23 Prozent

Die Beteiligung der Ausländer bei den Gemeinde- und Europawahlen

Überraschenderweise brachte der neue CSV-Präsident Frank Engel das Wahlrecht für Ausländer wieder ins öffentliche Gespräch. In einem Interview auf Radio 100,7 meinte er, sich vorstellen zu können, dass seine Partei unter bestimmten Bedingungen – gemeint war das Beherrschen der luxemburgischen Sprache – ihre Einstellung zum Wahlrecht ausländischer Mitbürger bei Legislativwahlen ändern könnte.

Es ehrt ihn und seine Partei, wenn sie zur Meinungsänderung fähig sind. Wohl hatten beim Referendum am 7. Juni 2015 78% der Wähler, also 29% der Einwohner, gegen ein Wahlrecht für alle erwachsenen Einwohner gestimmt, und alle Parteien hatten versprochen, das Ergebnis zu respektieren. Doch in einer Demokratie vertreten Mehrheiten nicht immer die ethisch sauberste oder im Landesinteresse beste Lösung. Ob bei einem Referendum über die Todesstrafe eine Mehrheit sich dagegen ausspräche, scheint mir z.B. gar nicht sicher. Die Tatsache, dass im Großherzogtum nur eine Minderheit das Recht auf politische Mitsprache genießt, ist auf jeden Fall undemokratisch und politisch gefährlich, vor allem in Zeiten des Populismus und zunehmender Ausländerfeindlichkeit.

Auf Gemeindeebene und bei den Wahlen zum Europaparlament ist die Rechtslage eine andere. Bei den Europawahlen dürfen die EU-Bürger ohne minimale Residenzdauer teilnehmen, sofern sie sich rechtzeitig, d.h. 87 Tage vor dem Wahltermin, eingetragen haben. An den Gemeindewahlen dürfen alle erwachsenen Ausländer, die seit fünf Jahren im Land leben, teilnehmen. Das CEFIS (Centre d’études et de formation interculturelle et sociale asbl) hat vor kurzem in seiner Schriftenreihe RED den Band 22 vorgelegt, der eine wissenschaftliche Untersuchung von 178 Seiten enthält, über die Frage, wie viele und welche Gruppen von Ausländern sich aus welchen Gründen für die Gemeindewahlen vom 8. Oktober 2017 eingeschrieben hatten, wer von ihnen kandidierte und wer gewählt wurde.

Einige Zahlen seien herausgegriffen: 34 638 Nicht-Luxemburger hatten sich bis zum 14. Juli 2017 auf die Wahllisten eintragen lassen. Das waren immerhin 23% der Ausländer, die die Bedingungen erfüllten. Das waren andererseits aber nur 12% der Wähler. Von den 3 575 Kandidaten waren 270 bzw. 7,6% Ausländer. 15 Nicht-Luxemburger, 9 Frauen und 6 Männer, wurden gewählt: bei insgesamt 1 119 Gemeinderatsmitgliedern sind das 1,3%. 2011 waren von 3 319 Kandidaten 236 Ausländer (7,1%), von denen 17 gewählt wurden. Ausländer haben eindeutig mehr Chancen, in einer Majorzgemeinde gewählt zu werden als in einer Proporzgemeinde: 10 gewählten Ausländern in kleinen Gemeinden mit weniger als 3 000 Einwohnern stehen nur 5 Gemeinderäte in Proporzgemeinden gegenüber; zwei von ihnen gehören der DP an, drei den Grünen.

Zusätzlich ist aufgefallen, dass sich proportional mehr EU-Bürger als Menschen aus Drittstaaten eingeschrieben hatten. Wähler aus gehobenem Milieu und mit höherer Bildung waren zahlreicher als solche aus benachteiligten Gesellschaftsschichten. Ältere Mitbürger waren stärker interessiert als junge. Wer länger hier lebt, ist eher bereit, zur Wahlurne zu schreiten als Neuzugezogene, die immerhin mindes­tens seit 5 Jahren hier leben. Es wäre sicher interessant, bei der nächsten Studie das Einschreibeverhalten von ausländischen Mitbürgern mit den Anträgen auf (doppelte) Staatsbürgerschaft zu vergleichen: Möglicherweise stellen junge Mitbürger eher einen Antrag auf die luxemburgische Staatsangehörigkeit, sodass sie sich seltener auf die Wählerlisten eintragen lassen müssen.

