Reichtum macht nicht frei

Ein stoisch-mystischer Rat zum Umgang mit Geld

Begegnung, Beratung, Bucherstellung: Coaching zum Reichtum

Bis heute bekannt ist ein Großer des Spätmittelalters, der zwar nicht reich an Geld, jedoch an Geist war, und damit gar nicht geizte: Magister Eckhart von Hochheim (1260-1328), genannt Meister Eckhart. Er war der Ordensgeneral der Dominikaner in Thüringen, ein brillanter Theologe an der Pariser Sorbonne in der Nachfolge von keinem Geringeren als Thomas von Aquin. Dieser umtriebige Intellektuelle hatte sich zusätzlich zu seiner Schriftgelehrsamkeit bereits einen Ruf als Mystiker gemacht und war als Gratwanderer zwischen Geistadel und Geldadel, Mystischem und Mondänem auch ein gefragter Berater für gekrönte Häupter. Anfang des 14. Jahrhunderts war eine schöne feudale Dame in ratsuchende Bedrängnis gekommen: die Habsburgerin Agnes von Ungarn (1281-1364), früh verwitwet, hatte durch politische Anschläge Gatten und Vater verloren und lebte nun im Kloster Königsfelden zurückgezogen mit Gott und der Welt hadernd. Was war das Leben wert, wenn es an einem seidenen Faden hing? Was war der Reichtum wert, wenn von überall Feinde lauerten?, sann die unfreiwillige junge Einsiedlerin und sandte zu dem Denker aus Deutschland, der das Verhältnis der idealen Christenseele zur korrupten „Frau Welt“ so gut kannte. Der Ausnahme-Theologe brachte der von der Höhe der high society unvermittelt in Platons Höhle zurückgezogenen Dame nun etwas Bemerkenswertes über Reichtum bei. Was damals so Wertvolles verhandelt wurde, ist uns erhalten geblieben in seinem Werk Das Buch der göttlichen Tröstung. Eckhart in seiner Paraderolle als „Lehr- und Lebemeister“ gibt dort 30 Trostgründe an, warum Tod und Teufel den Gerechten nicht schrecken können, und sogar auch nicht, schlimmer noch, der Verlust von Penunzen. Er argumentiert, dass die Christenseele durch nichts erschüttert werden könne, denn schließlich sei Christus am Kreuz gestorben, und arm sei er bekanntlich auch gewesen. Wie könne also irgendein Gerechter sich einbilden, mit weltlichem Reichtum und Status ins Himmelreich einzuziehen?  

Die Nachfolge Christi und das liebe Geld: abschaffen oder rechtfertigen?

Eckhart als spiritueller Berater war bereits modern, so wie seine Zeit es war: Im 14. Jahrhundert dämmerte in Italien schon die Renaissance, und auch in Deutschland und Frankreich leuchtete bereits die Neuzeit auf. Modern war im Trostbuch jedoch nicht die christliche Bezugnahme auf das Jesus-Wort „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel“ nach Markus 10,25, denn das fungierte schon lange als Argument gegen Reichtum. Neu war, dass hier eine philosophische Zersetzung finanzieller Macht ausgearbeitet wurde, die einem Dreischritt ähnelte: Christus war arm, und Christus predigte von den Armen, die das Reich Gottes beerben sollen, und aller Reichtum sei nicht nur vergänglich, sondern auch der Seele hinderlich. Dieser ungefilterte Geist der Bergpredigt geriet jedoch immer schon in ein gefiltertes Umfeld der Lobbys. Erinnern wir uns noch an Umberto Ecos Der Name der Rose? Da ging es um den erbitterten Streit zwischen Franziskanern und Dominikanern, ob Christus, der Christ und folgerichtig – und hier wird es politisch – auch die Institution Kirche reich sein dürfe. Ein guter Franziskaner bezog sich dabei stets auf das Beispiel des reichen Kaufmannssohns und Ordensgründers Giovanni Bernadone, der nach einem inneren Bekehrungserlebnis sein eigenes Luxusleben zugunsten einer karitativen Tätigkeit am Existenzminimum aufgegeben hatte und lieber von Almosen lebte und den Tieren predigte, als mit der Schickeria zu feiern. Aus dieser Kehrtwende des frühen Aussteigers ­Bernadone entstand die Ordensregel „Armut, Keuschheit und Gehorsam“, wobei die Betonung auf „Armut“ lag, die nicht nur für jeden Bruder, sondern sinngemäß für jeden Christen gelten sollte. Politisch brisant wurde die franziskanische Auffassung einer Radikalnachfolge Christi als einer Radikalabsage an den Reichtum jedoch, als der Papst ab 1309 seinen Sitz nach Avignon verlagern musste und sich dort gleichsam in babylonischer Gefangenschaft wähnte. Weltliche Machtinteressen bedrohten nun die einstige Universalmacht des immer stärker zurückgedrängten Papsttums, das nun unerbittlich das Geld und die Gefolgschaft seiner Anhänger verlangte. Ein guter Dominikaner vertrat in dieser historischen Notlage stets die Position, dass Reichtum prinzipiell gut sei, indem gewöhnlich die Genesisstelle 1,13 evoziert wurde, der zufolge Gott sah, dass seine Schöpfung gut war, und der Mensch über das Geschöpfliche verfügen dürfe – also auch über das Finanzielle. Für diese Loyalität, die vom zulässigen Reichtum des Christen zum Reichtum der Kirche legitimierend überleitete, bekam der Treue dann auch den zynischen Beinamen „domini canis“, Hund des Herrn, Kläffer für die Kasse des Petrusstuhls. Ein gewisser Vorzeige-Dominikaner machte jedoch nicht mit.

