Hans Küng

Ein Theologe mit Wumms und Stacheln

Hans Küng ist am 6. April dieses Jahres friedlich eingeschlafen. Seine Schriften, allen voran Christsein (1974) und Existiert Gott? (1978), haben vielen Christen in Luxemburg und in forum die Botschaft Jesu nähergebracht. Allerdings haben sein geschichtlicher und narrativer Ansatz im Dienst einer historisch verantworteten Rede von Jesus Christus sowie sein Engagement für die Wahrheitsfähigkeit und Gewissensfreiheit des Einzelnen teils zu heftigen Konflikten mit der kirchlichen Hierarchie geführt. 

Herausforderungen der Moderne

Mit der Moderne entstanden spezifische Herausforderungen für alle Institutionen und Autoritäten. Dies galt auch für die Theologie. So haben u. a. auch die großen deutschsprachigen katholischen Theologen nach neuen Wegen gesucht, Theologie am „Ende der Metaphysik“ (Ratzinger) zu betreiben. Für Bernhard Welte ist der Mensch vor die Zweideutigkeit des Nichts gestellt und muss sich zwischen dem nichtigen Nichts und der Möglichkeit eines Gottes entscheiden. Für Hans Urs von Balthasar kommt das Ich durch die Liebe des Du zu sich selbst. Gott als absolute Liebe ist nicht notwendig und wird nur in Liebe und Freiheit begriffen. Karl Rahner entwickelte eine Theologie des Menschen als eines transzendierenden Wesens. Johann Baptist Metz und andere Vertreter der neuen politischen Theologie reflektieren vor allem die Praxis des Glaubens in den unterschiedlichen epochalen und gesellschaftlichen Kontexten.

Küng geht vom Streben des Menschen nach Freiheit und Selbstverantwortung aus. Wahrheit ist Geist und muss zu jeder Zeit neu erkannt und erarbeitet werden. Dogmen und Bekenntnisse bilden keine versteinerten Formeln und sind der Geschichtlichkeit auch nicht enthoben. Autorität muss sich nun als kreative in der Geschichte bewähren. 

Unfehlbarkeit des Papstes (1970)

Aufgebracht durch die Dogmatisierung der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (1950) und vor allem durch die Pillenenzyklika Humane Vitae (1968) stellt Küng die Frage, ob man die päpstliche Autorität über das Gewissen des einzelnen Gläubigen stellen kann. Welche Legitimität und Autorität haben theologische Entscheidungen des Papstes? Können sie als unfehlbar gelten? Küng zeigt, dass Dogmen nicht übergeschichtlich sind, sondern ihren Sitz im Leben haben. Sie sind wohl Dämme gegen Häresien, aber unterliegen auch selbst der Gefahr, ideologischen und machtpolitischen Interessen zu dienen. Machtpolitische Interessen aber spielen für Küng eben eine Rolle bei der Definition des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes. 

Nicht nur für Küng kommt Humane Vitae einem Dammbruch gleich. Viele Katholiken brechen daraufhin mit der katholischen Gehorsamstradition. Die Kirche steht sich selbst im Weg. Viele hoffen dennoch, in ihr auch weiterhin oder erstmals einen Platz zu finden. Ihnen geht es um einen Ort, an dem die Gottesfrage mit all ihren Schwierigkeiten und in Bezug auf die jeweiligen Lebenswirklichkeiten diskutiert und experimentiert werden kann. In Luxemburg war u. a. die Jugendpor so ein Ort. Für eine solche Kirche des Dialogs und der Glaubenspraxis will sich Küng verstärkt einsetzen.

Christsein

1974 publiziert Küng Christsein. Das Buch hat einen unheimlichen Publikumserfolg und löst Diskussionen in der katholischen Kirche aus. Worum ging es ihm?

Ausgehend vom Menschen auf der Suche nach seinem Subjektsein, seiner Stelle und seiner Verantwortung in der Welt, entwickelt Küng eine Christologie von unten. So vermittelt er einen narrativen Zugang zum „historischen Jesus“, der immer neu inspirieren kann, anstatt durch die Fülle von philosophischen Kategorien (z. B. Jesus Christus als eine Person in zwei Naturen, göttlich und menschlich, unvermischt/vereint) den Zugang zu verhindern. Küng geht es um die Identifizierung mit Christus als dem Stellvertreter Gottes, und seiner Botschaft der Befreiung. Es geht dabei um die definitive „Menschwerdung des Menschen“. 

