Keine Luxemburger Geschichte mehr an der Uni?

Folgt man dem Verfassungsrechtler Luc Heuschling, hätte Luxemburg am 1. Januar dieses Jahres die 190-jährige Existenz seiner unabhängigen Staatlichkeit feiern können. Am 31. Dezember 1830 hatte König-Großherzog Wilhelm I. nämlich ein „Arrêté royal […] portant établissement d’une administration particulière pour le Grand-Duché de Luxembourg“ erlassen. In Zukunft sollte das Großherzogtum nicht mehr Teil des Königreichs der Niederlande sein: „À partir du premier janvier 1831, notre Grand-Duché de Luxembourg sera gouverné par nous, distingué et séparé du royaume des Pays-Bas.“ Damit hatte Wilhelm I. dem Juristen zufolge die formelle Staatserhebung des Großherzogtums vollzogen. Diese am 29. September 2020 bei einer Konferenz der Sektionen für Geschichte und für Politikwissenschaft des Großherzoglichen Instituts vorgetragene These stellt eine Neuerung in einer Debatte dar, die seit dem 19. Jahrhundert die Luxemburger Geschichtswissenschaft immer wieder in Aufregung versetzt.1

Eine These aus dieser Debatte, zuletzt von Gilbert Trausch vertreten, lautet, dass Wilhelm I. das Großherzogtum entgegen den Bestimmungen des Wiener Kongresses von 1815 als 18. Provinz ins Grundgesetz des Vereinigten Königreichs der Niederlande, zu dem auch die heute Belgien bildenden Landesteile gehörten, eingeschrieben und entsprechend verwaltet hatte. Für Trausch wie für seine Vorgänger Arthur Herchen oder Albert Calmes war folglich der Londoner Vertrag von 1839, bei dem Wilhelm I. auf den ganzen westlichen Teil des Großherzogtums verzichten musste, das Stichdatum, ab dem Luxemburg seine staatliche Unabhängigkeit gewonnen hatte und das auch ins kollektive Gedächtnis eingegangen sei.

Auf der anderen Seite argumentierten Historiker wie Auguste Collart, Jules Mersch oder Paul Weber, dass der König-Großherzog völlig zu Recht Luxemburg de facto annektiert hatte, denn die Wiener Schlussakte hatte nicht nur das zum Großherzogtum erhobene Territorium präzise umschrieben, sondern dem König der Niederlande „en toute propriété et souveraineté“ übertragen. Auch für sie gewann demnach Luxemburg erst durch den Londoner Vertrag seine staatliche Unabhängigkeit.

Ich hatte meinerseits in der Festrede, die ich 2014 auf Einladung der Regierung zum 175. Jahrestag des Londoner Vertrags halten durfte, darauf aufmerksam gemacht, dass immerhin 1815 das Staatsterritorium klar definiert worden sei, erste Voraussetzung zur Staatswerdung, und dass das Großherzogtum im Absatz, der seine Beziehungen zum Deutschen Bund regelte, als „un des Etats de la Confédération germanique“ bezeichnet wurde.

Demgegenüber hat Guy Thewes 2015 sowohl Trauschs als auch meine These verworfen, indem er in den Quellen nachwies, dass in Wien keine eigene Staatsgründung für Luxemburg geplant war.2 Und er verwies auf das ebenfalls in Wien geschaffene Großherzogtum Niederrhein, dem ebenfalls nie eine eigene staatliche Existenz zugedacht war. Er konnte sogar nachweisen, dass schon Ende 1815 der Deutsche Bund ausdrücklich Wilhelms Vorgehen nicht als vertragswidrig ansah. Auch für Thewes war folglich 1839 das Jahr der Staatswerdung.

Diesen Thesen hat nun Luc Heuschling eine neue entgegensetzt, indem er das Jahr 1831 ins Spiel brachte. Die Diskussion darf fortgeführt werden. Bloß wo? An der Uni sicher nicht, denn seit dem 1. Oktober 2017 gibt es dort keinen Lehrstuhl mehr für transnationale Luxemburger Geschichte, den bis dahin der Autor dieser Zeilen innehatte. Niemand, auch nicht die Regierung, hatte gegen diese Entscheidung protestiert. Die Instituts- und Fakultätsverantwortlichen waren anscheinend davon ausgegangen, dass alle Forschungsvorhaben mit Bezug auf Luxemburg vom Conseil de gouvernance der Universität als kleinkariert und provinziell abgelehnt werden. Dabei zeigt die oben dargelegte Forschungsfrage, dass Luxemburger Geschichte immer gleichzeitig europäische Geschichte und nur metanational zu verstehen ist. Daher hieß der Lehrstuhl seit seiner Gründung Professur für transnationale Luxemburger Geschichte. Die Regierung hat vor Kurzem beschlossen, dem Institut für Luxemburgistik (Sprache und Literatur) zusätzliches Personal zu finanzieren, darunter gar einen Posten für Luxemburger Kulturgeschichte, aber im Fach Geschichte gehen fast alle Posten ins Zentrum für digitale und Zeitgeschichte. Bei den Kollegen im Ausland stößt die Abschaffung des Lehrstuhls auf Unverständnis. Es kann natürlich sein, dass eine Professorin für Alte Geschichte oder ein Professor für die Neuzeit sich mit Luxemburg beschäftigt – doch in der Bezeichnung des Lehrstuhls bildet sich diese eventuelle Beschäftigung nicht ab. Luxemburg bleibt so unsichtbar: nation unbranding.

  1. Siehe zu dieser Kontroverse forum 352, Juni 2015, S. 50-53.
  2. Guy Thewes, „1815 – Wie das Großherzogtum Luxemburg entstand“, in: Andreas Fickers/Norbert Franz/Stephan Laux (Hg.), Repression, Reform und Neuordnung im Zeitalter der Revolutionen. Die Folgen des Wiener Kongresses für Westeuropa, Berlin u. a., 2019, Peter Lang, S. 77-101.

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