Wer vor 40 Jahren Meinungspluralismus im LW verlangte, dem wurde geantwortet, „die ’Zeitung des Bischofs‘ (sehe es) nicht als ihre Aufgabe an, meinungsloses Allerweltsblatt zu sein (das dann schon nach 127jährigem Bestehen schnell den Krebsgang ginge) oder sich in den Dienst gleich welcher Ideologie zerren zu lassen oder auch dem Marxismus in seinen verschiedenen Schattierungen Vorschub zu leisten“. Es bleibe Pflicht und Recht der Redaktion, „der Verwirrung der Geister (…) keinen Vorschub zu leisten“ (Hd., In eigener Sache II, in: LW, 25.2.1975).

Wer soziale Gerechtigkeit verlangte oder für die Interessen der portugiesischen Gastarbeiter eintrat, dem konnte schon mal vor- geworfen werden, seinen Beitrag „einem marxistischen Schulbuch entnommen“ zu haben (ebd.). Als die gesellschaftspolitische Arbeitsgruppe in der damaligen Jugendpor Letzebuerg 1974 unter dem Titel „Luxemburger Wort — Elemente einer Analyse“ eine umfangreiche Gegenüberstellung des LW-Journalismus’ und Selbstverständnisses mit der Haltung des kirchlichen Lehramts in Sachen Pressearbeit veröffentlichte, wurde diese Untersuchung als „neo- oder kryptomarxistisches Manifest“ bezeichnet (Hd., In eigener Sache I, in: LW, 22.2.1975). Angesichts dieser Hiebe unter die Gürtellinie waren die Beteuerung des Verwaltungsrats der Imprimerie Saint-Paul S.A., „(de rester) ouvert a une critique d’ou qu’elle vienne …“ kaum ernst zu nehmen, umso mehr als der Verwaltungsrat diesen Satz mit folgender Einschränkung fort- setzte: „… le Luxemburger Wort‘ n’a pas a se plier aux pressions ni aux exigences de quelques catholiques qui, au nom d’un pluralisme mal compris, voudraient faire de ce journal un organe de diffusion de leurs propres idées socio-politiques. (LW, 4.3.1975). Der geforderte Pluralismus wurde abgelehnt mit dem Argument, es sei Aufgabe der LW-Redaktion „zwischen wirklicher Information und versteckter Propaganda“ zu unterscheiden, „die Verunsicherung oder die Verwirrung der Öffentlichkeit (möglicherweise unbewusst und ungewollt)“ zu verhindern, „den Unterschied zu erfassen zwischen christlichem Engagement und linkssozialistischer
oder direkt marxistischer Ideologie“ (Hd., In eigener Sache III, in: LW, 4.3.1975). Einen anonymen Leserbriefschreiber zitierend zögerte der LW-Direktor nicht, die christlich engagierten Mitglieder der 4. Luxemburger Diözesansynode, die auch der gesellschaftspolitischen Arbeitsgruppe in der Jugendpor Letzebuerg angehörten, als „Totengräber des Christentums“ zu betiteln.
Dass die damalige LW-Redaktion CSV- hörig war, ja innerhalb der CSV de Apartheid-Regime in Südafrika duldete,
dürfte bekannt sein. Wir wollten daher eher unsere Erfahrungen mit der LW- Redaktion unter Abbé André Heiderscheid in Erinnerung rufen, um jüngeren Lesern verständlich zu machen, wie Diskussionskultur in der katholischen Presse zu Zeiten des Kalten Kriegs (und vorher) gehandhabt wurde.
Was die Kirche verlangte
Maßstab der Kritik an der LW-Redaktion war die 1971 von der päpstlichen Kommission für die Instrumente sozialer Kommunikation veröffentlichte Pastoral- instruktion Communio et Progressio, aus der hier einige Auszüge zitiert seien. „Ge- meinschaft und Fortschritt der menschlichen Gesellschaft sind die obersten Ziele sozialer Kommunikation und ihrer Instrumente.“ (§ 1) „Da der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist, muss er seine Gedanken mit anderen austauschen und vergleichen. Dies gilt in unseren Tagen mehr denn je, da geistige und schöpferische Arbeit weniger vom einzelnen, sondern immer mehr auf allen Ebenen im Zusammenwirken vieler geleistet wird. Wenn die Menschen ihrer Natur folgend untereinander Erkenntnisse und Meinungen austauschen, üben sie ihr ureigenstes Recht aus und erfüllen zugleich eine Pflicht gegenüber der Gesellschaft.“ (§ 45) „Die neue Technik für den Austausch unter den Menschen versammelt die Zeitgenossen sozusagen um einen runden Tisch. So kommen sie in dem Streben nach Brüderlichkeit und gemeinsamen Handeln miteinander ins Gespräch.“ (§ 19) „Die Kommunikationsmittel bilden gewissermaßen ein öffentliches Forum, auf dem das Gespräch der Menschen hin und her geht. Die Äußerung und der Kampf der verschiedenen Meinungen in der Öffentlichkeit greifen tief in das Leben der Gesellschaft ein, bereichern es und beschleunigen ihren Fortschritt.