- Geschichte, Gesellschaft, Politik
Ein Kind des Kalten Kriegs
In der Ausstellung über den Kalten Krieg, die in forum Nr. 363 kommentiert wurde, fehlt ein Hinweis auf diese Zeitschrift. Dabei ist forum auch ein Kind des Kalten Krieges. Und zwar des Kalten Krieges wie er in Luxemburg ausgefochten wurde. Aus der Ausstellung geht ja sehr deutlich hervor, dass es für Westpolitiker nur die Guten und die Bösen gab. Alles wurde in Schwarz und Weiß (oder eher Rot und Schwarz) eingeteilt: Die guten Amerikaner hatten die Heimat befreit, die bösen Sowjets drohten, jeden Tag Westeuropa zu überfallen.
Ein Kampf für Meinungspluralismus
Wer nicht in dieses Schema passte, konnte nur, bewusst oder ungewollt, das Spiel des Bösen mitmachen. Und dazu gehörte auch eine Schar junger Christen, die einerseits die Gestaltung der Liturgie an die Ausdrucksweise der damaligen Jugend anpassen wollten. Andererseits leiteten sie aber auch aus ihrem Glaubensverständnis heraus andere gesellschaftspolitische Ziele ab als die (immer noch) mit ihrem C im Namen und ein Monopol der für Christen vertretbaren Politik beanspruchende CSV. CSV, LCGB, Luxemburger Wort (LW) und große Teile des katholischen Klerus und der Katholischen Aktion bildeten jedoch bis in die 1970er Jahre einen konservativen Block. Wer diesen in Frage stellte, musste nicht nur ein verkappter Kommunist sein, sondern gar ein vom Beelzebub getriebener Antichrist. Unterstützt wurde dieses Denken von der Gegenseite, die genauso undifferenziert antiklerikale Feindbilder verbreitete.
Nach 1968 und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war aber für etliche junge Christen diese monologische, erzkonservative Auslegung des Evangeliums aber nicht mehr tragbar. Sie forderten Meinungsfreiheit auch innerhalb der katholischen Kirche und waren nicht mehr einverstanden mit dem Konsens, dass die CSV die einzig mögliche christlich geprägte Politik vertrat. Sie engagierten sich nicht nur gegen Waffenhandel, für einen fairen Welthandel, gegen die Wohnungsnot und für eine sozialgerechte Altstadtsanierung, für eine schulische Integration und das Wahlrecht der Ausländer, für den Ausbau des kollektiven Personentransports, für eine wohlverstandene Trennung von Kirche und Staat, sondern auch gegen die Berufsverbote in Deutschland, für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, gegen den Apartheid-Staat in Südafrika,… Sie riefen im September 1973 dazu auf, gegen den Militärputsch in Chile auf die Straße zu gehen.
Diese Anliegen wurden aber systematisch von der LW-Direktion unter André Heiderscheid, einem Opfer der Zwangsrekrutierung durch die Nazis und der anschließenden Kriegsgefangenschaft durch die Sowjets in Tambow, verschwiegen. Sie betrieb gerade in den Jahren 1974-79 eine recht eklige Kampagne gegen die erste linksliberale Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg, in der DP und LSAP ohne CSV regierten. Abweichler mussten da als gefährliche Nestbeschmutzer abgestempelt werden: Als „Neo- und Kryptomarxisten“ und „sozialistische Amicale in der Synode“ (LW, 22.2.1975) bzw. als „Totengräber des Christentums“ (LW, 4.3.1975) wurden sie den rund 75000 LW-Käufern vorgeführt. Die damals geschlagenen Wunden sind schwer zu vergessen. In der von 1971-1977 tagenden Diözesansynode forderten die jungen Leute, dass die Kirche auf Distanz zur einseitigen Parteipolitik gehen und das LW für alle Meinungen offenstehen müsse, die nicht eindeutig gegen das Evangelium und die Menschenrechtserklärung verstießen. Wohl gab es beschwichtigende, wohlgemeinte Worte seitens Bischof Jean Hengen, doch an der einseitigen, parteipolitischen Linie des LW änderte sich nichts bis kurz vor der Jahrtausendwende.
