- Politik
3 Fragen an…
... die Gemeindepolitik
Wir haben Gemeindepolitiker*innen der in der Chamber vertretenen Parteien und den parteilosen Thierry Lagoda angeschrieben, uns auf folgende Fragen Antworten zu senden.
1. Was sind in Ihren Augen die besonderen Kompetenzen, die ein*e Gemeindepolitiker*in im Gegensatz zu einer*m Landespolitiker*in mitbringen muss?
2. Müssten, um eine starke Gemeindepolitik machen zu können, nicht die Doppelmandate abgeschafft werden? Und darüber hinaus: Müssten Gemeindepolitiker*innen, oder zumindest die Bürgermeister*innen, nicht eine Vollzeitstelle ausüben?
3. Was muss geschehen, um ein funktionierendes öffentliches Leben auch in kleinen ländlichen Gemeinden zu erhalten oder zu stärken?
Marc Baum (déi Lénk)
Marc Baum ist Schauspieler, Regisseur und Gründungsmitglied von déi Lénk. Von 2008 bis 2014 war er und seit 2017 ist er Gemeinderat in Esch-sur-Alzette, seit 2016 ist er Abgeordneter in der Chamber.
1. Als Gemeindepolitiker*in sollte man sich die Fähigkeit erarbeiten, im Kleinen das Große zu erkennen, und sich nicht von sogenannten Sachzwängen das Denken verbieten lassen. Wichtige Entscheidungen haben auf den ersten Blick oft einen administrativen Charakter, der das demokratische – also politische – Moment verhüllt. Zum Beispiel: Wassertaxen erhöhen oder senken ist kein Verwaltungsakt, sondern ein politischer, der wichtige soziale, ökologische und demokratische Fragen aufwirft, die das gesellschaftliche Leben betreffen.
Eine wichtige Kompetenz eines Gemeinderatsmitglieds besteht auch darin, den gestalterischen Handlungsspielraum der Gemeinde auszufüllen und zu erweitern. Hierzu bedarf es eines Minimums an Vorstellungskraft: die Gemeinde als Motor des öffentlichen Wohnungsbaus, die Gemeinde als zentraler Akteur der Energietransition, die Gemeinde als Ort gelebter Integration – das alles sind Möglichkeiten, die Gemeinden durchaus haben, doch die wenigsten werden ausgenutzt. Und zu guter Letzt: Ohne Liebe geht gar nichts (wie so oft im Leben). Hier vor allem: zu den Menschen, die in einer Gemeinde leben und arbeiten.
2. Es ist in der Tat ein Unding, ein Mandat als Abgeordnete*r zu tragen und gleichzeitig Bürgermeister*in oder Schöffe*in zu sein. Das ist schon rein zeitlich äußerst schwer vereinbar. Entweder leidet die parlamentarische Arbeit oder die kommunale. Eine starke Gemeindepolitik benötigte in der Tat die volle Konzentration zumindest derjenigen, die in der Exekutive sind und die Gemeinde führen. Nicht selten führt dies auch zu handfesten Interessenskonflikten: Sollte ein*e Abgeordnete*r die Interessen des ganzes Landes im Blick haben, so können diese durchaus nicht im Einklang mit den Interessen einer bestimmten Gemeinde stehen. Dabei kommen meistens die waghalsigsten Pirouetten heraus von manch einer*m député.e-maire oder député.e-échevin.e.
Als déi Lénk treten wir deshalb seit jeher dafür ein, diese Art der Doppelmandate abzuschaffen. Dies beinhaltet natürlich eine Aufwertung der kommunalen Exekutiven, also auch die Möglichkeit, das Bürgermeister*innen- oder Schöff*innen-Amt in größtmöglicher finanzieller Unabhängigkeit ausüben zu können. Die Gemeinden und die lokalen Öffentlichkeiten wären auf jeden Fall die Gewinner dabei.
3. Erstens: die Stärkung öffentlicher Dienstleistungen in den ländlichen Regionen. Die aktuelle Schließung von Post- und Sparkassenfilialen sowie das ersatzlose Streichen von Bahnschaltern ist eine katastrophale Entwicklung in die falsche Richtung. Wo es kein öffentliches Leben mehr gibt, da machen auch die paar übrig gebliebenen Geschäfte langsam aber sicher dicht. Deshalb muss die Auslagerung von öffentlichen Dienstleistungen an Tankstellen oder Shoppingmalls auf der grünen Wiese unbedingt gestoppt werden.
