Es geht nicht nur um die Keeseminnen

Kaum war in forum 409 der Beitrag über die aktuelle Denkmalschutz-Debatte publiziert, flammte sie an anderer Stelle wieder auf, diesmal mit einem Fokus auf Industriedenkmäler. Aus dem Umkreis des vom Kulturministerium geförderten Centre national de la culture industrielle (Industriekultur – CNCI a.s.b.l.) wurde am 18. März 2020 der formelle Antrag an das Ministerium geschickt, sieben Gebäude(ruinen) auf dem Gelände Rout Lëns in Esch/Alzette unter Denkmalschutz zu stellen. An diesem Ort, hart an der französischen Grenze, stand früher die Brasseursschmelz, später das Hüttenwerk Rote Erde / Terre rouge der Gelsenkirchner Bergwerks A.G., die auch die Adolf-Emil-Hütte auf Belval errichtete. Gewünscht wurde eine Klassierung der Handwerkergasse, der Gebläsehalle, der sogenannten Keeseminnen, der Turbinenzentrale, der Pumpstation, des Stellwerks und der Umgrenzungsmauer entlang der Straße Richtung Deutsch-Oth (Audun-le-Tiche). Das Gelände war schon im Juni 2011 von der Cosimo besichtigt und außer den Keeseminnen zur Einschreibung auf das sogenannte Inventaire supplémentaire, Vorstufe einer Klassierung, empfohlen worden. Die damalige CSV-LSAP-Regierung lehnte ab. Die aktuelle, engagierte Kulturministerin Sam Tanson (déi gréng) konnte am 14. Juli 2020 ihre Regierungskollegen überzeugen, die 2011 begutachteten Bauten unter Denkmalschutz zu stellen. Soweit, so gut.

Aber auch in diesem Regierungserlass fehlen die Keeseminnen. Ihr Ausschluss muss erstaunen, denn nach den Recherchen des CNCI und insbesondere des Industriehistorikers Jacques Maas sind sie zweifellos das interessanteste Gebäude auf der Rouder Lëns: Es entspricht fast allen Kriterien, die im zukünftigen Denkmalschutzgesetz festgeschrieben werden sollen.1 Die Erzbunkeranlage, in der große Mengen Eisenerz gelagert werden konnten, das dann in den Hochofen befördert wurde, wurde 1907 von der Schweizer Firma Züblin errichtet. Sie wurde als eine der ersten Industrieanlagen der Welt in Stahlbeton gebaut, so dass sie schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der internationalen Fachpresse große Aufmerksamkeit erregte. Mit diesem Bau wurde ein kontinuierlicher Ablauf der Gussproduktion ermöglicht, die zweite Industrierevolution eingeläutet. Die Keeseminnen sind also ein Denkmal und Erinnerungsort der Luxemburger Industriegeschichte, Architekturgeschichte, Technologiegeschichte, Lokalgeschichte, ja selbst der Sozialgeschichte, denn durch ihre Inbetriebnahme wurden drei Viertel der Arbeitsplätze bei der Befeuerung der Hochöfen abgebaut, und dank der Lagerkapazität konnte die Produktion selbst im Fall eines Unfalls oder Streiks während mehreren Tagen weiterlaufen. Die Anlage wurde erst 1970 außer Betrieb genommen. Der Bau ist allerdings zugegebenermaßen ein Mastodont, schwer für eine neue Funktion zu nutzen, aber zumindest ein oder zwei Silos hätte man sicher erhalten können.

Doch damit konnte die Kulturministerin, die es immerhin versucht hatte, sich nicht in der Regierung durchsetzen. Leider hat sie den Klassierungsantrag auch nicht an die Cosimo weitergereicht, die ihn wohl positiv begutachtet hätte. Im Unterschied zu den in forum 403 und 409 referierten Urteilen, mit denen ministerielle Erlasse zur Klassierung von zwei Privathäusern gekippt wurden, hätte in diesem Fall das Verwaltungsgericht nicht behaupten können, das Gebäude sei nicht einzigartig und dürfe also abgerissen werden. Das Argument, der Antrag sei zu spät gestellt worden, das die Ministerin in zwei Antworten auf parlamentarische Anfragen des Escher Abgeordneten Marc Baum (déi Lénk) vorbrachte, überzeugt aus zwei Gründen nicht: Einerseits hatten Escher Bürger schon im Herbst 2019 die Forderung nach Denkmalschutz erhoben, und kein Promoteur lässt sich frühzeitig in seine Karten schauen; so erfolgte der Antrag im März, kurz nachdem die Firma Iko ihre Baupläne für die Rout Lëns vorgestellt hatte, um dann schon wenige Tage später erste Bagger anfahren zu lassen. Andererseits unterschrieb die Ministerin den Erlass zum Schutz der Häuserzeile in der hauptstädtischen Rue Jean l’Aveugle noch, nachdem die Presslufthämmer ihr Zerstörungswerk schon begonnen hatten. In Esch hatte sie immerhin fast sechs Monate Zeit, um das Schlimmste zu verhindern – aber sie hat die Zeit nicht genutzt.