Ein Reicher, der Geld verlöre, solle sich nicht darum bekümmern, sondern lieber denken, dass ein Armer sich selbst mit dem wenigen Verbliebenen noch wichtig dünken würde.

Unzeitgemäße Betrachtungen: Eckhart als rebellischer Dominikaner-Denker

Indem in Eckharts Trostbuch Reichtum als verächtlich und sein Verlust als irrelevant dargestellt wurde, enttäuschte der Autor die Ansprüche seines Ordens, der von einem bon garon natürlich erwartet hätte, dass er den Goldstaub am Papst­säckel mit gelehrten Argumenten legitimiert hätte. Neben der besagten Genesisstelle wäre da auch das thomasische Argument in Frage gekommen, dass das christliche Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ Fürsorge, Kultur und Bildung miteinschließe und diese in einer materiellen Welt von der Kaufkraft der Institutionen abhingen, was wiederum – denn alle Wege führen nach Rom beziehungsweise nach Avignon – die Mittel der Kirche gerechtfertigt hätte. Eckhart hätte elegant aus dem theologischen Nähkästchen plaudern können, um die hohe Dame Ekklesia ebenso wie die Dame aus dem Habsburgergeschlecht mit Rechtfertigungen für Reichtum zu bestätigen, doch er ging gezielt auf Kollisionskurs. Der Dominikaner führte den besagten Dreischritt von Christus, der nicht reich war, dem Reichen, der nicht in den Himmel käme und dem Reichtum, der überhaupt entbehrlich sei, noch weiter aus und sprach ungeniert von dem Geld, das man angeblich gar nicht bräuchte. Ein Reicher, der Geld verlöre, solle sich nicht darum bekümmern, sondern lieber denken, dass ein Armer sich selbst mit dem wenigen Verbliebenen noch wichtig dünken würde. Was auf uns heute jedoch nur wie eine scharfsinnige Beobachtung des Realverhaltens von Bürgern oder eine social-downwards-comparison wirkt, war in dieser Zeit politisch hoch aufgeladen: eine Legitimierung von Geldverlust irgendeines Christen konnte als eine Legitimierung von Geldverlust der Kirche interpretiert werden, denn Letztere war ja gleichsam die Ausdehnung des Ersteren. Wenn nun also ein General desjenigen Ordens, der dem Papst am nächsten stand, einer Frau, welche trotz ihrer „riches to rags story“ noch immer die Macht christlicher Majestäten repräsentierte, Geld als verzichtbar darstellte, war das eine Kampfansage gegen die weltlichen Interessen einer Kirche, die sich gerade jetzt gern das Mantra „Geld ist gut“ vorsingen ließ. Der Theologe aus Thüringen hatte sich mit seiner unerwartet engagierten Verteidigung der Armut zwischen alle Stühle gesetzt.