Zweitens: die Herstellung von Public-Public-Partnerships im ländlichen Raum. Rurale Gemeinden müssen unterstützt werden, um ihren Bürger*innen ein vielfältiges Angebot an öffentlichen Dienstleistungen anzubieten.
Drittens: Die Verödung an öffentlichen Angeboten in ländlichen Regionen hat auch mit einer verfehlten Landesplanung zu tun, einer immer noch nicht geglückten Dezentralisierung von staatlichen Dienststellen und dem völligen Fehlen einer Zusammenarbeit mit den benachbarten Grenzregionen. Hier bräuchten wir dringend einen Paradigmenwechsel.
Carole Hartmann (DP)
Carole Hartmann ist Rechtsanwältin, seit 2017 Gemeinderätin in Echternach, seit 2018 Abgeordnete in der Chamber und Präsidentin der DP Sektion Osten.
1. Ich glaube nicht, dass sich die Kompetenzen eines Gemeindepolitikers grundsätzlich von denen eines Landespolitikers unterscheiden. Für beide ist die Nähe zum Bürger sehr wichtig, offen zu sein für seine Sorgen und Probleme sowie konkrete Lösungsvorschläge nicht nur anzubieten, sondern auch erfolgreich in die Tat umzusetzen. Neben Weitsicht sind vor allem Ausdauer und Durchsetzungsvermögen entscheidend.
Hinzu kommt, dass gerade in Luxemburg Lokal- und Nationalpolitik oft nicht streng voneinander zu trennen sind. Gemeindedossiers können sehr schnell nationale Bedeutung erlangen. Deshalb sind ein guter Austausch und eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Ebenen von großer Wichtigkeit. Als Politiker muss man gleichzeitig auf mehreren Hochzeiten tanzen können, um ein Projekt erfolgreich abzuschließen. Die Kompetenzen eines Gemeindepolitikers und die eines Landespolitikers ergänzen sich demnach eher, sie sind komplementär.
Schließlich sind regionale Kooperationen in vielen Bereichen heute die Regel, sei es bei der Abfallentsorgung, der Schmutzwasseraufbereitung oder dem Betreiben von regionalen Aktivitätszonen. So muss man also auch in der Lage sein, Synergien mit den Nachbargemeinden zu schaffen, um gemeinsame Projekte zu realisieren – eine Kompetenz, die ebenfalls in der nationalen Politik elementar ist.
2. Man muss bedenken, dass in Luxemburg der Einstieg in die Nationalpolitik klassischerweise über ein Gemeindemandat führt. Die Tatsache, dass aktuell mehr als ein Drittel aller Abgeordneten ebenfalls Bürgermeister oder Schöffe einer Gemeinde sind, zeigt dies sehr eindrücklich. Dennoch ist die Frage berechtigt, da auch die Gemeinden stetig wachsen und immer mehr Bürgermeisterposten zum Fulltime-Job werden.
Ich denke aber, dass es vorerst genügt, über die Einführung eines Vollzeitbürgermeisters in den großen Gemeinden nachzudenken. Im Übrigen finde ich es sinnvoll, die aktuellen finanziellen Rahmenbedingungen sowie den politischen Urlaub für Gemeindepolitiker unter die Lupe zu nehmen und gegebenenfalls anzupassen. Immerhin stammt der jetzige rechtliche Rahmen in seinem Grundgerüst aus den 1980er Jahren. Der Koalitionsvertrag sieht vor, diese Fragen parteiübergreifend zu diskutieren. Dabei ist es wichtig, eine konsensfähige Lösung, die von allen Beteiligten getragen wird, zu finden.
