beziehungsweise sich überlappenden Zielsetzungen, die auf eine Transition hin zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem ausgerichtet sind. So veröffentlichte die Europäische Kommission zeitgleich zur Farm-to-fork- auch eine Biodiversitätsstrategie. Beide Mitteilungen sehen u. a. bis 2030 die Reduktion der Pestizide um 50 % sowie den Ausbau der ökologisch genutzten Landflächen auf 25 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen vor. Die für den Bereich des Energie- und Klimaschutzes zu erstellenden Pläne in den Mitgliedsstaaten geben ebenfalls Richtlinien für die Landwirtschaft vor und tragen zu den Zielen eines nachhaltigen Ernährungssystems bei. Luxemburg etwa sieht in seinem Plan 20 % Biolandwirtschaft bis 2025 vor. Hinsichtlich der in der Agenda 2030 festgelegten Sustainable Development Goals bestehen in Luxemburg wie auch in anderen Mitgliedstaaten Nachhaltigkeitsstrategien oder auch sogenannte Roadmaps. Quer durch die Länder gibt es Initiativen zum Ausbau der biologischen Landwirtschaft oder auch Programme zur gesunden Ernährung, welche in den Bereich der Farm-to-fork-Strategie wirken. Eine Konsolidierung aller dieser Vorhaben wäre also angebracht. Ein nationales Gremium, zusammengesetzt aus den verschiedenen Ressorts, könnte die zur Umsetzung wichtigen Instrumente aufeinander abstimmen und so eine effiziente Lenkung der angesprochenen Politiken gewährleisten. Parallel würde damit der Öffentlichkeit auch die zugrunde liegende Logik zugänglich gemacht und dadurch die entsprechende Akzeptanz gefördert.
National wäre es zum Beispiel durch das Zusammenlegen verschiedener Instrumente im Bereich der Gesundheit und Nachhaltigkeit möglich, die im Programm „Gesond iessen, méi bewegen“ formulierten Empfehlungen mit dem Vorschlag, regionale und lokale Produkte zu bevorzugen, zu verknüpfen. Sowohl die Landwirtschaft als auch die Umwelt und Gesundheit könnten nachhaltig profitieren, indem lange Transportwege vermieden, die regionale Landwirtschaft gestärkt und frischere Produkte bevorzugt werden. Diese Interdisziplinarität könnte durch eine Umformulierung in „Gesond an nohalteg iessen, méi bewegen“ in den angesprochenen Bereichen aufgezeigt werden.
Das aktuelle Koalitionsprogramm sieht mit dem Ziel „eine nachhaltige Landwirtschaft im Interesse der Landwirte, der Umwelt und des Verbrauchers“ zu fördern, die Bildung von Clustern vor. Durch eine intelligente transversale Zusammenstellung könnten diese für die Transition zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen sehr hilfreich sein. Cluster, die beispielsweise Landwirtschaft und Wirtschaft verbinden, könnten die Neuauslegung landwirtschaftlicher Produkte direkt an deren Vertrieb und Verarbeitung koppeln oder es dem Verbraucher ermöglichen, direkt zusammen mit den Landwirten Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele anzugehen.
Die Herausforderungen hinsichtlich eines nachhaltigen Wachstums und der Klimaneutralität Europas sind gewaltig. Die Farm-to-fork-Strategie enthält das Potenzial, durch die vielfältige, tiefgreifende Vernetzung des Lebensmittelsystems in den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft gestaltend zu wirken und somit zum Antrieb nicht nur für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem, sondern für ein durchgängig nachhaltiges Wachstum zu werden.
- https://ec.europa.eu/food/farm2fork_en (letzter Aufruf: 25. Juni 2020).
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