In der Nummer 382 vom März 2018 stellt forum ein Dossier zum Thema „Tierrechte“ vor, welches von einer erschreckenden Einseitigkeit ist, die man von forum so nicht gewohnt ist. Nicht dass das Thema „Tierrechte“ nicht wichtig wäre und nicht verdiente, ausführlich dargestellt und untersucht zu werden. Schließlich hat die Tierethik sich in den letzten Jahrzehnten zu Recht zu einem bedeutenden Kapitel der Ethik überhaupt gemausert, mit absolut bemerkenswerten Auswirkungen u.a. auf die philosophische Anthropologie. Aber nur Autoren zu zitieren und Argumente anzuführen, die kritiklos und dogmatisch für Tierrechte eintreten, ist intellektuell fahrlässig, wenn nicht sogar unverantwortlich, und gibt dazu in keiner Weise den heutigen Diskussionsstand in dieser Frage wieder.
Eine Ausnahme bilden zwei Artikel, jeweils von Naturwissenschaftlern verfasst, in denen es um Tierexperimente geht. Erstaunlicherweise plädieren beide nicht gegen diese Forschungspraxis, wenngleich sie die rigorosen Bedingungen hervorheben und gutheißen, welche in Europa gelten. Insofern vertreten beide Forscher eher die Position des Tierschutzes als der Tierrechte.
Im Folgenden möchte ich nicht auf jeden Beitrag dieses Dossiers gesondert eingehen, sondern der Übersichtlichkeit halber einige systematische und kritische Überlegungen zum Thema „Tierrechte“ vorstellen.
Tierrechte?
Unter „Recht“ versteht man eine Forderung oder eine Erlaubnis, die zuerkannt und anerkannt ist, und deren Beachtung verbindliche Pflicht ist. Damit ist gesagt, dass Recht eine Relation ist zwischen Wesen, die imstande sind, diese Rechte im Prinzip zu verstehen, sie zu beanspruchen und wenn nötig einzuklagen. Diese Wesen sind also gleichberechtigte Rechtssubjekte, welche zusammen eine Rechtsgemeinschaft bilden, innerhalb deren allein Rechte gelten und so etwas wie Recht überhaupt erst sinnvoll ist.
Die Frage nach eventuellen Tierrechten ist somit gleichbedeutend mit der Frage, ob Tiere Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft sein können, da sie ansonsten nicht rechtsfähig sind. Nun scheint aber auf der Hand zu liegen, dass einerseits eine tierische Rechtsgemeinschaft undenkbar ist: Tiere sind nicht pflichtfähig, können nicht verstehen, was Rechte sind, und haben unvereinbare Interessen und Bedürfnisse. Wie könnten Katze und Maus Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft sein? Andererseits aber können Tiere auch nicht Mitglieder der menschlichen Rechtsgemeinschaft sein, und zwar gerade wegen ihrer Pflichtunfähigkeit und zusätzlich, weil so etwas wie Verbindlichkeit und Normativität für sie keinen Sinn hat.
Daraus lässt sich nur eine Schlussfolgerung ziehen: Tiere haben keine Rechte, was aber nicht heißt, dass man ihnen dadurch unberechtigerweise etwas vorenthält oder wegnimmt, das für sie unerlässlich und lebenswichtig wäre. Mit der Verweigerung von Rechten schädigt man Tiere genausowenig, als wenn man ihnen Autofahren, Konzertbesuch und Universitätsstudium abspricht.
Den Tierrechten, wenn es sie denn gäbe, entsprächen auf Seiten der Menschen Pflichten. Diese aber sind längst in Tierschutzgesetzen niedergelegt. Rechte würden demnach für Tiere keinen Mehrwert bringen. Und wenn die Tierschutzpflichten nicht eingehalten werden, würden Tierrechte wohl auch keine Besserung bringen; auch sie würden sicherlich genauso eingehalten werden. Helfen kann hier nur eine bessere, wirksamere Kontrolle der Tierschutzregeln.
Schließlich könnten sowohl Tierrechte, wie jetzt schon Tierschutzgesetze, nur advokatorisch eingeklagt werden. Tiere können das evidentermaßen nicht selbst. Vorgegangen wird dabei nicht von Tieren gegen Menschen, und schon gar nicht von Tieren gegen Tiere, sondern von Menschen gegen Menschen. Das ist ein erster Hinweis auf die Einzigartigkeit des Menschen.
Tierwürde?
Seit geraumer Zeit argumentieren Tierrechtler mit der Zuschreibung von Würde an die Tiere. Sie erwarten sich dadurch wohl eine Verstärkung ihrer Forderung nach Tierrechten, gilt beim Menschen doch die Würde als die Grundlage ihrer Rechte.
Das Problem ist nur, dass völlig unklar ist, worin denn nun genau diese Würde besteht. Schon beim Menschen ist das nicht so einfach: Es gibt mehrere Definitionen der Menschenwürde, mit der Folge, dass z.B. in offiziellen Texten wie in der UNO-Menschenrechtsdeklaration von 1948 und allen weiteren Texten dieser Art, die Würde nur behauptet wird, ohne dass sie in irgendeiner Weise inhaltlich präzisiert würde.