3. Wollen wir unsere Ortschaften neu beleben, dann sind Gemeinden und Staat gleichermaßen gefordert. Es liegt an den Gemeinden, z. B. den Erhalt kleiner Geschäfte zu fördern, indem sie ihnen Lokale zu günstigen Mietpreisen zur Verfügung stellen. So können sie zudem sicherstellen, dass sich Geschäfte bzw. Anbieter von Dienstleistungen ansiedeln, die ins Konzept der Gemeinde passen. Ich denke hier auch gerade an Arztpraxen, um die medizinische Versorgung auf dem Land zu verbessern. Schließlich kann ein City Manager, wie es ihn bereits in einigen Gemeinden gibt, helfen, eine Strategie zur Entwicklung der Ortschaften auszuarbeiten.
Der Staat sollte die Gemeinden bei diesen Bestrebungen aktiv unterstützen, indem er z. B. über best practices in erfolgreichen Gemeinden informiert. Eine gute medizinische Versorgung gehört, wie bereits erwähnt, zu den größten Herausforderungen im ländlichen Raum. Der Staat sollte deswegen die Schaffung von lokalen Gemeinschafts-Arztpraxen stärker fördern als bislang.
Daneben fällt dem Staat aber vor allem eine wichtige Rolle bei der Dezentralisierung der Arbeitsplätze zu. Die Bemühungen, die bisher im Bereich des Télétravail oder der Nutzung von Coworking spaces im öffentlichen Dienst geleistet wurden, müssen einerseits weitergeführt werden. Auch private Unternehmen sollten durch einen klaren rechtlichen Rahmen und etwaige steuerliche Anreize stärker dazu ermutigt werden, ihren Mitarbeitern diese Möglichkeiten anzubieten. Andererseits können Staat und Gemeinden die Dezentralisierung auch dadurch vorantreiben, dass sie neue regionale Industrie- und Gewerbezonen ausweisen und so zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den ländlichen Gegenden beitragen.
Thierry Lagoda (parteilos)
Thierry Lagoda ist Klima-Pakt-Berater und seit 2014 Bürgermeister von Beckerich.
1. Gemeindepolitiker*innen sind im Vergleich zu Landespolitiker*innen im engeren Kontakt mit ihren Bürger*innen. Je kleiner die Gemeinde ist – was vor allem in ländlichen Gegenden der Fall ist – desto enger ist der Kontakt. Diese Nähe sollten sich Gemeindepolitiker*innen zu Nutzen machen. Anders als in der Nationalpolitik kann man gerade in der Gemeindepolitik die Menschen direkt an Entscheidungen beteiligen. Beratende kommunale Kommissionen sind wichtige Hilfsmittel, die es den Gemeindepolitiker*innen erlauben, die Wünsche oder Bedenken der Bürger*innen bei ihren Entscheidungen miteinzubeziehen. „Gute“ Gemeindepolitiker*innen verstehen es, dabei die Interessen Einzelner hinter die Interessen der Allgemeinheit zu stellen. Gerade dies ist dann auch die Gefahr bei einer zu großen Nähe zu den Bürger*innen. Man darf nicht der falschen Annahme verfallen, es jedem Menschen recht machen zu müssen. Nicht jede Entscheidung wird von allen Bürger*innen getragen. Aber auch hier kann die Nähe wiederum ein Vorteil sein. Selbst wenn jemand die Entscheidung nicht mitträgt, haben die Gemeindepolitiker*innen die Möglichkeit, ihre Entscheidungen in einem direkten Gespräch gegenüber den Bürger*innen zu erklären. In der Landespolitik ist es nicht möglich, in dieser Form auf die Kritik der einzelnen Menschen einzugehen.
2. Die Abschaffung der Doppelmandate sehe ich eher zwiespältig. Als Schöffe habe ich selbst miterlebt, wie es ist, wenn der Bürgermeister neben seinem Mandat als Gemeindepolitiker auch ein zweites Mandat als Nationalpolitiker ausübt. Ich bin der Überzeugung, dass die Gemeinde davon profitieren kann, wenn ein*e Gemeindepolitiker*in beide Ämter innehat. Der Informationsfluss zwischen nationaler und lokaler Politik ist viel größer bei der Ausübung von beiden Ämtern. Gemeindepolitiker*innen haben es bei Doppelmandaten viel leichter, lokale Probleme auf nationaler Ebene zu diskutieren.
Allerdings stelle ich mir die Frage, ob beide Ämter mit der gleichen nötigen Sorgfalt ausgeübt werden können. Ich bin da eher skeptisch. Gerade bei größeren Gemeinden über 10.000 Einwohner kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie beide Ämter gleich gut auszuführen sind, ohne eines zu vernachlässigen.