Man darf spekulieren, wer sie in der Regierung ausgebremst hat. In der vorigen war es Innenminister Dan Kersch (LSAP), der die neue Gesetzesvorlage wegen angeblicher Mehrbelastung der Bürgermeister torpedierte. Im Falle der Wirtschaftsgebäude des Heisdorfer Schlosses, die abgerissen wurden, um an ihrer Stelle ein Heim für Demenzkranke zu errichten, stellte sich Familienministerin Corinne Cahen (DP) hinter die Betreiber des Foyer du Tricentenaire, trotz der vom Kulturministerium ins Spiel gebrachten Alternativvorschläge. Doch solange es politische Parteien gibt, die Industriebrachen wie Ackerland, Stadtvillen wie Landschlösser den in- und ausländischen Investmentfonds zur Profitmaximierung überlassen, steigen in Luxemburg nicht nur die Wohnungspreise ins Unermessliche, sondern hat auch der Denkmalschutz keine Chance. Und bei Industriebauten haben die Denkmalschützer nicht mal die Öffentlichkeit auf ihrer Seite. Als es in den 2000er Jahren um die Erschließung der Industrie­brache Esch-Belval ging, wurde auch jede Klassierung abgelehnt, und heute erinnern nur noch lackierte Ruinen von zwei Hochöfen an die Vergangenheit. Da wesentliche Teile abgebaut wurden, büßen sie jegliche Authentizität ein, die der Denkmalschutz voraussetzt.

Die tieferen Ursachen liegen ohne Zweifel im Luxemburger Gesellschaftsmodell. Doch den zuständigen Behörden kann man die Verantwortung auch nicht ganz absprechen. Als das Luxemburger Wort am 12./13. September 2020, lange Zeit nach dem Tageblatt, das Thema Keeseminnen entdeckte, zitierte der Journalist Jacques Maas mit den Worten: „Das ist ein Versagen der Denkmalschutzbehörde.“ Man muss ihm leider Recht geben, denn meines Wissens stehen außer den Lokschuppen im Fonds de Gras kaum Industriebauten im Minett unter Denkmalschutz2. In Belval sprach sich damals der Direktor des Denkmalschutzamtes selbst gegen die Klassierung aus. In ihrer Antwort an Marc Baum gibt die Ministerin zu, „que le projet a été suivi dès le départ par le Service des Sites et Monuments nationaux et que, jusqu’à ces derniers mois, la question du classement des ‘Keeseminnen’ n’avait jamais figuré à l’ordre du jour.“ Falls die Behörde und die Ministerin den Fehler nicht nochmals wiederholen wollen, täten sie gut daran, heute schon die Industriebrache von Esch-Schifflingen bauhistorisch untersuchen zu lassen und erhaltenswerte Gebäude unter Schutz zu stellen, und zwar hoffentlich nicht nur den Wasserturm. Dort ist seit 2016 dieselbe Entwicklungsgesellschaft am Werk wie in Belval: Agora s.à r.l. Deshalb drängt die Zeit, dass das Personal des Service des sites et monuments nationaux mit weiteren Fachleuten aufgestockt wird, um das im neuen Gesetz vorgesehene Inventar schneller fertigzustellen als die Promoteure ihre Baupläne ausarbeiten. Sonst kommen sie wieder zu spät.

  1. Siehe zum Folgenden Jacques Maas: https://www.100komma7.lu/article/wessen/d-keeseminnen-an-den-escher-industrie-patrimoine (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 21.09.2020 aufgerufen).
  2. Siehe https://ssmn.public.lu/fr/patrimoine/industriel.html.

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