Plädoyer für eine kohärente, nachhaltige Lebensmittelpolitik
Im Rahmen der Agenda 2030 definierte die UNO 17 Nachhaltigkeitsziele (sustainable development goals; SDG), die auch Luxemburg angenommen hat und die am 1. Januar 2016 in Kraft traten und bis 2030 verwirklicht sein sollen. Im Rahmen einer vom Institut national pour le développement durable et la responsabilité sociale (INDR) organisierten Konferenz zum Beitrag der Luxemburger Betriebe zur Umsetzung dieser 17 SDG Ende Oktober 2017 kam die Frage aus dem Publikum, ob es nicht wichtig sei, dass Luxemburg vermehrt Maßnahmen ergreife, um weniger tierische Proteine zu produzieren bzw. zu konsumieren, wenn es die Nachhaltigkeitsziele erreichen wolle. Tatsächlich wurden in den letzten Monaten und Jahren mehrere große Initiativen zu diesem Thema ergriffen.
Viele Initiativen
Im Kontext der sogenannten Rifkinstudie1 befasst sich ein ganzes Kapitel mit dem sustainable food sector. Es werden dabei vor allem die Vorteile einer biologischen Produktionsweise hervorgehoben und für Luxemburg für 2050 als Idealziel eine 100% biologische Landwirtschaft veranschlagt. Zusätzlich werden verschiedene Wege vorgegeben, um den Konsum von Lebensmitteln nachhaltiger zu gestalten und vermehrt erneuerbare Energien einzusetzen bzw. Treibhausgase einzusparen. Kurz vor den Sommerferien stellte der Wirtschaftsminister im Rahmen einer Pressekonferenz fest, dass die Umsetzung der Ergebnisse der Rifkinstudie gut voranschreite. So seien im Bereich der Arbeitsgruppe zum sustainable food sector 25% der Ziele erreicht worden, während etwa in der Arbeitsgruppe der Circular Economy schon 75% umgesetzt wurden.
Anfang dieses Jahres folgten über 100 Teilnehmer dem Aufruf des Umweltministeriums, an der Erstellung eines neuen Klimaschutzplans für Luxemburg teilzunehmen. Während zwei Tagen diskutierten verschiedene Arbeitsgruppen aus Vertretern der Wirtschaft, Forschung, Landwirtschaft sowie interessierte Bürger unter anderem auch über innovative Ideen für Klimaschutzmaßnahmen im Bereich Food and Agriculture.
In den vom Nachhaltigkeitsministerium (MDDI) in der ersten Jahreshälfte organisierten Diskussionsrunden mit den verschiedensten Stakeholdern aus Wirtschaft und Gesellschaft zur Erstellung eines neuen PNDD (Plan national de développement durable) entstanden wiederum viele interessante Ansätze, die sich unter anderem auch auf eine nachhaltige Produktion und Konsum von Lebensmitteln bezogen. 2016 wurde eine Petition2 zur Förderung des Absatzes einheimischer Lebensmittel in öffentlichen Kantinen in kürzester Zeit mehr als 1500 Mal unterschrieben und Ende 2017 legte der Landwirtschaftsminister einen Gesetzesvorschlag für ein neues staatlich getragenes Labelsystem3 vor, das ebenfalls den Nachhaltigkeitsbereich betreffende Kriterien enthält. 2017 wurden die Resultate einer vom Umweltministerium in Auftrag gegebenen Studie zu Lebensmittelabfällen vorgestellt und vom Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerium wurde die Initiative „Antigaspi“ zur Reduktion von solchen Abfällen in die Wege geleitet. Anfang Februar 2018 nahm die Abgeordnetenkammer ein neues Gesetz an, das es unter anderem ermöglicht, bei öffentlichen Ausschreibungen nicht nur finanzielle Kriterien zu berücksichtigen4, sondern auch die Möglichkeit eröffnet, Nachhaltigkeitskriterien einfließen zu lassen. Das Wirtschaftsministerium hat des Weiteren Anfang Juli 2018 ein erweitertes Beihilfenprogramm5 zur spezifischen Förderung von Klein- und Mittelbetrieben vorgestellt, und die Handelskammer lud im Juni zur Einweihung des HoSt (House of Startups) ein, das Startups spezifisch begleiten soll. Darüber hinaus wird Luxemburg für seine Kompetenz im Bereich Green Bonds international gelobt.
Die Auflistung von institutionellen Ansätzen, die bewusst nachhaltige Lebensmittelproduktion und -konsum thematisieren oder ein erhebliches Potential zu einer nachhaltigeren Auslegung der Wirtschaft im Bereich der Lebensmittel bieten, könnte noch weiter ausgebaut werden. Daneben besteht eine Vielfalt an privaten Aktionen und kommunalen Aktivitäten, wie etwa die Integration der Konzepte der Kreislaufwirtschaft in den Klimapakt-gemeinden oder Initiativen im Bereich des Urban Gardening. Umso mehr darf man sich wundern, dass keine richtigen Fortschritte zu erkennen sind. Zum einen sind die verschiedenen Ansätze aus diversen Absichten heraus entstanden und nachhaltige Lebensmittelproduktion und nachhaltiger Konsum fließen dabei oft nur als Teilaspekte mit ein. Zum anderen wurde das Potential für diesen Bereich im Rahmen des jeweiligen Ansatzes bislang nicht ausgeschöpft. Wichtig wäre daher vor allem ein Zusammenfügen der einzelnen Puzzlestücke zu einem passenden Gesamtbild.
