Edito

Forschungspolitik ohne Forscher

Am 20. Januar 2016 verabschiedete die Abgeordnetenkammer das Gesetzesprojekt 6863 zur Auflösung des Centre virtuel de la connaissance sur l’Europe (CVCE). In der parlamentarischen Dokumentation sowie in allen Abgeordnetenreden wurde die Auflösung damit begründet, dass die Schaffung eines Institut d’histoire du temps présent (IHTP) an der Universität Luxemburg das CVCE überflüssig mache. In der darauf folgenden Woche wurde der Posten eines Direktors für das von der Regierung geplante und der Uni als „interdisziplinäres Zentrum“ aufgedrängte IHTP international ausgeschrieben.

Zur Begründung heißt es im „exposé des motifs“ der Gesetzesvorlage zum CVCE: „L’Institut d’histoire du temps présent (IHTP), prévu par le programme gouvernemental, sera créé à l’Université du Luxembourg en tant que centre interdisciplinaire. Le fil conducteur de la stratégie du futur IHTP seront les humanités et sciences sociales numériques (digital humanities and social sciences) et plus précisément l’histoire dite numérique. Un accent particulier sera mis sur la recherche scientifique en histoire contemporaine du Luxembourg et la diffusion du savoir. L’objectif primaire de cet institut, qui sera fondé sur des noyaux de compétences existant de façon disparate au Luxembourg, consiste à rassembler les efforts éparpillés en créant des synergies, autour de l’histoire du Luxembourg des XXe et XXIe siècles (notamment l’histoire de l’Occupation et ses répercussions pour le développement de la société actuelle, ainsi que le processus de l’intégration européenne).“ Laut Regierungsprogramm sollen auch das Centre de documentation et de recherche sur la résistance und das Centre de documentation et de recherche sur l’enrôlement forcé in das IHTP integriert werden. Später kam auch das Centre d’études et de recherches européennes Robert Schuman (CERE) hinzu. In der Parlamentsdebatte wurde von fast allen Rednern auf diese Perspektive verwiesen, auch wenn sie der CSV noch als recht nebulös schien.

Die Integration dieser lange Zeit dem Staatsminis-terium unterstellten, von CSV-Ministern für ihre Lobbys geschaffenen, Institute in die Universität hatte forum schon 2003, vor der Verabschiedung des Uni-Gesetzes gefordert, analog zur Integration der damals in die Uni integrierten postsekundären Lehranstalten wie das Centre universitaire, das Institut de formation sociale, das Institut supérieur de technologie und das Institut supérieur d’études et de recherches pédagogiques.

Was aber weder den Abgeordneten noch den Stellenbewerbern gesagt wurde bzw. wird, ist die Tatsache, dass die beiden Forschungszentren zum Zweiten Weltkrieg gar nicht mehr in die Uni integriert werden können, da deren aktuelle Direktoren ihr jeweiliges Archiv an das Nationalarchiv und ihre Buchbestände an die Nationalbibliothek abgeben wollen und das Personal sich andere Stellen in der Staatsverwaltung gesucht hat. Dasselbe gilt für den Direktor des CERE, der wie zwei Mitarbeiter des Zentrums für Widerstandsforschung im Nationalarchiv untergekommen ist. Angesichts des akuten Personalmangels in dieser Kulturinstitution wird man das nicht mal als schlechte Lösung bezeichnen können. Doch für die Uni bzw. das IHTP bleiben damit höchstens die Bibliothek und das Archiv des CERE sowie einer seiner Mitarbeiter übrig.

Im Gesetz zur Auflösung des CVCE steht auch nur, dass die Universität (als ganze) ab 1. Juli 2016 Rechte und Pflichten des CVCE übernehmen wird, inklusive Projekte, Autorenrechte, Personal und Güter. Es war nur dem Staatsrat aufgefallen, dass „l’exposé des motifs ne renseigne pas sur la question si le CVCE fera partie de l’IHTP ou s’il fonctionnera de manière indépendante au sein de l’université. (…) L’exposé des motifs succinct reste également muet quant aux modalités plus détaillées de l’intégration du CVCE dans l’Université du Luxembourg et du fonctionnement du CVCE dans ce nouvel environnement, de sorte qu’il est difficile d’apprécier le bien-fondé de cette intégration; le Conseil d’État ne se prononce partant pas à cet égard“. Unseren Informationen zufolge hat der Conseil de gouvernance der Uni der Schaffung eines interdisziplinären Zentrums IHTP zugestimmt unter der Voraussetzung, dass die Universität in Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Direktor dessen wissenschaftliche Ausrichtung und thematische Schwerpunktsetzung bestimmen wird. Deshalb hat er ausdrücklich zurückbehalten, dass das CVCE nicht ab initio ins IHTP integriert werden soll. Die geisteswissenschaftliche Fakultät träumt z.B. schon seit längerem von einem Center for Digital Humanities, Hermeneutics and History. Dort würde man sich auf die geballte Kompetenz der CVCE-Mitarbeiter freuen. Man muss sich auch fragen, was der Satz aus dem Motivenbericht: „Le fil conducteur de la stratégie du futur IHTP seront les humanités et sciences sociales numériques (digital humanities and social sciences) et plus précisément l’histoire dite numérique.“ bedeuten soll, denn ein methodologischer Zugriff kann kein thematischer Leitfaden sein. Die Sorge „de réduire les risques de duplication des efforts de recherche“ könnte durchaus den Ausschlag zugunsten der Fakultät geben, da dann auch andere Disziplinen von den digitalen Ressourcen profitieren könnten.

In einer am 14. Januar 2016 vom Nationalen Forschungsfonds (FNR) veröffentlichten Stellungnahme bringt FNR-Generaldirektor Marc Schiltz es auf den Punkt: „Kee ka vun engem Politiker verlaangen, dass en an all Domaine en Expert ass. Fir politesch Decisiounen op dem aktuelle Stand vun der Wëssenschaft ze baséieren, brauche si Ënnerstëtzung – musse si kënnen op den Know-How vun Experten zréckgräifen. Am Ausland, wéi z.B. an England, ass et ganz natierlech, dass Politiker bei Fuerscher ëm Rot froen. (…) Och zu Lëtzebuerg gräife Politiker op den Know-How vun Experten zréck. Ma et weist sech, dass den Échange tëscht de Politiker an de Fuerscher hei zu Lëtzebuerg nach an de Kannerschong stécht. Wichteg heibäi ass awer, dass béid Säiten sech nach besser kenneléieren. Wéi funktionéieren déi jeeweileg Prozesser, wat sinn déi jeeweileg Contrainten? An a wéi engen Domainer hu mir iwwerhaapt Fuerscher hei zu Lëtzebuerg?“1 In der Tat: Historiker wurden zur Erstellung der (institutionellen und inhaltlichen) Strukturen des IHTP nicht um ihren Rat gefragt – der delegierte Minister im Forschungsministerium redet nur mit dem Rektor als Vertreter universitärer Forschung! –, und die Abgeordneten wurden an der Nase rumgeführt.

 

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