Schluss mit der Entwicklungshilfe!

Vor vielen, vielen Jahren hat forum einen Cartoon publiziert, der einen dicken, reichen Mann zeigte, dem ein schmächtiger, in Lumpen gekleideter Mann gegenüberstand. Letzterer sagte zum ersten: „Wäre ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

Damit ist die ungleiche Verteilung der Lebenschancen auf dieser Erde auf den Punkt gebracht: Der Reichtum der sogenannten „Ersten Welt“ ist nicht nur die Ursache für die Armut der sogenannten „Dritten Welt“, sondern deren Armut erklärt erst den Reichtum der ersten. Der Wohlstand Europas und Nordamerikas beruht auf der Ausbeutung der Ressourcen Afrikas, Lateinamerikas, Südostasiens. Deren Armut ist nicht naturbedingt oder gottgegeben, sondern rührt aus den Folgen von Kolonialismus und Imperialismus, die sich in einem globalen Wirtschaftssystem fortsetzen, das nicht nur global zu nennen ist, weil es weltweit agiert, sondern auch, weil es alle Lebensbereiche betrifft. Dieses kapitalistische, auf Profitmaximierung und endloses Wachstum ausgerichtete, globale Wirtschaftssystem verursacht, wie Carole Reckinger in ihrem Beitrag darlegt, nicht nur Armut und Hungerkrisen in den Ländern des Südens, sondern auch Klimakrise und Verlust der Biodiversität auf der gesamten Erdkugel.

Angesichts dieser Zusammenhänge muss man sich die Frage stellen, ob Entwicklungshilfe oder Kooperationspolitik überhaupt Sinn ergeben, ob sie mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein können, der wirkungslos verdampft, wie Jean-Pierre Olivier de Sardan in seinem Buch feststellt, das Raymond Weber präsentiert. Vielleicht ist sie gar nur das Feigenblatt, das die Erkenntnis dieser globalen Zusammenhänge verhindern soll, damit nur niemand sie in Frage stellt und auf Änderung drängt. Wie wichtig das Aufrechterhalten dieses Schleiers bestimmten Machthabern ist, zeigt der von Sebastian Weier aufgedeckte Nexus zwischen humanitärer und militärischer Intervention. Vor Jahrzehnten trug auch die missionarische Tätigkeit der Kirchen zu dieser Verschleierung der Ausbeutung bei, wie Régis Moes aufzeigt. Heute stehen die christlichen Kirchen erfreulicherweise an der Spitze der Mahner, dass die Menschheit so nicht mehr weiterleben kann (vgl. Carole Reckinger).

Muss die Antwort dann nicht lauten: Wir müssen das kapitalistische Wirtschaftssystem umkrempeln, statt dessen Krümel zu verteilen? Damit stellt sich schlicht und ergreifend die Systemfrage. Auf der Suche nach Antworten müssten Umweltaktivisten und Vereinigungen aus dem Bereich der Kooperationspolitik zusammenarbeiten. Während erstere erkannt haben, dass die Länder des Südens die ersten Opfer der Klimakrise sind, müssen etliche ONGD, wie der anonym veröffentlichte Beitrag im Dossier zeigt, noch lernen, aus ihrer paternalistischen Herangehensweise auszubrechen, um die wahren Ursachen der Armut zu erkennen.

Als Zwischenschritt auf dem Wege zu einer gerechteren Weltordnung sollte zumindest die staatliche wie die private Kooperations­politik sich den wahren Bedürfnissen der Menschen in den Ländern des Südens anpassen. Dazu würde sicher gehören, dass die Regierung – statt die von Minister Franz Fayot als quantitativ wie qualitativ vorbildlich angesehene Entwicklungshilfe ins Schaufenster zu stellen – das Weißwaschen der Gelder von kleinen und großen Diktatoren aus der „Dritten Welt“ sowie das Verschieben der Gewinne von internationalen Konzernen auf dem Luxemburger Finanzplatz unterbindet und dass man schleunigst ein für alle geltendes Lieferkettengesetz verabschiedet, dessen Durchführung systematisch und streng überwacht werden muss. Statt Entwicklungshilfe ist empowerment, Ermächtigung zur Selbsthilfe angesagt. Der Respekt des Rechts auf eigenständige Entwicklung der sehr unterschiedlichen Gesellschaften in den „Partnerländern“, wie Raymond Weber ihn fordert, muss Grundlage jeder Zusammenarbeit werden. Dazu ist ein langjähriges Eintauchen in diese Gesellschaften nötig, um das notwendige soziale Kontextwissen zu erwerben, das de Sargan zu Recht verlangt.

Dann wird wahrscheinlich ohnehin die Wachstumslogik ausgebremst werden, weil diese Gesellschaften für den Eigenbedarf produzieren werden statt für den Weltmarkt. Ohne die natürlichen Ressourcen aus diesen Ländern, sei es Mais oder Soja, Kobalt oder Cadmium, Baumwolle oder Bauxit, wird das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern ohnehin gebremst werden. Das gilt auch, wenn diese Ressourcen zwar weiterhin verfügbar bleiben, aber ein gerechter Preis dafür bezahlt werden muss. Die Covid-Krise liefert einen unfreiwilligen Vorgeschmack, wie internationale Handelsströme innerhalb weniger Monate zurückgehen können. Die Hoffnung bleibt, dass die Menschheit lernen wird, mit weniger Ressourcen umzugehen, die dann gerechter verteilt sein werden. Wirtschaftlichen, in BSP-Zahlen messbaren Fortschritt wird es vielleicht nicht mehr geben, wohl aber sozialen, ethischen, menschlichen Fortschritt: Fortschritt beim Glücksempfinden.

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