Gefängnisse sind schädlich, aber nötig

Einführung ins Dossier

In einem am 9. Oktober 2020 in der Zeitschrift Publik-Forum veröffentlichten Interview heißt es1: „Gefängnisse sollen nach allgemeiner Auffassung unsere Sicherheit vergrößern und für Gerechtigkeit sorgen. Doch dazu taugen sie unter dem Strich nicht, sie schaden sogar.“ Das sagt nicht irgendjemand, sondern Thomas Galli. Er hat 15 Jahre in verschiedenen Gefängnissen gearbeitet und zum Schluss eine Anstalt geleitet, in der Kleinkriminelle und Menschen mit ein- bis zweijährigen Haftstrafen eingesperrt sind, vor allem aus dem Drogenmilieu. Galli weiter: „Bei sehr vielen Inhaftierten richten [die Gefängnisse] Schaden an. Nach der Haft haben sie große Schwierigkeiten, in der Freiheit wieder auf die Beine zu kommen, einen Arbeitsplatz zu finden, in die Gesellschaft integriert zu werden.“ In Luxemburg müsste man hinzufügen: eine Wohnung zu finden. „Die Inhaftierung schadet auch den Angehörigen […], obgleich sie völlig schuldlos daran sind. […] Das Gefängnis richtet auch gesamtgesellschaftlich unterm Strich Schaden an. Es erhöht bei der Mehrheit der Inhaftierten die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder kriminell werden.“

Das Thema Strafjustiz und Strafvollzug in Luxemburg hat uns bei forum immer schon interessiert. Schon in Nr. 9 vom 30. Oktober 1976 stand „Unsere Strafjustiz unter Anklage“. In Nr. 27 vom 14. Oktober 1978 wurde dem Thema ein ganzes Dossier gewidmet – in Zusammenarbeit mit der damaligen action prisons, die in den nächsten Jahren der Problematik regelmäßig eine Rubrik widmete. Das Interesse wurde damals einerseits beflügelt von einer Gefangenenrevolte im Gefängnis in Stadtgrund (1972), andererseits vom Bau der neuen Strafanstalt zwischen Sandweiler und Schrassig und den Reformen im Strafrecht und Strafvollzug, die Justizminister Robert Krieps (LSAP) in die Wege geleitet hatte, während die damals erzkonservative Redaktion des Luxemburger Wort auf aggressivste Weise die Angstgefühle ihrer Leser gegen jegliche Liberalisierung, inklusive Abschaffung der Todesstrafe, mobilisierte. Abgesehen von aktualitätsgebundenen Beiträgen widmete forum in Nr. 275 im April 2008 erneut und bis heute zum letzten Mal dem Gefängnis und Strafvollzug ein Dossier.

Im vorliegenden Dossier wollen wir uns vorrangig mit der tagtäglichen Wirklichkeit im Mikrokosmos Gefängnis beschäftigen. eran, eraus … an elo?, ein Verein, der sich für eine Verbesserung der Haftbedingungen in Luxemburg einsetzt, skizziert die Lage im aktuellen Strafvollzug und nimmt die Schwachstellen im Hinblick auf die angestrebte Resozialisierung kritisch unter die Lupe. Eine Frau erzählt anonym, was zehn Tage Untersuchungshaft bei ihr bewirkt haben. Serge Kollwelter beschreibt das Besuchsrecht bei verurteilten Gefangenen und im Centre de rétention auf Findel. Die Kriminologin Fanny Dedenbach beleuchtet den Jungendstrafvollzug. Zwei Anwältinnen, Claude Jost und Nora Dupont, stellen die rezenten Reformen im Strafrecht vor und betonen, wie auch eran, eraus … an elo?, dass das Gesetz vom 28. Juli 2018 gleich in Art.1 das elektronische Armband zur Bewegungskontrolle auch für Untersuchungshäftlinge eingeführt hat, die Richter davon aber keinen Gebrauch machen! Es sind auch nur 55 Verurteilte, denen die Staatsanwaltschaft 2019 diese Form des Freiheitsentzugs gewährt hat; laut Serge Legil, dem Direktor der Administration pénitentiaire, kamen 2020 gar nur zehn Gefangene in den Genuss dieser Strafart. Was das Einsperren aber für den Inhaftierten bedeutet, erklärt – abgesehen von den Schäden, die Thomas Galli evoziert – der Gefängnispsychologe Marc Barthels, der im Interview seine Arbeit und ihre „Erfolgs“-Chancen beschreibt.

