- Politik
Offener Brief an die Botschaft der USA in Luxemburg
Die Geschichte lehrt uns, dass politische Entscheidungen und das Politikverständnis von großen Staaten bedeutende Auswirkungen auf andere Teile der Welt haben. Dies gilt umso mehr, als wir in einer globalisierten Welt leben. Menschen überall in Europa und auch hier in Luxemburg sehen die jüngsten Entwicklungen in den USA mit großer Sorge.
- Historisch gesehen haben die USA wichtige theoretische und politische Beiträge zur Entwicklung der Demokratie als Staatsform geleistet. Aktuell scheint diese Entwicklung jedoch gegenläufig zu sein.
- Dabei ist die Mehrheit der Luxemburger Bevölkerung den Vereinigten Staaten bis heute zutiefst dankbar für den Kampf und das Opfer junger Amerikaner für die Befreiung von den Fesseln der nationalsozialistischen Diktatur in den Jahren 1941 bis 1945.
In der Sorge um mehr Frieden, Gerechtigkeit und demokratisches Zusammenleben möchten wir Ihnen allerdings unser Befremden und Unverständnis über Politik und Politikstil der neuen US-Regierung zum Ausdruck bringen.
Zum Missbrauch an der Sprache
- Fake News und Fake Facts, Lügen, Täuschungen, Beleidigungen, Drohungen und paranoide Verschwörungstheorien bestimmen zunehmend den offiziellen Diskurs in den USA. Eine Analyse verschiedener Aussagen lässt vermuten, dass Präsident Trump gerade dann zu manipulativen Narrativen und Fakes greift, wenn er sich eigentlich für Menschenwürde und Gerechtigkeit einsetzen sollte. Durch seine große Flexibilität in Bezug auf Fakten1 (Dieter Thomä) und seine widersprüchlichen Behauptungen erweckt er den Eindruck, dass ihm die Wahrheit gleichgültig sei. Ein solches Verhalten birgt die Gefahr in sich, das Wahrheitsempfinden vor allem junger Menschen in gefährlicher Weise zu beeinträchtigen oder zu zerstören.
- Wir sind schockiert über die verächtliche Sprache des derzeitigen amerikanischen Präsidenten gegenüber den Partnern, die auf Logik und Argumentation setzen, etwa wenn sie mit ihm über Zölle diskutieren wollen. Er behauptet, sie würden ihn verzweifelt anrufen, um über neue Zölle zu verhandeln. Aussagen wie „They kiss my ass“ sagen viel über sein bewusstes und unbewusstes Selbstbild aus.

- Äußerst gefährlich scheint uns auch die Liste der Wörter zu sein, die nicht mehr in offiziellen Texten gebraucht werden sollen. Dies ist ein Angriff auf die Pluralität der Menschen und Völker, die Vieldeutigkeit der Welt (Hannah Arendt) und somit auf differenziertes Denken und Argumentieren in der Öffentlichkeit sowie die Wahrheit als Referenzkategorie.
- Die Art und Weise, wie sich der Präsident im Oval Office vor den Kameras der Welt inszeniert und Präsident Selenskyj vorgeführt hat, hat phantasmatischen Charakter: die Lust an der Bloßstellung. Das ist ein würdeloser Stil, der die Grenzen der normalen Inszenierung
von politischer Macht überschreitet.
Zur Beziehung mit anderen Staaten
- Die provokanten und unqualifizierten Einmischungen des Präsidenten, des Vizepräsidenten und ihrer Mitarbeiter in die Innenpolitik westlicher Verbündeter sind absolut verstörend. Es scheint uns offensichtlich, dass der Präsident und seine Umgebung das Ziel verfolgen, gerade die europäischen Demokratien zu schwächen. Wo europäische Parteien Grenzen setzen, etwa bei Kontakten zu rechtsextremen Parteien oder der Verbreitung von Hassrede in sozialen Medien, wird den Europäern von Teilen der Trump-Regierung vorgeworfen, sie täuschten Demokratie und Meinungsfreiheit nur vor. Geschichtsbewusstsein scheint hier zu fehlen oder verdrängt zu werden.
- Der Abbruch des Dialogs zwischen den USA und ihren ehemaligen Partnern zeigt einerseits das manische Streben nach Allmacht und Unterwerfung („America first“), aber auch die Unfähigkeit, mit politischem Dialog als solchem umzugehen. Die USA wollen sich aus vielen internationalen Verträgen und Organisationen verabschieden. Diese Politik untergräbt unter anderem die Hoffnung auf eine einigermaßen gleichberechtigte Zusammenarbeit in einem sich ausbreitenden Bund von Staaten (Immanuel Kant)2. Sie bedeutet einen Bruch mit der nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts (NS-Diktatur, Stalinismus, zwei Weltkriege …) progressiv aufgebauten Weltordnung, die auf Zusammenarbeit und multilateraler Vertrauensbildung beruhte.
Es scheint uns offensichtlich, dass der Präsident und seine Umgebung das Ziel verfolgen, gerade die europäischen Demokratien zu schwächen.
- Die Leugnung der Klimakatastrophe durch die US-Regierung, die sich über jahrelange wissenschaftliche Forschungen und Fakten hinwegsetzt, ist nicht nur mit wirtschaftlichen Interessen zu erklären. Sie ist auch verbunden mit der Allmachtsphantasie, dass man Natur und Naturgesetze ignorieren kann.
