forum-Ausgabe 257 mit einem Dossier zum Thema „Neutralität“

Liebe forum-Leser,

vor der Moral kommt das Geschäft. Das wussten wir bereits. Aber wer macht das Geschäft und mit wem? Beim Übernahme-Poker zwischen dem Arcelor-Management und Mittal Steel muss man sich immer neuen Fragen stellen.

Warum das Management die Kontrolle am europäischen Vorzeige-Unternehmen Arcelor lieber in die Hände von SeverStal legen möchte, bleibt rätselhaft. Ist das europäische Sozial-modell, die Rücksicht auf Umwelt und Sicherheit sowie die „industrielle Logik“ von Arcelor (die Ausrichtung auf Hochqualitätsprodukte), die die Identität des Unternehmens ausmachen sollen, in den Händen des russischen Stahlmagnaten wirklich besser aufgehoben als bei Lakshi Mittal? Die Vorgeschichte des Putin-Mannes Alexei Mordashov gibt zu diesem Vertrauen jedenfalls wenig Anlass. Eine naheliegende Erklärung für das Vorgehen, das sich als erstes einmal gegen die eigenen Aktionäre richtet, wäre natürlich der Wunsch der Arcelor-Verantwortlichen, ihre Chefsessel noch für ein paar Jahre zu retten. Eine weniger banale Erklärung könnte sein, dass Kontinentaleuropa die Sicherung seiner Ressourcen (Gas, Erdöl, Kohle und Eisenerz) in einer strategischen Partnerschaft mit Russland anstrebt und dafür die Verzahnung der entsprechenden Unternehmen fördert. Dass dies höchst riskant ist, hat die Ukraine vor wenigen Monaten erleben dürfen, als das „demokratische“ Russland für einige Tage den Gashahn zudrehte.

Um Ressourcensicherung geht es nicht in der aktuellen forum-Ausgabe sondern um Selbstwahrnehmung Luxemburgs und Interpretation von Geschichte. Im Zentrum des Heftes steht ein Dossier zur Neutralität, ein Begriff der fast hundert Jahre lang die Außenbeziehungen des Landes prägte. An dem Thema lässt sich gut illustrieren, wie wenig eindeutig das Urteil der Geschichte ist und dass dieses Urteil zu einem Teil immer Rechtfertigungscharakter hat, d.h. Interessenwiderspiegelt, die bis in die Gegenwart reichen. Neben den Historikern Gilbert Trausch, Michel Pauly und Steve Kayser haben Charles Goerens und Lex Folscheid zu diesem Dossier beigetragen.

Auch Henri Wehenkel spricht in seinem Beitrag zur historischen Aufarbeitung der Kollaboration die Frage an, wie kollektive Selbstwahrnehmung konstruiert wird – im Falle der Kollabortion durch die Justiz und durch die Geschichtsschreibung und -forschung. In seltenen Momenten erhält auch der Politiker die Gelegenheit, seine Sicht der Geschichte zu formulieren und gewisse Interpretationsmasken zu kodifizieren. Die Ansprache von Premierminister Jean-Claude Juncker bei der Verleihung des Karlspreises am 25. Mai 2006 war ein solcher Anlass. Wir dokumentieren die Rede in Auszügen. Weisen wir noch auf ein Interview mit Justizminister Luc Frieden hin, das zeigt, wie vorsichtig die Regierung an die „Integration“ von 39 % der Wohnbevölkerung des Landes herangeht.

Wir hoffen, dass Sie mit dieser forum-Ausgabe einige interessante und anregende Lektürestunden vor sich haben und wünschen Ihnen dazu Ruhe und Muße.

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