„Sehr schön, setzen!!“

Diskussionskultur in Luxemburgs Schulen als Teil der politischen Bildung

So wie in der Karikatur oder ähnlich stellt man sich als Erwachsener in Erinnerung an die eigene Schulzeit den pädagogischen Alltag in unseren Schulen vor. Auch wenn das Bild sicherlich eine gewisse Unterrichtspraxis überspitzt darstellt, so beschreibt es doch treffend, dass es offensichtlich ein Defizit an Diskussionskultur gibt. Wird an Luxemburgs Schulen also gar nicht diskutiert? Dürfen Jugendliche und Schüler nirgends ihre Meinung artikulieren? Herrscht ein autoritärer, lehrerzentrierter Unterricht vor? Diese Fragen kann man weder eindeutig bejahen, noch wirklich verneinen. Allerdings dürfte es Konsens darüber geben, dass Diskussionskultur im weitesten Sinn auch etwas mit Partizipation am politischen und gesellschaftlichen Leben zu tun hat und folglich zur politischen Bildung gehört.

Laut Duden hat „diskutieren“ unter anderem die Bedeutung von „Meinungen austauschen, reden, verhandeln, eine Auseinandersetzung haben“. Grundvoraussetzung zum Diskutieren ist die Sprachkompetenz, also das Beherrschen einer oder mehrerer Umgangssprachen. Junge Menschen müssen lernen, andere zu verstehen und sich selber angemessen auszudrücken. In den Rahmenlehrplänen der Luxemburger Sekundarschulen wird auf den Erwerb dieser Kompetenzen entsprechend Wert gelegt, auch wenn der Begriff „Diskutieren“ als solcher explizit kaum auftaucht. Im Deutschunterricht der 7. Klasse werden die Schüler beispielsweise im Bereich „Sprechen, Reden, Zuhören“ gefördert. In der 12. Klasse zielt man auf eine komplexere Sprachkompetenz ab („formuler un raisonnement logique en utilisant des arguments pertinents et en justifiant son avis“), welche die Teilhabe an Diskussionen ermöglicht. Erst wer die Sprache beherrscht, ist in der Lage, an einer Diskussion teilzunehmen, sich differenziert zu einem Thema zu äußern und sich mit Respekt vor der gegenteiligen Meinung des Mitdiskutierenden adäquat zu artikulieren.

Es ist freilich ein weiter Weg bis eine derartige Diskussionskultur verinnerlicht wird. Im Prinzip bieten viele Fachgebiete die Möglichkeit, sich kontrovers mit allen möglichen mehr oder weniger aktuellen Themen zu befassen. Neben Fächern wie Formation morale et sociale und Instruction religieuse et morale sollen die Sozialwissenschaften, unter anderem Education à la citoyenneté und Instruction civique einen wichtigen Beitrag zur Diskussionskultur leisten. Letztere haben nicht nur den Freiraum, sondern verfügen prinzipiell auch über ein ganzes Methodenrepertoire, mit dem die sogenannten „Demokratie-Kompetenzen“ erworben beziehungsweise trainiert werden können. Dazu zählen Perspektivenübernahme, Konfliktfähigkeit, Denken in abstrakten Zusammenhängen und politisch-moralische Urteilsfähigkeit. Das „Handwerkszeug“, das in der Schule genutzt werden kann, reicht vom kritischen Lesen von Texten (Zeitungsartikeln, politische Reden, Parteiprogrammen, u.s.w.), über das Durchführen von Pro- und Kontra-Debatten bis hin zum Simulieren von Entscheidungsprozessen (z. B. Plan- und Rollenspiele, Zukunftswerkstatt, u.s.w.).

Diskutieren bedeutet in einem erweiterten Sinne auch mitdiskutieren, mitgestalten und mitbestimmen, was allgemein unter dem Stichwort „Partizipation“ zusammengefasst wird. Wobei wir bei einem der wichtigsten Ziele der Schule überhaupt wären: Kinder und Jugendliche befähigen, aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Aber kann die Institution „Schule“ diese Erwartungen erfüllen? Lässt sie Schüler mitreden, was Struktur und Inhalte angeht? Gibt sie jungen Menschen den nötigen Freiraum, um Demokratie real zu erfahren und eine wirkliche (regelrechte?) Diskussionskultur zu erleben?