Der politische Urlaub muss meiner Meinung nach reformiert werden. Die Ansprüche der Gesellschaft an die lokale Politik wachsen stetig, Dossiers werden immer komplizierter. Gerade bei kleinen Gemeinden unter 3.000 Einwohnern sind 13 Stunden politischer Urlaub zu wenig. Eine Vollzeitstelle als Bürgermeister*in bringt allerdings die Gefahr mit sich, dass man seinem Beruf zu lange fernbleibt, was gerade in der Privatwirtschaft zu Problemen führen kann. In dem Fall gilt es, der*m Bürgermeister*in nach Ablauf ihres*seines Mandats eine sichere Rückkehr in die Arbeitswelt zu garantieren.
3. Es reicht vor allem nicht, sich als Lokalpolitiker*in darüber zu beklagen und zu hoffen, dass die nationale Politik ein Allheilmittel gegen die Landflucht findet. Ich engagiere mich als Bürgermeister sowie als Syndikatspräsident in einer Region, die seit langem erkannt hat, dass lokale Probleme nur in einem Zusammenschluss mit den Nachbargemeinden gelöst werden können – und dies zum Teil sogar grenzüberschreitend. Im Kanton Redingen haben sich die zehn Gemeinden 1990 in einem Syndikat zusammengeschlossen und seitdem etliche Projekte umgesetzt, die es unseren Bürger*innen erlauben, auf die gleichen Dienste zurückzugreifen wie andere größere Gemeinden. Gerade die von vielen belächelte Regionalwährung Beki ist ein Symbol für den Zusammenhalt unserer Region und für die Bemühungen unserer Gemeinden, die Kaufkraft in unserer Region zu stärken. Mit der europäischen Initiative LEADER zur Stärkung des ländlichen Raums haben wir zudem ein sehr wertvolles Hilfsmittel, das uns erlaubt, eine große Anzahl an Projekten zu entwickeln, die eine Verbesserung der Lebensqualität in unserer Region mit sich bringen. Aus aktueller Sicht ist interessant zu erwähnen, dass die Filiale der Sparkasse in Redingen nicht geschlossen wird. Übrigens befinden sich in Redingen u. a. noch zwei weitere Bankfilialen, ein Postbüro, ein Centre médical und eine Apotheke.
Roy Reding (adr)
Roy Reding war 29 Jahre lang Rechtsanwalt und ist seit 2017 Gemeinderat der Stadt Luxemburg und seit 2013 Abgeordneter in der Chamber.
1. Die Fragestellungen resp. die Ausgangspositionen sind sehr unterschiedlich. Als Abgeordneter befindet man über Gesetze, die allgemeingültig sind. Oft muss man resigniert mit dem 31/29 Resultat leben, wie der Luxemburger Kadavergehorsam alias Fraktionszwang das leider mit sich bringt. Klar kann man punktuell in Kommissionssitzungen die eine oder andere Korrektur an einem von Regierungsseite eingebrachten Gesetzesentwurf durchsetzen. Doch das sind rare Momente.
Auf lokaler Ebene hat man sehr viel mehr Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten. Es geht in der Summe darum, alltagstaugliche Politik in allen Sparten umzusetzen. Gerade auch in der Stadt Luxemburg hat die „Mehrheit“ ein sehr offenes Ohr für die Belange der Bürger, auch wenn sie über einen Oppositionspolitiker eingebracht werden. Wobei ich mich persönlich sehr viel näher an der DP-CSV-Mehrheit fühle als an der doch sehr ideologischen Oppositionspolitik von den Grünen, der LSAP und den Linken. Sowohl die Schöffen als auch die verschiedenen Gemeindeverwaltungen reagieren in der Regel sehr schnell und sehr konstruktiv auf Einlassungen oder Reklamationen.
Insgesamt kann man sagen, dass alle Abgeordneten, die auch lokalpolitisch aktiv sind, die Gemeindepolitik vorziehen, da sie schneller, konkreter und effizienter handeln können, häufig sogar aus der Oppositionsrolle heraus. Fazit: Die lokale Arbeit ist sehr viel befriedigender! Die Kernkompetenz des Lokalpolitikers ist es, seine Bürger, die Viertel, die Vereine etc. zu kennen und sehr aufmerksam zuzuhören…. Weniger Politik, mehr pragmatisches Handeln!
2. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Mandate von Bürgermeister und – zumindest in Proporzgemeinden – auch von Schöffen radikal inkompatibel sind mit dem Mandat eines Abgeordneten, da das Arbeitspensum einfach nicht zu bewältigen ist. Schöffen aus Majorzgemeinden oder einfache Gemeinderatsmitglieder können wahrscheinlich diese Doppelbelastung unter einen Hut kriegen. Ergo würde ich nicht generell alle Gemeindepolitiker von Abgeordnetenmandaten fernhalten wollen.
3. Ich sehe zwei Hauptachsen politischen Handelns:
Staatlicherseits: Es muss verhindert werden, dass Ämter oder Zweigstellen öffentlicher Gesellschaften (Post, Sparkasse….) verschwinden! Viele Einwohner des ländlichen Raumes sind halt eben nicht mobil und der „öffentliche Transport“ oft so marginal, dass er als inexistent bezeichnet werden kann. Gerade der Staat und staatliche Betriebe begehen ein Verbrechen am ländlichen Raum durch Schließungen und Abwanderungen, die unterbunden werden müssen!
Privatinitiativen: Man sollte alles dafür tun, damit wieder mehr Geschäfte in den Ortschaften entstehen resp. dort erhalten bleiben. Die Epicerie ist ganz einfach überlebensnotwendig, wenn man in einer Ortschaft lebt, die, wie oben beschrieben, kaum durch öffentlichen Transport erschlossen ist und man selbst nicht mobil ist. Aber sogar wenn man mobil ist, bleibt ja die Frage nach Sinn oder Unsinn einer 20 km-Fahrt, um den Liter Milch oder das Pfund Butter zu kaufen, was man dringend braucht.
Die Ansiedelung dieser Epicerie oder des Metzgers oder Bäckers muss man fördern. Dies könnte z. B. durch die Befreiung von der Mehrwertsteuer oder überhaupt von der Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen, aber sehr aufwendigen Buchhaltung für solche Kleinbetriebe geschehen, die z. B. unter 100.000 Euro Umsatz pro Jahr erzielen. Aus eigener Erfahrung – meine Mutter lebte ihr ganzes Leben in einer kleinen Ostgemeinde – weiß ich, dass das Fehlen elementarer Dienstleistungen einem ganz einfach keine andere Wahl lässt, als sein Dorf zu verlassen. Eine wahre Schande!
Claire Remmy (déi gréng)
Claire Remmy ist Studentin der Volkswirtschaft und Gemeinderätin in Strassen.
1. Die Differenzierung der spezifischen Aufgaben von Kommunalpolitiker*innen auf der einen und Landespolitiker*innen auf der anderen Seite lässt sich anhand der in den Wirtschaftswissenschaften verwendeten Mikro- und Makroebene darlegen. Die Gemeinden stellen dabei natürlich die Mikroebene dar, derweil das Land die Makroebene repräsentiert. Veranschaulichen lässt sich dies an der Wohnungspolitik. Werden auf der Landesebene die Leitlinien für den Bau neuer Wohnungen (z. B. Energieeffizienz der Wohnhäuser) festgelegt, sind die Gemeinderäte für die konkrete Gestaltung neuer Stadtviertel verantwortlich. Naturgemäß müssen Lokalpolitiker*innen einen direkteren Kontakt zu den Bürger*innen ihrer Gemeinde pflegen, z. B. durch die Präsenz bei lokalen Veranstaltungen oder die Einbeziehung konsultativer Ausschüsse. Landespolitiker*innen agieren dagegen eher auf einer gewissen Metaebene, da die Gesetze, die sie beschließen, zwar die Menschen auch direkt betreffen können, jedoch dafür eine viel höhere Anzahl an Menschen in Frage kommt (10.000 Einwohner*innen in Strassen gegenüber 614.000 in ganz Luxemburg) und daher der Kontakt zu den Bürger*innen per se nicht so direkt gegeben ist.