Bestimmung einer entsprechenden Politik
Eine exakte Formulierung des Ziels (u.a. eine kohärente Definition von nachhaltiger Lebensmittelproduktion und nachhaltigem Lebensmittelkonsum) sowie eine darauf ausgerichtete, koordinierte Politik, die bereits bestehende Arbeiten intelligent kombiniert, um ein entsprechendes Instrumentarium in die Wege zu leiten, ist wohl unabdingbar. Da in Luxemburg bislang aber keine solche Vorgehensweise besteht, sind konkrete Wirkungen verschiedener Einzelinitiativen schwer zu erkennen oder zu diffus, um diese auf ein Ziel hin bilanzieren zu können. Da Fortschritt idealerweise auch messbar sein sollte, müsste eine diesbezügliche Politik zielgerichtet Daten sammeln und auf das entsprechende Ziel hin analysieren und Objektive quantifizieren.
Die obige Liste veranschaulicht des Weiteren, dass eine auf nachhaltige Lebensmittelproduktion und -konsum ausgerichtete Politik wohl als Matrix definiert werden muss, die sowohl Landwirtschafts-, Umwelt-, Wirtschafts-, Innovations-, Gesundheits- sowie Bildungspolitik einbeziehen sollte.
Beispiel-Matrix: Gesundheit/Umwelt/Wirtschaft/Verbraucher
Das europäische LiveWellforLIFE–Projekt6 etwa hat für Spanien, Frankreich und Schweden die Wirkungen des Zusammenlegens von Gesundheits- und Nachhaltigkeitszielen im Bereich des Lebensmittelkonsums analysiert. Dabei wurden die Kriterien Gesundheit, Nährwert, C02 und Bezahlbarkeit in Betracht gezogen. Die Studie kam zur Feststellung, dass nachhaltiger Lebensmittelkonsum zu 25% weniger Treibhausgasemissionen führte, hauptsächlich bedingt durch den Umstieg von tierischen auf pflanzliche Proteine.
In Schweden wurden 2016 vom „Ministry of Entreprise and Innovation“ erstmals Richtlinien formuliert (food strategy)7, die gesundheitliche und nachhaltige Aspekte zu Lebensmittelproduktion und -konsum enthalten und so zum nachhaltigen Wachstum beitragen sollen. Obwohl Ausgangspunkt der Strategie das Erreichen umweltpolitischer Ziele ist, wird bei der Formulierung gesetzlicher Bestimmungen auf ein sehr betriebsfreundliches Umfeld geachtet und die Strategie vom Wirtschafts- und Innovationsministerium vorgelegt. Ein wichtiger Teil der schwedischen food strategy betrifft des Weiteren auch die Verbraucheraufklärung, die ihm ermöglichen soll, eine bewusste Auswahl seiner Lebensmittel zu treffen. Zur Erstellung der sustainable food policy in Schweden wurden sowohl Umwelt- und Gesundheitskriterien herangezogen wie auch Betriebs-, Innovations- und Verbraucher-politik berücksichtigt.
Die Niederlande haben ebenfalls Nachhaltigkeitsaspekte sowohl in ihren Richtlinien zur gesunden Ernährung (Dutch dietary guidelines)8 aufgenommen als auch spezifische Richtlinien zu einem nachhaltigen Lebensmittelkonsum9 formuliert. Explizit hervorgehoben wird in den Niederlanden auch die Wichtigkeit der Eingrenzung von Lebensmittelabfällen, und daher wird insbesondere auf die Verknüpfung der Empfehlungen mit den Prinzipien der circular economy hingewiesen, die in den Niederlanden als zentral angesehen werden. Die Leitlinien können somit als wertvolles Instrument dienen, um entsprechende Handlungskataloge in den verschiedensten Wirtschafts– und Politikbereichen zu legitimieren.
Ein weiteres Beispiel betrifft die anerkannten Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung10. Sie zeigt in ihrer Stellungnahme zum Entwurf der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie die entsprechenden Schnittstellen auf und empfiehlt zum Beispiel im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung neben Gesundheits- auch Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen und regionale, pflanzliche sowie biologische Lebensmittel vorzuziehen. Auch wenn sich Luxemburg durch eigene Charakteristiken auszeichnet und vielleicht weniger Ähnlichkeiten mit Schweden, sondern eher mit den Niederlanden oder Deutschland hat, können diese Beispiele zumindest richtungsweisend sein.
