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Kleine Diözesangeschichte Luxemburgs von Georges Hellinghausen

Was Georges Hellinghausen ganz bescheiden als „Kleine Diözesangeschichte“ ankündigt, entpuppt sich als gelungene Darstellung des doppelten Verhältnisses der Luxemburger Kirche als Institution und als Volk Gottes zum Staat einerseits und zur Luxemburger Gesellschaft andererseits. Er lässt diese Geschichte mit dem Konkordat Napoleons beginnen, das die Besoldung des Klerus durch den Staat, die Einrichtung von Kirchenfabriken zur Verwaltung des lokalen Kirchenbesitzes und die kommunale Verantwortung für die Kirchengebäude vorschrieb, und lässt sie mit dem 2015 von der Regierung diktierten Ende dieses Verhältnisses ausklingen, das mit der öffentlichen Finanzierung des Kirchenapparates Schluss machte, aber der Kirche auch Selbstverantwortung und Unabhängigkeit brachte.

Der Autor arbeitet sehr beeindruckend heraus, wie der Apostolische Vikar Johann Theodor Laurent (1842-48) einen einheitlich ultramontanen und volkstümlichen Klerus schaffte, wie er den Einfluss der Kirche im Erziehungswesen durchboxte und wie dadurch die Luxemburger Gesellschaft kirchlich sozialisiert, die freidenkerische politische Elite allerdings vor den Kopf gestoßen wurde. Hellinghausen zögert nicht, von „gegenseitiger Intoleranz“ zu sprechen, die den „ideologischen Graben“ in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet habe (S. 49). Dieser Urkonflikt zwischen Kirche und Staat – nicht zwischen Glaubensgemeinschaft und Gesellschaft – verschärfte sich zur Zeit von Bischof Koppes (1883-1918), der trotz sozialen Engagements im Sinne Leos XIII. neben dem Liberalismus auch den Sozialismus anprangerte und wegen des Schulgesetzes von 1912 die Zusammenarbeit mit dem Staat aufkündigte. Mittlerweile war das „katholische Milieu“ entstanden, das – mit vielen Querverbindungen persönlicher Natur – aus der 1914 gegründeten Rechtspartei, heute CSV, der 1848 entstandenen Presse, insbesondere dem Luxemburger Wort, dem 1922 gegründeten LCGB und zahlreichen Vereinen und Verbänden bestand, die „das Terrain für eine christliche Stammwählerschaft (bereiteten), die der Partei zum durchschlagenden und lange anhaltenden Erfolg verhalf“ (S. 67). Der Autor versteckt nicht, dass dieser Erfolg auch zu triumphalistischen Auswüchsen führte, die dem Antiklerikalismus sicherlich Vorschub leisteten, aber auch blind machten für die hinter der Fassade einsetzende Säkularisierung. Im Abflauen des „Vereinskatholizismus“ sieht er den Hauptgrund für die fortschreitende Säkularisierung und den schwindenden Einfluss der Kirche bzw. ihrer gesellschaftspolitischen Vorstellungen. An dieser Entwicklung, die zum Missfallen des Autors im 21. Jahrhundert auch zur Entchristlichung von CSV und dem Luxemburger Wort führte, konnten auch die Reformansätze etwa des 2. Vatikanischen Konzils (1962-65) und der 4. Diözesansyno­de (1969-81) nichts ändern.

Diese sicher korrekte Beobachtung verdient m. E. allerdings eine tiefere historische Ursachenanalyse: Wieso kam es in den 1970er Jahren zum Auseinanderbrechen des katholischen Blocks, zur Entstehung kritischer Bewegungen innerhalb der Kirche, die – Hellinghausen hebt es hervor – u. a. zur Gründung von forum führten? Zu hinterfragen ist m. E. auch der Begriff der Säkularisierung, der im Buch oft mit Entchristlichung der Gesellschaft gleichgesetzt wird. Mit dem kürzlich verstorbenen Jean Delumeau möchte ich fragen, ob die Luxemburger Gesellschaft je christlich war. Hellinghausen selbst schreibt, lange Zeit habe „das ritualisierte Mitvollziehen“ (S. 129) gezählt. Entsprach dem aus der Agrargesellschaft in die Industrie- und postindustrielle Gesellschaft hinübergeretteten Katholizismus ein gelebtes, auf die befreiende Botschaft Christi bezogenes Glaubensbewusstsein? War das Abstreifen katholischer Riten nicht auch ein Schritt zur Wahrhaftigkeit, der offenbarte, dass auch vorher hinter den Riten echter Glauben nur bei einer Minderheit anzutreffen war? Und erklärt die jahrzehntelange Existenz eines katholischen Blocks nicht, warum die antiklerikalen Parteien die Kirche schlugen, wenn sie die CSV treffen wollten? Auch ihnen muss der Vorwurf gemacht werden, dass sie die hier nachgezeichnete Entwicklung der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen nicht korrekt wahrnahmen und die Kirche noch in jüngster Zeit als Machtfaktor angegriffen haben, obschon sie seit langem ihren Einfluss verloren hat.

Abgesehen davon, dass Hellinghausen die in großer Mehrheit katholischen Migranten fast völlig ignoriert (obschon es zu ihrer zögerlichen Integration in die Luxemburger Kirche Vorarbeiten gibt), zeichnet er ein gelungenes Bild einer Kirche als Spiegelbild der Gesellschaft, in der sie lebt. Insofern ist sein Buch eine auch für Nicht-Gläubige absolut lesenswerte und übrigens leicht zu lesende Darstellung der Luxemburger Gesellschaft, ein Beitrag zur Geschichte des Staates, die zu schreiben sich noch kein Historiker getraut hat. mp

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