Es bleibt noch viel zu tun

Diese Lagebeschreibungen führen zum Schluss, dass seit dem letzten forum-Dossier der Fortschritt in Sachen Humanisierung des Strafvollzugs sehr begrenzt war, von einer Abkehr von Freiheitsstrafen zugunsten anderer Strafarten, um der Resozialisierung der Straffälligen größere Chancen zu geben, ganz zu schweigen. Staatsanwälte und Richter wehren sich ja auch gegen die von vielen Seiten als dringend geforderte Reform der Jugendstrafgesetzgebung, wie sie von verschiedenen Ministern angedacht wurde. Darauf wird forum im Herbst 2021 in einem eigenen Dossier zurückkommen.

Liest man aber das Interview mit Gefängnisdirektor Serge Legil, dann muss man doch stark nuancieren. Er beschreibt die wenig bekannten Maßnahmen, die vom Tag der Inhaftierung an mit dem Häftling geplant und diskutiert werden, um seine Haftentlassung vorzubereiten. Er ist nicht mit Michel Foucault und Gesinnungsgenossen einverstanden, die in den 1970er Jahren die Abschaffung der Gefängnisse und aller Einsperrungen, etwa auch in psychiatrischen Anstalten, forderten, und würde wohl auch dem eingangs zitierten Thomas Galli widersprechen. Doch er nennt auch die materiellen Grenzen, an die verschiedene, durchaus beschlossene Reformen bei ihrer Umsetzung stoßen, und erinnert daran, dass die große Mehrheit der Inhaftierten im Luxemburger Gefängnis Ausländer sind, die nach der Haftentlassung das Land verlassen, sodass der Erfolg von Resozialisierungsmaßnahmen gar nicht geprüft werden kann und transition houses, wie die Caritas sie plant(e), wohl nur für wenige gebraucht würden. Aber auch er führt eine Wunschliste, was sich noch alles im Strafvollzug ändern müsste, damit er humaner und die Resozialisierung erfolgreicher wird. Ganz konkret seien hier die Einführung einer Krankenversicherung für Inhaftierte und der Ausbau der restaurativen Justiz genannt. Letztere bringt die direkt Beteiligten, also Geschädigte und Straftäter, zu einer Suche nach Lösungen zusammen, mit dem Ziel einer Wiedergutmachung materieller und moralischer Schäden und der Wiederherstellung von positiven sozialen Beziehungen. Und wenn Legil die restaurative Justiz vor allem bei kleineren Vergehen und Ersttätern angewandt sehen möchte, trifft er sich wieder mit Thomas Galli, der vor allem mit solchen Kleinkriminellen zu tun hatte, für die ein Aufenthalt in der Strafvollzugsanstalt mehr Schaden als Gutes bewirkt.

  1. Anlass war das Erscheinen seines Buches: Thomas Galli, Weggesperrt. Warum Gefängnisse niemanden nützen, Hamburg, Edition Körber, 2020.

 

Die Luxemburger Gefängnislandschaft

  • CPL: geschlossene Haftanstalt in Schrassig, 1984 eröffnet (als Ersatz für das Gefängnis in Stadtgrund), 597 Betten, 381 Mitarbeiter (Stand: 2017)
  • CPG: halboffene Haftanstalt in Givenich (für kürzere Aufenthalte), 1956 eröffnet, 113 Betten, 76 Mitarbeiter (Stand: 2017)
  • CPU: Uerschterhaff (im Bau) nur für Untersuchungshäftlinge, Eröffnung geplant für 2023, 300 Betten vorgesehen
  • Unisec: Unité de sécurité des mineurs in Dreiborn, geschlossene Anstalt für Minderjährige bei schwerwiegenden Straftaten, 2017 eröffnet, 12 Betten

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