In dieser geistigen Atmosphäre wurde forum geboren, zuerst als Informationsblatt der Jugendpor Lëtzebuerg, dann ab 1976 unter dem heutigen Namen, der immer noch Anspruch und Verpflichtung zugleich ist. forum war das einzige Presseorgan in Luxemburg, das in Zeiten des Kalten Krieges und vor allem der Anti-CSV-Regierung von 1974-79 für alle Meinungen offen stand. Dabei konnten wir uns guten Gewissens auf das katholische Lehrschreiben Communio et Progressio von 1971 berufen, das „Gemeinschaft und Fortschritt der menschlichen Gesellschaft (als) oberste Ziele sozialer Kommunikation und ihrer Instrumente“ definierte. Der offene Geist, der von Anfang an in der Redaktion herrschte, der mit einer Reihe von Missständen in Kirche und Gesellschaft aufräumen wollte, machte forum auch für viele Menschen attraktiv, die nicht aus christlicher Überzeugung und trotzdem antikapitalistisch, antiimperialistisch, antidogmatisch, antiautoritär, antikonservativ, anti-verkrustet, antitabu dachten, fühlten und schrieben. forum trug ohne Zweifel dazu bei, die nach der CSV-Wahlniederlage von 1974 schlagartig wieder verhärteten Fronten zwischen klerikalem Block einerseits und den auf Wandel der Verhältnisse bedachten Kräften andererseits, die antiklerikale Morgenluft witterten, aufzuweichen.
forum gestern und heute
40 Jahre sind vergangen seit der ersten forum-Nummer, die am 31. Januar 1976 erschien, von den Machern selbst getippt, vervielfältigt, geheftet und verteilt. In Nr. 200 (Mai 2000) zeichnete ich die weitere Entwicklung dieser nach wie vor unabhängigen Zeitschrift nach: Vom kritischen Gewissen gegenüber der katholischen Tageszeitung wurde sie zur Zeitschrift der Zivilgesellschaft, zur Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung, für historische Debatten, für Kultur und Kulturpolitik,… forum ist weiterhin eine Autorenzeitschrift mit ganzen zwei (vielleicht bald drei!) vollamtlichen Koordinatorinnen und einem einzigartigen Online-Archiv, aber ohne staatliche Pressehilfe außer einem Zuschuss vom Kulturministerium. forum finanziert sich zur Hälfte durch seine Abonnenten, zu einem Sechstel aus dem freien Verkauf, zu einem knappen Fünftel aus der Werbung. Begrüßenswert wäre ein weiterer Zuwachs nicht nur der Abonnenten, sondern auch der Spendergemeinschaft, die das Projekt mittels monatlichem Dauerauftrag mitträgt.
Wer Autorenzeitschrift sagt, ist sich natürlich auch bewusst, dass etliche Schwerpunkte von den Vorlieben der jeweiligen Mitarbeiter abhängen, die seit 40 Jahren nicht dieselben geblieben sind. Ein schönes Beispiel dafür ist die kulturpolitische Sparte: In den 1990er Jahren sicherte die viel zu früh verstorbene Ina Nottrot in forum eine architekturkritische Rubrik, heute beliefert eine international angesehene Museographin und Historikerin die Zeitschrift regelmäßig mit Museums- und Ausstellungsrezensionen wie sie in keiner anderen Zeitschrift in Luxemburg zu finden sind. Und seit Jupp Wagner uns verlassen hat, fehlt der theologische Kommentar zum Weltgeschehen.