In der luxemburgischen Gesundheitspolitik wurden bislang keine detaillierten Empfehlungen zur Ernährung ausgesprochen. Allerdings könnte die vom Gesundheitsministerium ausgehende Initiative gesond iessen, méi bewegen eine wertvolle Ausgangsbasis für einen nachhaltigen
Lebensmittelkonsum sein. Der Slogan müsste nur erweitert werden: gesond an nohalteg iessen, méi bewegen. So wären gleich mehrere Ziele abgedeckt.
Beispiel-Matrix: Landwirtschaft/Umwelt/Verbraucherpolitik
Der Förderung der biologischen Landwirtschaft kommt im Sinne der nachhaltigen Lebensmittelproduktion eine gesonderte Stellung zu. Die Fakten scheinen sowohl hinsichtlich Produktion als auch Konsum sehr umstritten. Konsumentenbefragungen deuten auf ein großes Interesse an biologischen Lebensmitteln hin. Die biologisch bewirtschaftete Landfläche liegt in Luxemburg aber nur knapp über 4% (gegenüber 20% in Österreich). Hinsichtlich der Produktion von Biomilch scheint der luxemburgische Markt bereits gesättigt. Als Ursache für die geringe biologische Lebensmittelproduktion werden verschiedene Faktoren, wie ein zu hoher Preis bedingt durch den Standort Luxemburg, unzureichende Absatzwege oder auch internationale Konkurrenz diskutiert.
Ausschlaggebender Faktor bei der Kaufentscheidung ist immer noch der Preis. Eine zielgerichtete Konsumenteninformation über das Zustandekommen des reellen Verkaufspreises, die Vor- und Nachteile sowohl biologischer wie auch konventioneller Lebensmittel könnte weiterhelfen. Aufklärungskampagnen für Verbraucher wie für Produzenten müssten Zusammenhänge verdeutlichen, wie z.B. dass ein niedriger Preis von konventionell hergestellten Lebensmitteln dadurch zustande kommt, dass er Folgekosten nicht wiederspiegelt, da die durch Pestizid- und Düngemitteleinsatz entstandenen Wasseraufbereitungskosten über Steuern bezahlt werden. Alternativ könnte man an bislang kontrovers diskutierte Umweltsteuern denken, die Preisunterschiede bis zu einem gewissen Grad ausgleichen würden, oder an ein kohärentes Kennzeichnungssystem, das dem Käufer den Umweltimpakt des Produkts transparent aufzeigt.
Beispiel-Matrix: Wirtschafts-, Betriebs-, Innovationspolitik
Wie oben bereits erwähnt, gibt es in Luxemburg aktuell eine ganze Reihe von Initiativen zur Förderung von Startups, innovativen Unternehmen sowie Klein- und Mittelbetrieben, die zwar nicht direkt auf nachhaltige Lebensmittelproduktion, -transformation und -konsum ausgerichtet sind, die aber trotzdem eine gewisse Wirkung in diese Richtung auslösen können. So tragen Begünstigungen für Klein– und Mittelbetriebe des Lebensmittelsektors per se zur nachhaltigen Lebensmittelproduktion bei, da vermehrt regionale Lebensmittel zum Einsatz kommen, weniger Verpackungen durch kürzere Transportwege entstehen, Lebensmittelabfälle durch an individuelle Kundenwünsche angepasst Mengen vermieden oder spontan anderwärtig eingesetzt werden. Durch ein intelligentes Ausrichten bereits bestehender Innovations- und/oder Gründerbeihilfen für lebensmittelproduzierende und -verarbeitende Betriebe, insbesondere auch für absatzfördernde Unternehmen bzw. innovative Vermarktungsstrukturen, könnten, wenn sie zudem von einer entsprechenden Kommunikation begleitet werden, vermehrt Anreize zur Produktion und Transformation nachhaltiger Lebensmittel geben und/oder neue, nachhaltigere Wertschöpfungsmodelle entstehen lassen.
Das Thema der Entwicklung hin zu nachhaltiger Lebensmittelproduktion und nachhaltiger Ernährung ist hochaktuell und es mangelt nicht an Initiativen. Den einzelnen Ansätzen könnte man detailliert-ere Einzeldossiers widmen. Wenn man jedoch die verschiedenen Handlungsfelder aufeinander abstimmen will, um ihr Potenzial für einen wirklichen Fortschritt zu nutzen, scheint eine staatlich ausgerichtete Politik, begleitet von einer koordinierten Gouvernance unumgänglich.
- www.troisièmerévolutionindustrielle.
- Petition 668 von 2016.
- Projet de loi (PL 7170) relatif à l’agrément d’un système de qualité ou de certification des produits agricoles.
- Loi du 8 avril 2018 sur les marchés publics.
- PL 7140/ loi relatif à un régime d’aides en faveur des petites et moyennes entreprises.
- www.Livewellforlife.eu
- www.governnement.se – a long-term food strategy for Sweden
- www.gesondheetsraad.nl
- www.voedingscentrum.nl (factsheet)
- Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) –zum Entwurf der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (Neuauflage 2016).
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