Auf Wunsch des Integrationsministeriums unter Leitung von Corinne Cahen, die die Studie in Auftrag gegeben hatte, interessierte das CEFIS sich vor allem für die Wirkung der verschiedenen Sensibilisierungsaktionen auf die ausländischen Mitbürger. Am wirksamsten waren persönliche Gespräche, um sie zur Einschreibung auf die Wählerlisten zu motivieren. Das gilt ganz besonders, wenn bei solchen Gesprächen geschulte Multiplikatoren im Spiel waren. Von 231 vom CEFIS ausgebildeten Personen waren 177 Ausländer, die also ihre ‚Landes‘genossen zu überzeugen versuchten. Hingegen waren die politischen Parteien offenbar überhaupt nicht an solchen Sensibilisierungsaktionen beteiligt, obschon sie ja dabei auch für sich hätten werben können. Großen Erfolg hatten Aktionen, dank derer die Einschreibeprozedur vereinfacht wurde. So sorgte die Gemeindeverwaltung von Differdingen dafür, dass bei Volksfesten ein Gemeindebeamter zugegen war, der gleich das Einschreibeformular auszufüllen half und die Identitätspapiere kopieren konnte. An den beiden zur „Journée nationale d’inscription“ erklärten Samstagen, an denen die Gemeindebüros ausnahmsweise geöffnet waren, nutzten deutlich mehr Mitbürger die Gelegenheit, sich einzuschreiben als im Jahr davor. Die Höchstzahl von 867 Eintragungen wurde am 13. Juli 2017 erreicht, am Vorabend des Stichtags, an dem die Einschreibungsfrist ablief. Schon seit Juni waren die Zahlen auf täglich über 100 angewachsen.

Das Stichdatum von 87 Tagen vor dem Wahltag, wenn von einer Wahlkampagne noch nichts zu spüren ist, dürfte denn auch der Hauptgrund sein, warum so wenige ausländische Mitbürger sich einschreiben. In Gesprächen mit ihnen wurde auch die sich aus der Einschreibung ergebende Wahlpflicht als Hinderungsgrund genannt. Andere erklärten, kein persönliches Interesse zu erkennen, warum sie an den Wahlen teilnehmen sollten. Das Desinteresse, das auch in den Ländern ohne Wahlpflicht zu beobachten ist, scheint bei den ausländischen Mitbürgern nicht geringer zu sein als bei den Luxemburgern, von denen viele auch die Wahlpflicht abschaffen möchten. Dass andere Befragte fanden, in ihrer Gemeinde sei alles in Ordnung und eine Wahlbeteiligung daher überflüssig, zeugt sicher von einer gewissen Blauäugigkeit, die im Falle des Wahlsiegs einer anderen Mehrheit als der bisherigen für unliebsame Überraschungen sorgen könnte.

Am 28. Februar 2019 war der letzte Tag, an dem sich EU-Ausländer für die kommenden Europawahlen am 26. Mai dieses Jahres einschreiben konnten. Zu Redaktionsschluss lagen noch keine Zahlen vor, wie viele Mitbürger von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben. Auch im Hinblick auf diesen Termin lief eine Sensibilisierungskampagne, von der man als Luxemburger allerdings nicht viel mitbekam. Wenn es im Koalitionsabkommen heißt: „Les moyens tendant à améliorer la participation des citoyens étrangers aux élections locales seront étudiés“, so muss man der Regierung unbedingt ans Herz legen, das von der ASTI seit Jahren empfohlene belgische Modell aufzugreifen. Dort wird Neubürgern, die sich im Rathaus anmelden, sofort ein Formular ausgehändigt, mit dem sie sich auf die Wählerlisten eintragen können. Es besteht auch keine 5-Jahre-Residenzklausel für EU-Bürger, auch nicht bei Gemeindewahlen. In Zeiten, in denen es auf jede Stimme ankommt, etwa um zu verhindern, dass populistische, europakritische oder gar nationalistische Parteien im Europaparlament zur stärksten oder zweitstärksten Fraktion gewählt werden, sind derartige Vereinfachungen zur Erweiterung der Wählerlisten von höchster Bedeutung für die Stärkung der Demokratie.

Bibliographie:

Les élections communales d’octobre 2017. Étude réalisée par Sylvain Besch et Nénad Dubajic (RED, n° 22), Luxembourg : CEFIS, octobre 2018, ISBN 978-99959-860-4-9 (à commander via
cefis@.cefis.lu).

 

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