- Die Anmaßung Trumps, mit einem Diktator über souveräne Staaten zu verhandeln, ohne die Betroffenen direkt einzubeziehen, zeugt von einer grotesken Selbstüberschätzung bzw. der möglichen Unterschätzung eines Diktators wie Putin und letztlich auch von einem unbewussten Drang nach Durchsetzung des eigenen Willens, koste es, was es wolle.
- Ähnlich wie viele machtbesessene Staatsmänner vor ihnen, führen Trump und Vance einen imperialistischen Diskurs, in dem sie vorgeben, territoriale Ansprüche notfalls mit Gewalt oder Manipulation durchsetzen zu können. Das gilt für den Panamakanal ebenso wie für Grönland oder den Gazastreifen. Das in der UN-Charta verbriefte Selbstbestimmungsrecht der Völker hat keine Bedeutung mehr für sie.
Gefahren für die Demokratie in den Vereinigten Staaten
- Die Selbstinszenierung als Rebell (Slavoj Žižek) gegen das „System“3, gegen die amerikanischen sogenannten „Eliten“, die Experten, die Verräter, die „Ausbeuter der USA“ sowie das autoritäre und arrogante Auftreten des US-Präsidenten untergraben die Demokratie als Lebensform (John Dewey) im eigenen Land. Seine Narrative, die sich nicht mehr an Kategorien wie „richtig“ und „falsch“ orientieren, riskieren, in der amerikanischen Gesellschaft Indifferenz, Zynismus und Perversität zu fördern.
- Die Dimension des Unmöglichen, das Bewusstsein von Grenzen und die Notwendigkeit von Regeln in einer Gesellschaft scheint Präsident Trump für sich abzulehnen. So sagte er, dass er der Politik der Profite ein Ende setzen werde und fügte hinzu: „Ich bin der Einzige, der das regeln kann.“ 2017 behauptete er: „Ich werde der größte Arbeitsplatzbeschaffer sein, den Gott je geschaffen hat.“4 Vor einigen Monaten erklärte er auf CNN: „Innerhalb von 24 Stunden werde ich den Krieg in der Ukraine beenden.“
- Den Wunsch Trumps, die Geschichte der Vereinigten Staaten umzuschreiben, kennt man aus anderen autoritären Staaten. Dies gilt auch für den Versuch, die Universitäten einem Einheitsdiskurs zu unterwerfen und Medien einzuschüchtern.
- Auch die Präsidialdemokratie kann keine One-Man-Show sein, wo vor allem demonstrativ immer wieder die Handschrift des Präsidenten hervorgehoben wird. Dabei müsste es ja darum gehen, dass alle politisch Verantwortlichen die Bürgerinnen und Bürger unterstützen, ihre Partizipation durch die Entwicklung politischer Urteilsfähigkeit auszuüben.
- Äußerst gefährlich für die Demokratie in den Vereinigten Staaten erscheinen uns die vielfältigen Behinderungen der Justiz (z. B. die Auswahl von Richtern und Staatsanwälten nach ihrer Loyalität gegenüber dem Präsidenten) als unabhängige dritte Gewalt. Dies alles muss man als frontalen Angriff auf den Rechtsstaat verstehen. Jeder Gauner kann sich durch solches Handeln in seinem gesetzlosen Verhalten bestärkt fühlen. Somit riskiert Trump schon jetzt den Zusammenhalt der Bevölkerung und den Frieden im eigenen Land.
- Die Demokratie gerät des Weiteren in Gefahr durch das systematische Zuschneiden von Wahlbezirken zugunsten der weißen, reichen Wähler und durch die Beschneidung der Rechte ethnischer, sexueller und sozialer Minderheiten.
Die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate schaden dem Ethos der Bevölkerung Ihres Landes, der politischen Kultur und damit auch dem Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt. Die Politik der USA wird damit zum negativen Vorbild für autokratisch denkende und handelnde Politiker auf unserem Planeten. Ebenfalls in anderen Bereichen, wie in der Wirtschaft und selbst bei Jugendlichen
– auch in Luxemburg – findet autokratisches Handeln Nachahmer in Form von Regelbrüchen und Chaosproduktion. Das Übertreten von Gesetzen wird zum lustvollen Agieren.
In der Hoffnung, dass Dialog, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit bald wieder die Politik der Vereinigten Staaten bestimmen, bitten wir Sie, diese Gedanken und Sorgen an Ihre Regierung in Washington weiterzuleiten.
1 Dieter Thomä, Post-. Nachruf auf eine Vorsilbe, Berlin, Suhrkamp Verlag, 2025, S. 224.
2 Immanuel Kant, „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf“, [1795], in: Wilhelm Weischedel (Hg.), Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, Werkausgabe Bd. XI, Berlin, Suhrkamp Verlag, 1977.
3 Slavoj Žižek, Zero Point, London, Bloomsbury, 2025, S. 8.
4 Dieter Thomä, Puer robustus. Eine Philosophie des Störenfrieds. Mit einem Nachwort über Donald Trump und den Populismus, Berlin, Suhrkamp Verlag, 2018, S. 550.
Jean-Marie Weber, Naomi Berrend, Ute Hoffmann, Sonja Kmec, Jean-Paul Nicolay, Michel Pauly, Anke Reitz, Philippe Reuter, Fabio Spirinelli, Jürgen Stoldt, Viviane Thill, Raymond Weber
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