2. déi jonk gréng treten für eine Abschaffung der Doppelmandate ein, welche die Unvereinbarkeit von Positionen im Schöffenrat einer Gemeinde (Bürgermeister*innen und Schöff*innen) mit einem Abgeordnetenmandat auf nationaler und europäischer Ebene festlegt. Dies muss natürlich mit einer Aufwertung der kommunalen und nationalen Mandate einhergehen, damit Gemeindepolitiker*innen genügend Zeit haben, sich mit der politischen Entwicklung ihrer Gemeinde zu befassen und diese aktiv zu gestalten, sich also zu 100% darauf fokussieren können. Gleichzeitig würde die Abgeordnetenkammer mit Vollzeitmandaten professionalisiert. Dies würde die Demokratie stärken und zudem wären die wichtigsten politischen Mandate auf eine höhere Anzahl an Menschen verteilt.
3. Die Stärkung des ländlichen Raums gehört zu den großen Herausforderungen nationaler und kommunaler Politik. Mir liegt dabei besonders die Mobilität am Herzen. Ich begrüße die rezente Ankündigung von Transportminister François Bausch, wonach Luxemburg mit dem neuen RGTR-Plan das dichteste Busnetz der Welt erhalten würde, womit die Mobilität im ländlichen Raum sicherlich gestärkt wird. Dies ist auch im Kontext der notwendigen Dezentralisierung staatlicher und parastaatlicher Strukturen wichtig, was zur Beruhigung des Verkehrs in Luxemburg-Stadt und in den umliegenden Gemeinden beitragen und rurale Gegenden aufwerten wird. Darüber hinaus müssen die Gemeinden sich bemühen, das soziokulturelle Leben (Sport, Jugendhäuser, Feste…) in ihren Ortschaften zu unterstützen. Um Familien mit Kindern das Leben in ländlichen Gemeinden schmackhaft zu machen, sind breit aufgestellte Schulinfrastrukturen, naturnahe Betreuungskonzepte und ein dichtes Netz an Spielplätzen von hoher Bedeutung. Zur Bewahrung der Lebensqualität der älteren Generation braucht es ein dichtes Netz an lokalen Einkaufsmöglichkeiten und medizinischer Infrastruktur sowie innovative Wohnkonzepte wie Alten-WGs als Alternative zum Dasein in Altersheimen. Im Kontext der aktuellen Debatte zur Schließung von Bank- und Postfilialen könnte geprüft werden, ob man nicht Mitarbeiter*innen, die für administrative Tätigkeiten vor dem PC zuständig sind, in von Schließung bedrohte Filialen entsenden könnte. Sie könnten dort ihre herkömmliche Arbeit verrichten und gleichzeitig die Präsenz vor Ort sicherstellen.
Natalie Silva (CSV)
Natalie Silva arbeitet bei der CSV und ist seit 2017 Bürgermeisterin von Larochette.
1. Ech denken net, dass e Gemengepolitiker aner Kompetenze muss hunn wéi e Landespolitiker. Déi zwee setzen sech fir d’Leit aus hirer Gemeng respektiv d’Leit aus dem Land an. Méi wichteg ass et, dass de Politiker seng perséinlech Kompetenzen op deem Niveau, wou hien agéiert, esou abréngt, dass se dem Bierger zegutt kommen. Natierlech ass de Gemengepolitiker einfach méi um Terrain a kritt dagdeeglech onmëttelbar d’Suerge vun de Leit mat. Op där anerer Säit kréien d’Leit och d’Auswierkunge vu sengen Entscheedungen direkt mat a soen engem och, ob si domat zefridden oder net zefridde sinn. Mir gefält dësen direkte Kontakt mat de Leit. Um Niveau vun der Gemeng ass et och méi einfach, d’Leit séier ze empfänken, fir dass si hiert Uleies matdeele kënnen. An der Landespolitik ass et rar, dass eng eenzel Persoun Kontakt mat engem Politiker ophëlt, wann si e Problem huet.
