Zwei Presseereignisse, an denen ich nicht unbeteiligt war, haben in den letzten Wochen die Frage nach dem Stand der katholischen Kirche in Luxemburg wieder in die öffentliche Debatte gebracht: ein Kurzbeitrag am 19. Oktober 2017 in der Sendung Fräie Micro im Radio 100,7 und die Sendung Kloertext von Caroline Mart am 29. Oktober 2017 auf Télé RTL. Alvin Sold widmete dem 100,7-Beitrag einen Leitartikel im Tageblatt vom 21. Oktober 2017 und der Generalsekretär der CSV reagierte am 10. November 2017 im Lëtzebuerger Land. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem in der Kloertext-Sendung vermittelten Bild der Kirche.
In der von TNS Ilres im Auftrag von RTL durchgeführten Umfrage, deren Rohdaten Caroline Mart mir dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat, geben nur 26% der 500 Befragten an, Religion sei ihnen wichtig oder sehr wichtig. Für 71% ist sie weniger wichtig bis unbedeutend; in der Altersgruppe 18-34 liegt diese Antwort bei 75%. 72% erklärten sich einverstanden mit der erfolgten Trennung von Kirche und Staat; bei den Befragten mit Luxemburger Nationalität (52,4% der Stichprobe) waren es 67%, bei den Ausländern1 78%, bei Personen mit höherem Bildungsabschluss und solchen, die in der Hauptstadt leben, lag dieser Wert bei über 80%.
Generalvikar Leo Wagener verriet in der Fernsehsendung, dass auch der Kirchenleitung diese Haltung gegenüber Kirche und Religion im Vorfeld des Refe-rendums von 2015 bekannt war, weswegen sie auf eine Einigung mit der Regierung hinarbeitete, was darauf hinauslief, dass die Frage nicht wie ursprünglich beabsichtigt im Referendum gestellt werden musste. 70% sind denn auch einverstanden, dass die Gehälter des Klerus und der kirchlichen Mitarbeiter in Zukunft nicht mehr vom Staat bezahlt werden; nur bei denen, denen Religion sehr wichtig ist, waren es weniger als die Hälfte, aber immerhin noch 41%. Auch eine Regierung mit CSV-Beteiligung wird das Rad sicher nicht mehr zurückdrehen können und wollen.
Trotz der Petition von rund 25000 Personen zugunsten einer freien Wahl zwischen Religionsunterricht und Laienmoral erklärten sich 65% der Befragten bei der RTL-Umfrage einverstanden mit der Einführung eines Werteunterrichts für alle anstelle der beiden bisherigen Optionen. Nur bei Personen, die noch schulpflichtige Kinder haben, fällt dieser Prozentsatz auf noch immerhin 54%. In diesem Zusammenhang muss die Kirche wohl ein spätes mea culpa machen, dass sie nicht schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten deutlich gemacht hat, dass der Religionsunterricht kein Ort der Glaubensvermittlung (Katechese) ist, sondern der Wissensvermittlung, wie Leo Wagener zurecht in der Sendung betonte. Dieses Versäumnis wird auch von vielen Religionslehrern bedauert. Mit der neuen Regelung riskiert das Wissen um einen wesentlichen Teil der europäischen Zivilisation zu verschwinden: Immer weniger junge Menschen wissen noch, wozu Kathedralen gebaut wurden, welche Rolle der Papst spielt(e), was ein Kardinal ist, was Christen eigentlich glauben usw. Katechese wird also in Zukunft im Rahmen und im Raum der Kirche selbst stattfinden. Rund 8000 junge Menschen wurden in den letzten Monaten für entsprechende Kurse angemeldet. Der Generalvikar ist sich bewusst, dass dieser Andrang nur bis zur Ersten Kommunion währt. Jugend- und Erwachsenenkatechese erreicht nur noch eine Handvoll. Auch hier rächt sich, dass die Kirche viel zulange auf die automatische katholische Sozialisation setzte und, wie Jupp Wagner schon in den 1970-80er Jahren immer wieder betonte, die Herausforderungen des Glaubens in der heutigen Welt ignorierte: „Das Evangelium ist keine Kindergeschichte“. Aber der Erzbischof sieht erfreulicherweise in dieser Abwendung vom Kulturkatholizismus eine Chance für die Glaubensgemeinschaft.