“ (§ 24) „Die Freiheit des einzelnen, seine Empfindungen und Gedanken vortragen zu können, ist unbedingt erforderlich, da mit es zu rechter und angemessener Bildung von öffentlicher Meinung kommt. (…) Die Zusammenarbeit aller im Dienst des gesellschaftlichen Fortschritts bedarf der ungehinderten Gegenüberstellung der als wichtig erachteten Meinungen, damit im Spiel des Gebens und Nehmens, der Ablehnung und Ergänzung, auf dem Weg der Einigung und des Kompromisses die am besten begründeten und gesicherten Ansichten zum gemeinsamen Handeln zusammenführen können.“ (§ 26) „Bei der Auswahl ihrer Stoffe werden die Kommunikatoren dafür sorgen, alles für die Öffentlichkeit Notwendige zu berücksichtigen. Sie werden genau darauf achten, dass alle gesellschaftlich relevanten Gruppen mit ihren Auffassungen zu Wort kommen.“ (§ 74) „Auf Unparteilichkeit muss besonders dann gepocht werden, wenn rechtlich oder tatsächlich Mediennrechten Flügel darstellte, dass sie keine Kritik weder an den Chile Putschisten noch am Monopole bestehen. Denn Monopole bergen die Gefahr, den Dialog durch einen Monolog zu ersetzen.“ (§ 76) Angesichts des Quasimonopols, den das Luxemburger Wort damals auf dem Luxemburger Pressemarkt innehatte, und um zu zeigen, dass die Prinzipien von Communio et Progressio durchaus umsetzbar sind, ohne auf einen eigenen Redaktionsstand punkt verzichten zu müssen, wurde diese Zeitschrift gegründet und ihr der pro grammatische Name forum gegeben.
Heute
Heute stellen wir fest, dass auch das Luxemburger Wort den Anforderungen von Communio et Progressio weitgehend entspricht. Nach dem Abgang von Direktor André Heiderscheid bemühte sich Leon Zeches um eine Entideologisierung und stärkere Distanzierung zu der „befreundeten CSV“, eine Position, die er in forum Nr. 201/Juli 2000 ausführlich erklärte und mit der 1968 eingeläuteten Infragestellung jeglicher Autorität in der gesamten Gesellschaft in Verbindung brachte: „Primär ist die Öffnung der Presse im redaktionellen wie im Anzeigen Bereich eine normale Entwicklung innerhalb der ähnlich evoluierenden Gesellschaft.“ Seither wurde auch z.B. über Initiativen,
Debatten, Kongresse anderer Parteien berichtet. Das heutige Luxemburger Wort nimmt nicht mehr die starke Stellung auf dem Luxemburger Pressemarkt ein wie noch vor 40 oder gar nur vor 20 Jahren. Die Luxemburger Gesellschaft kann nicht mehr mit einer einseitigen, fast schon in tegristisch katholischen Meinung bedient werden, wenn die Verantwortlichen mehr als die kleiner werdende konservativ katholische Leserschaft halten wollen.
Ein schönes Beispiel für die neue Offenheit und den vor 40 Jahren geforderten Meinungspluralismus bietet der Umgang des Luxemburger Wort mit dem Referendum vom 7. Juni 2015. Bei diesem An lass hat das LW seine Rolle als Forum der Meinungen ohne Unterdrückung der eigenen Meinung voll und professionnell gespielt: kontroverse Beiträge veröffentlicht, Pro und Kontra innerhalb der Redaktion inszeniert, nicht nur auf externe Beiträge gewartet, sondern solche gezielt bei Meinungsträgern wie u. a. Claude Frisoni angefragt, oder auch die Leserschaft aufgerufen, zur Feder zu greifen. In der im LW ausgetragenen Kontroverse hat die Redaktion nichtsdestoweniger klar und unmissverständlich Position bezogen für das Ausländerwahlrecht. Bei den vielen Stimmen, die zum Tragen kamen, war eigentlich nur die des Eigentümers, des Erzbischofs, recht zaghaft. Zeichen der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Redaktion oder Respekt vor der Zerrissenheit des katholischen Lagers? Hier der Bischof als Befürworter des Aus länderwahlrechts, da die Kirchenfabriken als Opponenten der Regierung, die mit einem dreifachen Nein Revanche für die drohende Enteignung der Pfarrgüter nehmen wollten? Vor 40 Jahren hätte das Ja Lager im LW kaum Beachtung gefunden, die im LW tonangebenden Vertreter eines „ideologischen Journalismus“ (lz) hätten aus vollen Rohren geschossen ober und unterhalb der Gürtellinie. Heute werden LWLeser als mündige Bürger behandelt. Der von Communio et Progressio formulierte Anspruch an die Instrumente der sozialen Kommunikation, „ein Forum zu sein, auf dem das Gespräch der Menschen hin und her geht“ (s.o.), ist kein leeres Wort mehr. Ob sich diese Linie auch bei den nächsten Wahlkampagnen hält, bleibt abzuwarten.

 

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