In den 40 Jahren hat sich einiges geändert. Die Synode hatte die LW-Redaktion zwar nur zaghaft zu einer Distanzierung gegenüber der CSV bewegen können. Aber der Markt hat das LW dann doch zur Kurskorrektur gezwungen. Wenn es auch immer noch eingefleischte CSV-Anhänger in der LW-Redaktion gibt, selbst unter den jüngeren, so kann man nicht leugnen, dass die Berichterstattung sachlicher wurde, Beiträge über alle Parteien und Geistesrichtungen, von der ADR bis zu AHA, veröffentlicht werden, die Meinungsvielfalt offen vertreten wird, bis hin zu Gegenüberstellungen in ein und derselben Ausgabe. Ja, 2015 hat das LW gleich zwei forum-Mitarbeiter als Journalisten eingestellt: für die Verantwortlichen der 1970er Jahre wohl ein echtes Horrorszenario.
Seit 1976 hat die Kirche ihren Einfluss verloren und die Tageszeitungen viele Leser. forum aber erfreut sich bester Gesundheit, gewinnt neue Abonnenten hinzu, verfügt über ein weitverzweigtes Netzwerk von kompetenten Autoren, trägt zweifellos zur gesellschaftlichen Debatte bei, verbreitet wichtige Ergebnisse der sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung an der jungen Uni Luxemburg, hat vielleicht ein bisschen zum Sieg des zweiten Anti-CSV-Parteienbündnisses nach dem Krieg beigetragen, und sorgt sich heute um neue Mythenbildung: als seien Glaubende per se konservativ bis reaktionär, als könnte man mit nation branding die Unmoral des Finanzplatzes kaschieren, als habe es in den letzten 40 Jahren keinen Fortschritt in der zeitgeschichtlichen Forschung gegeben, als sei alles fortschrittlich was nicht CSV- oder ADR-hörig ist, als sei mit einer Grünen-Regierungsbeteiligung der Klimawandel gestoppt und die nachhaltige Wirtschaftsweise gesichert,… An Themen für eine Meinungsbildung abseits des Mainstreams wird es nicht fehlen.
Wenn auch religiöse und kirchenpolitische Beiträge angesichts der schwindenden Bedeutung der Kirche in der Luxemburger Gesellschaft seltener geworden sind, so überrascht (oder erschreckt!) doch die Konstanz anderer Themen in forum: Immer wieder behandelt diese Zeitschrift aktuelle Fragen der Schulpolitik, die wachsende Kluft zwischen reich und arm, das Konzept der Nachhaltigkeit als Erweiterung des schon in Nr. 10 geforderten Verzichts auf Atomenergie, Denkmalschutz und Kulturpolitik, den Schutz der individuellen Freiheiten und die Rechte insbesondere von Minderheiten, die unmoralische Nischenpolitik der Luxemburger Regierungen gleichwelcher Couleur,… Seit 40 Jahren bietet forum politische Bildung an als Beitrag zur institutionellen Erneuerung des Luxemburger Gemeinwesens und fordert die rechtliche und soziokulturelle Integration der 46% Mitbürger ohne Luxemburger Pass und der steigenden Zahl an Flüchtlingen. Regelmäßig ärgern wir uns auch über unkritischen Journalismus bzw. Berichterstattung mit ideologischen Scheuklappen. Häufig begleitet forum historische Gedenkanlässe mit einer etwas anderen Sicht als die Tages- und Wochenpresse und stellt Bücher, Filme, Filmemacher und Schriftsteller vor. Nur die Dritte-Welt-Thematik hat an Stellenwert eingebüßt, obschon ihre weltpolitische Bedeutung keineswegs geringer geworden ist; immerhin leuchtet sie aber noch bei der Kritik am Finanzplatz Luxemburg durch.
Nach 40 Jahren hatten jüngere Mitarbeiter und Leser den Wunsch, etwas mehr über die Ursprünge dieser Zeitschrift zu erfahren. Wer ihre weitere Entwicklung näher kennen lernen will, dem seien die historischen Rückblicke in den Nummern 100, 150, 200, 300 empfohlen. Vielleicht findet sich aber auch irgendwann ein(e) junge(r) Historiker(in), der die Geschichte dieser Zeitschrift wissenschaftlich aufarbeiten will, oder die der alternativen Presse, oder des Zerfalls des katholischen Blocks in den 1970er Jahren. Ich werde dann gerne in der Rolle des Zeitzeugen zur Verfügung stehen.
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