Küngs historisch-kritische Rückbesinnung auf Jesus will die späteren philosophischen Bestimmungen Jesus Christi nicht einfach fallen lassen, sondern aufgrund ihrer Entstehung in einem hellenistischen Kontext dekonstruieren und interpretieren. Hiermit steht er natürlich in Opposition zu Josef Ratzinger, der der Meinung ist, „dass jeder Rückzug ins bloß Semitische und jeder Versuch einer Ausscheidung des Griechischen aus dem Christlichen als Rückzug hinter die Universalität des Auferstandenen abzulehnen ist.“1

Mit ambivalenten Gefühlen betitelten manche Kollegen Christsein zusammen mit dem vier Jahre später erschienenen Buch Existiert Gott? – Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit als summa pro paganis. Das Wort Gott steht für eine nie beweisbare vertrauende, aber vernünftige Grundhaltung gegenüber dem Leben, Offenheit für die nicht abschließbaren Grundfragen, für eine Treue zur Welt und eine Lebenspraxis im Dienst des Heils. 

 Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis

Nach einem Jahr Pontifikat von Johannes Paul II. zieht Küng Zwischenbilanz und fordert Reformen auf den Gebieten Unfehlbarkeit und Jurisdiktionsprimat des Papstes, Sexualmoral, Marianismus, Pflichtzölibat, Frauenordination, partizipative Leitung innerhalb der Kirche, Unterstützung der Befreiungstheologie. Das passt dem Papst nicht, der die Kirche eher als „Bastion“ gegen den Kommunismus und die „postmoderne Beliebigkeit“ entwickeln wollte. In einer „Nacht- und Nebelaktion“ – „einem Coup“ (Karl Lehmann) – wird Küng im Dezember 1979 die kirchliche Lehrbefugnis entzogen. 

Ratzinger, damals Bischof von München-Freising, sagt dazu: „Nicht die Gelehrten bestimmen, was an dem Taufglauben wahr ist, sondern der Taufglaube bestimmt, was an den gelehrten Auslegungen gültig ist.“ Mit dem Buch Unfehlbar? habe Küng eine folgenschwere Grundentscheidung getroffen: Er betreibe nun „Theologie sozusagen im Alleingang, allein mit sich und der modernen Vernunft […] ohne den gemeinschaftlichen Grund der verbindlichen Aussagen des Glaubens im formulierten Credo der Kirche“.2

Das Projekt Weltethos 

Küng bekommt einen fakultätsunabhängigen Lehrstuhl für ökumenische Theologie in Tübingen. Sich selbst treu wendet er nun die Theorie des Paradigmen­wechsels von Thomas S. Kuhn auf die Religionsgeschichte an. Weiterhin engagiert für die Gestaltung einer menschenwürdigen Zukunft, fragt er, was Religionen zur Lösung der Konflikte in unserer Welt beitragen können. Hieraus entwickelt sich das Projekt Weltethos (1990). Die Globalisierung mit all ihren Problemen braucht ein globales Ethos. Ethische Regeln lassen sich von der Vernunft ohne Rückgriff auf eine transzendente Instanz entwickeln und leben. Eine Letztbegründung der Normen ist für den Philosophen nicht möglich. Die Unbedingtheit und Universalität sittlicher Normen gelingt dem Menschen nicht ohne Religion, so Küng. Bei Küngs Treffen mit Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005 waren beide sich über die Notwendigkeit eines Weltethos, das sowohl Gläubige wie Atheisten oder Agnostiker anspricht, einig.

Angesichts des Konflikt- und Gewaltpotenzials von Religionen ging es Küng auch um die Friedensfähigkeit der Religionen. Durch den Dialog zwischen Religionen und Philosophien soll sich der Frieden zwischen den Kulturen entwickeln. Wiederum geht es Küng um die Menschwerdung des Menschen: um die Förderung von Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Partnerschaftlichkeit der Geschlechter und ökologische Verantwortung. Dazu forscht auch das Weltethos-Institut in Tübingen. Ein Netzwerk von Schulen versucht die Weltethos-Idee im Schulalltag zu erproben und zu leben. Zu diesem Netzwerk gehört auch das Athénée in Luxemburg.

Küng liebte die Kirche auf seine Art, so schreibt es Yves Congar in Le Monde vom 2. Januar 1980: „Il l’aime à travers son propos de sincérité absolue à l’égard de l’histoire et des besoins du temps, à travers son étude personnelle, à travers les requêtes et les espérances d’un peuple de la base, des questions décapantes posées par la Réforme et par la critique moderne […]. Église de Dieu, ma Mère, que vas-tu faire de cet enfant difficile, mon frère?“  

  1. https://tinyurl.com/pne2h6us (letzter Aufruf: 26. April 2021).
  2. Ebd.

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