2. Déi kommunal Mandater huelen ëmmer méi Zäit an Usproch. Et gëtt alles méi komplex a besonnesch déi kleng Gemenge mat hire begrenzte Ressourcë leiden dorënner. A menger Gemeng sinn ech dofir praktesch all Dag am Haus. Bei de grousse Gemengen ass d’Roll vum Buergermeeschter an de Schäffen a mengen Aen e bëssen eng aner. Hinnen ënnerstinn dacks grouss Verwaltungsapparater. Bei grousse wéi klenge Gemenge mussen déi Verantwortlech déi selwecht komplex Aufgaben erfëllen – déi eng mat méi, déi aner mat manner Personal. Natierlech stellen sech an dësem Kontext Froen iwwert d’Ofschafe vun den Duebelmandater an d’Mandat vum Buergermeeschter als Fulltime-Job. D’Diskussiounen doriwwer hunn hei jo och schonns ugefaangen. Egal wéi eng Léisunge fonnt ginn, et muss séchergestallt ginn, dass d’Politiker, déi sech wëllen um lokale Plang an den Déngscht vun hire Matbierger stellen, och d’Méiglechkeet hunn, duerch en anere Gremium d’Interesse vun de Gemengen ze vertrieden.
3. Eis Gesellschaft huet sech an de leschte Joren immens staark gewandelt. Aus enger „analoger“ Gesellschaft ass eng „digital“ Gesellschaft ginn, mat neie Forme vu Kommunikatioun an Zesummeliewen. Déi analog Plazen, wou d’Leit sech begéinen, sech austauschen a mateneen diskutéieren, verschwannen ëmmer méi. Eng Entwécklung, déi ech als net gutt empfannen, well dat, wat eng Gesellschaft zesummenhält, besonnesch um lokalen a regionale Plang, dat ass d’Begéinung, d’Gespréich an den Austausch. Dëst geschitt awer ëmmer méi indirekt am digitale Raum an net méi duerch den direkte Kontakt am analoge Raum. Sécherlech kann ee gesellschaftlech Entwécklungen net ophalen, mee et kann een se begleeden a beaflossen.
Dat gesot, kann ech net novollzéien, dass just de Staat, deem dach muss dru geleeë sinn, d’Zesummeliewen ze fërderen, elo dohinner geet, fir eng ganz Rei vun ëffentlechen Déngschtleeschtungen iwwer Land ze rationaliséieren oder ganz ofzeschafen. Ze soen, et hätt een – als eenzegen Aktionär – keen Afloss op d’Entscheedunge vun enger Spuerkeess oder enger Post, heescht, viru senger Responsabilitéit fortzelafen an de Kapp an de Sand ze stiechen. Wa just nach reng wirtschaftlech Iwwerleeunge bei dësen ëffentlechen Etablissementer eng Roll spillen, da leeft eppes net méi riicht. Also ass et mol un alleréischter Plaz um Staat, déi ëffentlech Déngschtleeschtungen dezentral unzebidden an esou de ländleche Raum ze stäerken.
Mee och déi lokal Autoritéite kënnen hiert dozou bäidroen, am Kader vun hire Méiglechkeeten d’Zesummeliewen an hiren Dierfer a Stied ze fërderen a verschidden Déngschtleeschtungen ze erhalen oder unzezéien. Oft ass et awer esou, dass si dat net eleng kënne maachen, mä op Hëllef vum Staat ugewise sinn. Ech wënsche mir hei nach eng méi staark Zesummenaarbecht mat de staatlechen Instanzen, an dat mam erkläerten Ziel, de ländleche Raum ze stäerken. Ech denken hei zum Beispill un de Commerce, den Tourismus, d’medezinesch Versuergung etc.
D’Gemenge wëssen awer och, dass et oft vu Virdeel ass, sech zesummenzedoen, fir der „Verödung“ vum ländleche Raum entgéintzewierken. Et ginn eng ganz Rei vu Méiglechkeeten, fir zesummenzeschaffen. Eng Hellewull vu Syndikater organiséieren haut gemeinsam Aktivitéite vun Nopeschgemengen a Gemengen aus enger Regioun. Hei sinn ech der Meenung, dass mir eis och mussen iwwerleeën, wéi dës Zesummenaarbecht iwwer Syndikater an engem verännerte gesellschaftlechen Ëmfeld nach verbessert ka ginn. Sécherlech mécht et awer och Sënn, dass besonnesch um Land Gemenge fusionéieren an esou hir Kräften zesummendoen, fir hire Bierger eng Rei vu Servicer kënnen unzebidden.
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