So kommt es, dass es u.a. von philosophischer Seite Stimmen gibt, welche vorschlagen, den Würdebegriff ganz beiseitezulassen: er wäre ja nur ein Leerbegriff und Diskussionsstopper. Unser Landwirtschaftsminister ist nun überaus stolz, eine Definition vorzulegen, welche er aus der Verfassung der Schweiz abgeschrieben hat: Die Würde der Tiere besteht ihr zufolge in deren Eigenwert. Aber einmal abgesehen davon, dass in der französischen Fassung dieser Verfassung nicht „dignité“ steht, sondern „intégrité des organismes vivants“, stellt der Staatsrat in seinem Avis vom 17. März 2017 zur neuen Gesetzesvorlage fest, dass die Tierwürde in keinem Fall wie die Menschenwürde absolut und unantastbar ist, so dass präzisiert werden muss, auf welche Tiere der Begriff sinnvollerweise Anwendung finden kann. Der Begriff des „Eigenwertes“ wird vom Staatsrat für „insatisfaisant“ gehalten.
Schließlich wird mit der Deutung der Tierwürde als Eigenwert das Problem nur verschoben: worin besteht denn nun seinerseits dieser Eigenwert? Darauf gibt die Gesetzesvorlage bezeichnenderweise keine Antwort, und sie kann es auch nicht: Der Wertbegriff macht nur Sinn für Wesen, welche sich selbst und was ihnen wichtig ist, beurteilen können, was nun einmal den Menschen vorbehalten ist. Der Ausdruck „intégrité des organismes vivants“ aus der Schweizer Verfassung könnte aber ein Hinweis sein, wie „Eigenwert“ sich durch ein sinnvolles Konzept der Lebewesen ersetzen ließe: Wie den Menschen kann den Tieren das, was ich eine „eigenständige Lebensart“ nennen würde, nicht abgesprochen werden. Sie entwickeln sich aus eigenen Kräften, je nach ihrer eigenen Art. Das rechtfertigt zwar nicht die Zuschreibung von Würde und Rechten, hat aber einen Impakt auf den Tierschutz: Ob überhaupt und eventuell wie der Mensch in diese Lebensart eingreifen darf, dazu liegt die Beweislast eindeutig beim Menschen. Und auf jeden Fall hat er die Tiere artgerecht zu behandeln.
Die Idee des Eigenwertes wie auch dessen Deutung als eigenständige Lebensart wirft aber noch ein Problem auf, das von den Tierrechtlern, wie übrigens auch von den Tierschützern, im Allgemeinen nicht gesehen wird: auch die Pflanzen sind nämlich Lebewesen mit einer eigenständigen Lebensart, und für die Tierrechtler würde das bedeuten, dass auch sie Würde besitzen, mit allen Konsequenzen, die das nach sich ziehen würde.
Nur graduelle Unterschiede zwischen Menschen und Tieren?
Tierrechtler haben die Tendenz, Mensch und Tier einander anzunähern, wenn nicht sogar anzugleichen, und das in zwei Richtungen zugleich: Der Mensch wird einerseits als auch nur ein Tier seiend erklärt; andererseits werden bei den Tieren Fähigkeiten festgestellt, die man früher exklusiv den Menschen zuschrieb. So bleiben anscheinend zwischen Mensch und Tier nur noch sog. graduelle Unterschiede, und das scheint dafür zu plädieren, auch Tieren Rechte zuzuerkennen. Was diese Tierrechtler aber nicht sehen ist, dass gerade diese Argumentation de facto einen qualitativen Unterschied zwischen Mensch und Tier zum Ausdruck bringt: Der Mensch ist es doch, der sich für die Tiere interessiert, sie studiert, sich um sie kümmert, sich die Frage stellt nach dem rechten Umgang mit ihnen. Das Umgekehrte gilt offensichtlich nicht. Dieser qualitative Unterschied fächert sich aus in eine Reihe von fächert sich aus in eine Reihe von exklusiv dem Menschen zustehenden Eigenschaften wie z.B. Autonomie (vernünftig geregelte Freiheit), Verantwortung, Pflichtbewusstsein, Moralität (Frage nach gut und böse), Fürsorge über seine Art hinaus, Verbindlichkeit, Reflexivität (Denken und Handeln aus vernünftiger Überlegung) usw.
Dies legitimiert den Menschen aber nicht dazu, Tiere willkürlich und nach Gutdünken zu behandeln und zu misshandeln. Wäre der Mensch nur ein Tier wie alle anderen, dann allerdings könnte und würde er, wie die anderen Tiere, seine Bedürfnisse und Interessen ohne Rücksicht und völlig eigennützig ausleben. Es sind aber nun gerade die den Menschen exklusiv auszeichnenden Eigenschaften, die von ihm Tierschutz fordern. In diesem Zusammenhang ist kurz auf das Leidensargument einzugehen: so wenig die Würde und die Rechte des Menschen auf dessen Leidensfähigkeit beruhen, so wenig gilt das für die Tiere. Das Leidensargument trägt nicht weiter als bis zum Tierschutz. Hierzu aber ist es ein gewichtiges Argument.
Dass man bei manchen Tieren Vorstufen menschlicher Fähigkeiten oder mernschenanaloge Eigenschaften vorfindet, ist kein Wunder angesichts der Tatsache, dass der Mensch nicht vom Himmel fiel, sondern sich aus dem Tierreich heraus entwickelt hat. Gäbe es diese Vorstufen nicht, dann müsste man sich wundern. Und was einige Tiere alles lernen können, ist gewiss erstaunlich, aber schließlich lernen sie das fast alles von Menschen und nicht aus sich heraus. Und was sie da lernen, wie z.B. die Taubstummensprache, ist für sie absolut irrelevant und müsste ähnlich beurteilt werden wie die Zähmung von Zirkustieren.
Von der Einzigartigkeit des Menschen bleibt also noch Entscheidendes, ohne welches Tierschutz oder Tierrechte nur Chimären wären. Zwischen Mensch und Tier besteht demnach eine nicht zu leugnende fundamentale Asymmetrie, von der her, wie gesagt, ein vernünftiger und wirksamer Tierschutz erst gedacht und verwirklicht werden kann.
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