Einige Möglichkeiten dafür sind vorhanden. In den Sekundarschulen findet man die Klassensprecher (délégués de classe) und die Schülervertretungen (comités des éléves), in einzelnen Grundschulen gibt es Klassenräte oder Schülerparlamente. Allerdings scheinen die gesetzlich vorgesehenen Gremien unbefriedigend zu funktionieren oder nicht ausreichend zu wirken, um eine Diskussions- und Partizipationskultur entstehen zu lassen beziehungsweise sie zu entwickeln und zu fördern. Die International Civic and Citizenship Education Study kam 2010 jedenfalls zum Schluss, dass im internationalen Vergleich Luxemburgs Schülerinnen und Schüler eher schlecht abschneiden, wenn es um Partizipation im schulischen Bereich geht.1

Möglicherweise liegt eine Ursache dieses Defizits darin, dass die schulischen Mitwirkungsgremien allzuoft nur Beratungs- oder Empfehlungsfunktionen haben und mit einem hohen Maß an Bürokratisierung einhergehen. Kinder und Jugendliche merken sehr wohl, wenn sie nicht ernstgenommen werden. Diskutieren um der Diskussion willen wird schnell als unauthentisch entlarvt und macht in Schüleraugen wenig Sinn. Um in der Schule eine Diskussionskultur entstehen zu lassen, die diesen Namen verdient, muss sie sowohl von den Erwachsenen (Schulleitungen, Lehrern, Eltern) wie von den Schülern selbst gewollt und akzeptiert werden. Hier wird allerdings das Spannungsfeld sichtbar, in dem sich alles Schulische bewegt: Einerseits ist es der Anspruch der Gesellschaft — und damit der Auftrag an die Schule, Kinder und Jugendliche zu befähigen, eigene Meinungen, Wünsche und Zukunftsvorstellungen zu artikulieren und sich für sie einzusetzen. Andererseits bietet die Schule einen geradezu archaisch anmutenden Rahmen, in dem Widerspruch und Infragestellen noch häufig unerwünscht sind. Allein die in unseren Klassenzimmern noch immer vorherrschende Sitzordnung spricht Bände: Der Lehrer steht vorne, die Schüler sitzen in Reih und Glied. Wie soll man sich da eine Diskussion auf Augenhöhe vorstellen? Auch dürfen Schüler nur selten an der Unterrichtsplanung selbst teilhaben, über Methoden und Inhalte im Prinzip fast gar nicht mitentscheiden. Diskutieren und Kritisieren wird von den Lehrern nur allzu oft als „Meckern“ und nicht als konstruktives Infragestellen empfunden. Schüler ihrerseits beschränken sich oftmals tatsächlich auf unkonstruktives „Stänkern“. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie sich ihrer Verantwortung in einem Diskussionsprozess gar nicht bewusst sind, da ihnen im Gegenzug nur selten das nötige Vertrauen entgegengebracht wird. Verantwortung übernehmen kann schließlich nur der, dem man Verantwortung anvertraut.

Was ist also zu tun? Da es in Luxemburg an einer Tradition der politischen Bildung fehlt, muss in die Aus- und Weiterbildung der Lehrer investiert werden: Eine demokratische Schulkultur, zu der Diskussion und Partizipation gehören, kann nicht von oben diktiert werden, sondern sie muss in den kommenden Jahren aufgebaut werden. Ein „Zentrum fir politesch Bildung“ könnte hier eine wichtige Rolle spielen (siehe Kasten).

An pädagogischen Möglichkeiten, wie man Schüler aktivieren kann fehlt es eigentlich nicht: selbstgeführte Schülerzeitungen und Internetseiten, in Eigenregie organisierte Klassenfahrten, selbst geplante Mitarbeit der Schüler bei humanitären und sozialen Projekten und andere Formen des sogenannten service-learning, von Schülern geleitete Mediationsgruppen (Peer Mediation), von Schülern selbst zu realisierende Projektwochen, schüler-verantwortete Freizeit- und Pausenräume, selbstverwaltete Schülerbudgets, Schülerfirmen, und und und … Leider sind diese Projekte oftmals kurzfristig angelegt oder sind nicht in ein pädagogisches Gesamtkonzept eingebettet.

Einzeln machen solche Aktionen nur wenig her, wären sie aber Teil einer demokratischen Schulkultur, würden sie ein wichtiges Fundament schaffen, auf dem junge Menschen nicht nur zum Diskutieren, sondern auch zum Mitgestalten angeregt und befähigt werden. Als mündige und kritische Bürger, die Jugendliche ja nicht erst mit Erreichen der gesetzlichen Volljährigkeit sind, müsste es den Lernenden gestattet sein, nicht nur ihre Meinung laut kundzutun, sondern auch konkret Veränderungen vorantreiben zu dürfen. Bleibt nur noch die entscheidende Frage zu stellen: Ist die Schule dazu bereit?

1 Burton, Réginald, Houssemand, Claude, ICCS (International Civic and Citizenship Education Study), Rapport national Luxembourg, Luxemburg, 2010, Online abrufbar unter: http://www.men.public.lu/ catalogue-publications/systeme-educatif/qualite-sco- laire/iccs-2009/iccs-2009.pdf (18.9.2015)

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