Inspirationen aus der Antike: stoische Philosophen und der schnöde Mammon

Doch was motivierte diesen historischen Akt des Sich-Unbeliebt-Machens ums Geld? Die Liebe für die Philosophie, oder der erós der Philosophen, leuchtete hier heller als die monetären Interessen. Eckharts Gewährsleute für den Verzicht auf Reichtum waren nicht die Franziskaner, auch wenn seine Thesen verdächtig ähnlich klangen, sondern – neben biblischen Propheten und manchen Exegeten an der Sorbonne – vor allem die sogenannten „heidnischen Meister“. So wurden die Philosophen der Stoa genannt, die in der spätmittelalterlichen oder frühmodernen Synthese von Philosophie und Theologie groß wiederauflebten. Die Stoa war eine der geistigen Hauptströmungen der Antike, neben Platonismus und Aristotelismus. Ziel der Stoa war das Glück, die eudaimonia, doch das Glück lag nicht im Besitz von Reichtum, Titeln oder Ehren, sondern in der ataraxia, dem Seelenfrieden. Den Seelenfrieden könne man nicht durch Nacheifern der Gesellschaft in ihrem unendlichen Streben nach Maximierung erreichen, sondern dadurch, dass man sich selbst beherrsche und philosophischen Gleichmut – apatheia – übe, egal, was das Leben serviere, Not oder Überfluss. Eckharts Inspiration waren also die Geistesgrößen von Cicero, Seneca und Marc Aurel, der als Adoptivsohn des christlichen Kaisers Antoninus Pius das Christentum mit Papas Amphore eingesogen hatte. Die stoischen Denker sahen die menschliche Gesellschaft grundsätzlich als korrupt an und predigten eine Haltung der Entsagung vom Luxus, die der kynischen glich. Im Gegensatz zu den oft antisozialen Kynikern, die zwischen Schnorrern und Bürgerschreck rangierten, lieferten die verträglicheren Stoiker jedoch ein Programm, das den Einzelnen in seiner Autonomie bestärken konnte, wenn die soziale Zurichtung auf Geld und Gut das Leben dominierte. Stoische Weisheiten wurden daher immer gern aktualisiert, wenn gerade Not am Mammon war – nicht zuletzt durch Eckhart. 

© Carlo Schmitz

Heldenhafte Vorbilder: Leben und leben lassen ohne Blick aufs Geld 

Die Stoa hatte sieben programmatische Leitsätze, die auf persönliche Autonomie hin ausgerichtet waren: Bedenke, dass du sterblich bist. Erkenne dich selbst. Beherrsche deine Affekte. Wehre den Anfängen. Nimm den Wandel an. Wundere dich über nichts. Liebe dein Schicksal. Diese Leitsätze bestimmten in der stoischen Philosophie jedes erdenkliche relationale Verhältnis: das zwischen Eltern und Kindern, Herrn und Sklaven, Liebenden, Freunden, Feinden, Reichen und Armen. Sie wollten zeigen, wie man durch Selbstbeherrschung Meisterschaft erringen und in allen Verhältnissen, in die einen das Schicksal stellen mag, gleichmütig-glücklich leben kann. Hier setzte Eckhart nun an und deklinierte den Reichtum gemäß stoischer Grammatik neu. Der Dreischritt vom armen Christus, dem von Gott geliebten armen Menschen und dem unseligen Überschuss war nur die Front des Denkgebäudes, das interessantere Interieur aber war die stoische Philosophie von der Maximierung der Freiheit durch die Minimierung der Anhaftung an die Zwänge der Gesellschaft. Geld und Status waren vergänglich – memento mori. Seelenfriede lag jedoch nicht nur im Verzicht auf pekuniäres Gut, sondern vor allem im Verzicht auf ein immaterielles Gut, nach dem noch der Ärmste giert, oft sogar vor dem Brot: Kontrolle. Eckhart zitierte den „heidnischen Meister“ Seneca hierzu so: „Was ist der beste Trost im Leiden und im Ungemach? – Es ist dies, dass der Mensch alle Dinge so hinnehme, als habe er sie so gewünscht und darum gebeten …“ Gerade durch den bewussten Verzicht auf die Kontrolle, durch die Hingabe an das, was nicht zu ändern ist, amor fati, sei der Mensch frei. Er könne sogar einen Sinn in dem finden, was ihm entzogen wurde. Sechs Jahrhunderte später ging die Logotherapie von Viktor Frankl einen ähnlichen Weg, um mit Trauma und Verlust fertigzuwerden, indem sie einen verborgenen Sinn im Negativen zu erkennen suchte. Im Zusammenfluss von Mystik, Stoa und dem Denken über Reichtum ist an der Schwelle zur Neuzeit unscheinbar Revolutionäres geschehen, das über Privates und Politisches hinaus therapeutische Türen geöffnet hat, die wie immer vom Einzelnen weg aufs Ganze weisen, vom Spiegel der Frau Welt auf den Schädel der conditio humana. Faustischer als Fausts Idee, woran die Welt angeblich hängt, nicht am Gold, sondern an der Kontrolle – Kontrollverzicht folgerichtig als der wahre Reichtum der Philosophen, als Freiheit, über das Schicksal hinaus.  


Dr. Claudia Simone Dorchain, M.A., Philosophin und Therapeutin, arbeitet in der Supervision wissenschaftlicher Forschung und Lehre sowie in der Gestaltung von Bildungsformaten in öffentlich-rechtlichen Medien sowie im eigenen philosophischen Youtube-Kanal.

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