- Gesellschaft, Politik
Die letzte Autonomie und der Tod
Die Schweizer Vereine Dignitas und Exit treten für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in Bezug auf das eigene Ableben ein. Bei uns in Luxemburg ist dies bisweilen noch heftig umstritten. Nach einigen Kontroversen trat jedoch 2009 das Euthanasie-Gesetz hierzulande in Kraft, welches die Tötung eines anderen aufgrund seiner unheilbaren Krankheit auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin auf legalem Weg ermöglicht.
Inwiefern ist die freiwillige Entscheidung, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen nun aus philosophischer Sicht zu rechtfertigen?
Versuche, das Geheimnis um das Mysterium Tod zu lüften, gab und gibt es in etlichen Ausführungen. Kaum verwunderlich, ist dies doch ein Phänomen, das jeden von uns früher oder später beschäftigen wird und muss. So ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht nur Denkern und Wissenschaftlern, Mystikern und Dogmatikern vorbehalten, sondern zieht sich auch durch den Alltag der Normalsterblichen. Menschlich, allzu menschlich ist es dann auch, dass das Thema Tod eines der größten Tabus unserer Gesellschaft zu sein scheint. Der Umgang mit dem Unbekannten gestaltet sich stets sehr schwer, und einsehen, was der Tod nun wahrhaft für uns bedeutet, können wir zu Lebzeiten wohl kaum.
Um der Diskussion ihren Rahmen zu setzen, soll sich hier von Hypothesen um Himmel und Nirwana, sowie Geschichten vom Schreckgespenst Sensenmann distanziert werden und die vorwiegend neutrale sowie naturalistische Deutung des Ablebens in den Vordergrund gestellt werden. Bleiben wir faktisch und nüchtern – der Tod ist für den Lebenden unausweichlich und gehört in gleicher Notwendigkeit zum menschlichen Dasein dazu wie die Geburt auch. Wahrhaft bestimmen, ob dies nun ein grauenvolles und schmerzerfülltes Aus bedeutet oder ob ein Einzug ins Paradies uns reumütige Wesen erwarten wird, können wir ohnehin nicht.
Die Intimität des Todes
Der Tod scheint zudem eine recht persönliche Sache zu sein und genau um diesen Aspekt windet sich die aktuelle Polemik: Darf der Mensch selbst eine Entscheidung über den Zeitpunkt seines eigenen Ablebens treffen? Darf der Entschluss, seinem Leben ein Ende zu setzen, von Außenstehenden verwehrt werden? Um der Beantwortung dieser Fragen näher kommen zu können, müssen wir uns zunächst fragen, wer eigentlich dieser Jemand ist, den der Tod betrifft. Es ist ein einzelner Mensch, der in einem spezifischen Moment mit dem Ende seines persönlichen Lebens konfrontiert wird. Kann es eine höhere, absolutere Form der intimen Auseinandersetzung mit sich selbst, mit seiner Vergangenheit, mit dem eigenen Jetzt und dem eventuellen Aus der eigenen autonomen Person geben? Wohl kaum.
Faktisch gesehen ereignet sich der Tod also im Bezug auf ein einzelnes Individuum, das seines irdischen Daseins beraubt wird. Für die Hinterbliebenen hingegen entsteht ein großes Loch. Der Verstorbene fehlt uns, wir trauern um ihn und bedauern es, dass er aus dem Leben gerissen wurde. Aber aus wessen Leben eigentlich? Der Tote selbst wird kaum sein Leben missen können und Trauer verspüren, so hat er doch Menschliches wie Leid und Schmerz, Verfall und Vergänglichkeit hinter sich lassen können. Ihm kann keine Existenz mehr zugesprochen werden, keine Gefühle, kein Anteil an dem, was jetzt noch für uns ist.
Ist es also wahrhaft der Verstorbene, der uns leid tut? Viel eher betrifft unsere Trauer uns selbst. Es schmerzt uns, dass das vertraute, bekannte Wesen des lieben Menschen seinen Platz in unserem Leben verloren hat und nicht mehr für uns erreichbar ist. Der Kontext, in dem die Hinterbliebenen sich befinden, ist also ein ganz anderer, als der des Verstorbenen. Wo Letzterer nicht mehr leiden muss, von Krankheit erlöst wurde und somit einem unumkehrbaren tragischen Schicksal ein Ende setzen konnte, befinden sich die Trauernden in ihrer ganz eigenen Situation, in welcher der Schmerz des Verlustes eine faktische Auseinandersetzung mit dem Tod in seiner natürlichen und notwendigen Zugehörigkeit zum menschlichen Leben oft unmöglich macht.
Wird diese Überlegung auf die Frage nach der Rechtfertigung einer autonomen Entscheidung zur Lebensbeendung bezogen, wird deutlich, dass es sich hierbei wahrscheinlich um den persönlichsten Entschluss im Leben eines Individuums handelt. Außenstehende sind in diesem Fall tatsächlich diejenigen, die außen vor
bleiben müssen. Es geht ganz einfach nicht primär um sie.
Der Wille zum Ende – ein Vernunftentschluss?
Doch es gehören natürlich noch weitere Aspekte dazu, um das Konzept der Autonomie und Lebensbeendigung unmissverständlich und umfassend behandeln zu können. Zunächst muss klargestellt werden, dass hier nicht suizidale Affekthandlungen angesprochen werden. Vielmehr steht die selbstständig und vernünftig durchdachte Entscheidung eines mit klarem Geiste abwägenden Menschen im Mittelpunkt. Wir als verstandestaugliche Wesen sind dazu fähig, Situationen bestmöglich objektiv zu beurteilen und logische Schlüsse zu fällen. Es steht also in unserer Macht, ja es ist sogar vielleicht wahrhaft die Bestimmung unseres menschlichen Seins als dem Idealfall, unser Leben mittels unserer Denkkraft zu ordnen. Nicht ohne Grund wird seit jeher der Unterschied des Menschen zu Tieren und Pflanzen an der Vernunft festgemacht. Dies kann natürlich nur insofern der Fall sein, als es uns gelingt, unsere Affekte und Gefühle zu zügeln und unser Vernunftvermögen bestmöglich zu schulen. Doch so dürfte klar sein, dass erst lange, gewissenhafte Überlegungen, die unter dem Joch eines sich unumkehrbar verschlimmernden körperlichen Zustandes geführt werden, zu dem letalen, letzten Urteil führen können. Darüber hinaus gibt es wohl kaum ein Gebiet, in dem wir uns besser auskennen und unsere Lage allumfassend beurteilen können, als das unseres eigenen Lebens.
Der Raub der Zukunft als willkommene Linderung
Auch wenn die Entscheidung zum Tod selbstständig und freiwillig von einer Person getroffen wurde, bleibt am Ende nur noch die faktische Wahrheit: Mit dem Wunsch zum Tod werden alle Möglichkeiten aufgegeben, das Beste aus unserem Leben und somit auch aus uns selbst machen zu können. Berücksichtigen wir diesen idealistischen Aspekt, scheint durch, weshalb man sich gegen eine vorzeitige Lebensbeendigung stark machen könnte. Das Leben an sich soll schließlich für uns alle eine Panoplie der Möglichkeiten zur Lebensgestaltung bereit halten. Die Zeit ab dem Startschuss Geburt wird als Spanne angesehen, in der wir noch alles auf der Welt Gegebene nutzen können, um Erfahrungen zu sammeln und uns bestmöglich (aus)bilden und entwickeln zu können. Deswegen wird der Tod eines jungen Menschen oftmals weitaus tragischer beurteilt als das Ableben eines
Greises, wobei es doch in beiden Fällen eine geliebte Person ist, die uns verlässt. Doch auch hier kann sich das vorherige Argument behaupten: Demjenigen, den es trifft, macht der Raub der zukünftigen Chancen nichts mehr aus. Im Bezug auf unsere Frage der Klärung nach der Möglichkeit einer autonomen Entscheidung zum freiwilligen Ableben birgt eben dieser Punkt noch einen äußerst wesentlichen Aspekt.
Im Falle einer unheilbaren Krankheit, die mit chronischen Schmerzen und eines mit höchster Wahrscheinlichkeit abzusehenden, rapide drohenden körperlichen Verfalls einhergeht, gehen die rosigen Perspektiven bezüglich der zukünftigen Vervollkommnung seiner selbst und die Hoffnung auf eventuelle Verbesserung gnadenlos gegen null. Das Beispiel des typischen Werdegangs eines Alzheimerpatienten illustriert dies recht trefflich. Der weitere Lebensverlauf verspricht Qual und Pein in einer Form in welcher Optimismus geradezu an Wahnsinn grenzen könnte.
Die betroffene Person hat sich klaren Kopfes dazu entschieden, die letzten Momente seines Lebens nicht leidend oder dahinvegetierend verbringen zu wollen. Auch die Angehörigen dürften im Anbetracht dessen, was den Menschen zu erwarten hat, den Wunsch des Freitodes besser verstehen können. Warum das Ableben noch hinauszögern und sich devot diesem Schicksal hingeben? Ist es in diesem Sinne nicht sogar vielleicht als Chance zu deuten, dem unausweichlich drohenden Unglück entgehen zu können?
Stellt die autonome Entscheidung für den Freitod in einem solchen Fall also nicht sogar die endgültige Möglichkeit dar, sich noch würdevoll und mit dem größten Respekt für das eigene Dasein aus dem irdischen Hier verabschieden zu können? Ist nicht dies das letzte Aufbäumen des eigenen Willens, um dem grausigen Plan der Natur noch ein wenig zu trotzen? Entrinnen können wir der Naturgewalt bekanntlich nicht, jedoch können wir das, was uns das Leben gegeben hat, die Kostbarkeit unserer eigenen Person, wenigstens noch vor Degeneration und Zerfall durch den freiwilligen Entscheid zum würdevollen Ende retten.
Der freie Wille zum Abschluss der eigenen Existenz ist dem Todgeweihten, dem ein unglückliches Schicksal alle Perspektiven raubte, also vielleicht das Einzige, was ihm bleibt, um noch ein Fünkchen an Qualität innerhalb seiner fatalen Lage sichern zu können. Für die Hinterbliebenen ist dies, so rational man es auch verfassen mag, mit Sicherheit nicht einfach. Lässt man allerdings Selbstliebe und Eigeninteresse außen vor, kann die Entscheidung der Person in Respekt und Verständnis, in Ein- und Rücksicht auf die sehr intime Situation vielleicht besser verstanden und angenommen werden.
Natürlich können die hier angeführten Überlegungen nicht als Richtschnur angesehen werden, die gebieten soll, wie ein Jeder mit besagter Thematik umzugehen hat. Allerdings, und hier wage ich den philosophischen Fingerzeig, sollte darauf aufmerksam gemacht werden, inwieweit in diesem Kontext die Würde eines Menschen, als vernunftfähigem und autonomen Wesen, bestmöglich garantiert und respektiert werden kann.
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