Schuld an den Fehlentwicklungen ist m.E., dass die Kirche keine Instanz hat, die ihr einen Spiegel vorhält und die ihr vermittelt, wie die Außenwelt sie sieht. Im Mittelalter erfüllten prophetische Gestalten wie Franz von Assisi oder Katharina von Siena diese Rolle. Vor vierzig Jahren waren es Gruppierungen wie die Jugendpor Lëtzebuerg, die forum-Redaktion, selbst Teile der 4. Diözesansynode, doch die kirchliche Hierarchie zeigte wenig Interesse an diesem Spiegelbild, der damalige LW-Direktor verunglimpfte sie gar als „Totengräber des Christentums“, und so erlahmte das Engagement kritischer Kreise in der Kirche.
Dass der Kirche die Außenwahrnehmung fehlt, sah man in der RTL-Sendung auch bei der Frage nach dem Verhältnis der Kirche zur CSV. Sowohl der
Erzbischof als auch Leo Wagener meinten blauäugig, die CSV habe die katholische Soziallehre im Programm stehen, auch wenn der Erzbischof zugeben musste, dass nicht alle CSV-Politiker das C mit derselben Intensität vertreten. Dass man in dieser Frage sich aber nicht auf das Parteiprogramm verlassen und besser aufgrund der politischen Praxis urteilen sollte, erfährt ein Schüler schon im Politikunterricht. Wie kann ein Erzbischof übersehen, dass auch die Kirche nie politisch neutral sein kann, per definitionem! Wer behauptet, politisch neutral zu sein, will nichts an den bestehenden Machtverhältnissen ändern, unterstützt also ipso facto die Mächtigen. In der Nachfolge Jesu kann die Kirche nur eine arme Kirche sein, arm im Sinne von Verzicht auf Macht. „So ist die Kirche, auch wenn sie zur Erfüllung ihrer Sendung menschlicher Mittel bedarf, nicht gegründet, um irdische Herrlichkeit zu suchen, sondern um Demut und Selbstverleugnung auch durch ihr Beispiel auszubreiten.“ (Lumen Gentium, § 8) Insofern ist der Einwand von Leo Wagener bei Kloertext, die Kirche brauche Geld, um ärmeren Kirchen in der Welt zu helfen, unangebracht, da erste Aufgabe der Kirche sein muss, die Ursachen des Übels zu bekämpfen, nicht nur die Wirkungen (Apostolicam actuasitatem, § 8). Das ist ipso facto hochpolitisch. Der Auferstehungsglaube bedeutet, dass das Himmelreich, die perfekte Welt nicht von dieser Erde ist, dass also der Christ sich stets für bessere Lebensverhältnisse für alle Menschen einsetzen muss. Ein Bündnis mit den Mächtigen dieser Erde ist von daher nicht zulässig. Diesen machtkritischen Impetus des Evangeliums vermisst man, wenn der Erzbischof im Interview sagt, Aufgabe der Kirche sei es nicht, Machtpositionen zu erobern, sondern die Botschaft Christi zu verkündigen, ohne sie auf die aktuelle Lage in Luxemburg herab zu deklinieren. Zurecht weist er immerhin auf Papst Franziskus hin, auf dessen Enzyklika Laudato si! und ihre Aufforderung an die Christen, sich für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen, lies u. a. den Kampf gegen den Klimawandel aufzunehmen und die Erde für die kommenden Generationen bewohnbar zu halten.
Wann versteht die Kirchenleitung, dass sie kein Interesse daran hat, dass die konservative Partei Luxemburgs das C für sich vereinnahmt und dann eine Politik betreibt, die multinationalen Unternehmen legale Schlupflöcher zur Steuerhinterziehung anbietet, weil die Interessen des Finanzplatzes ihr heiliger sind als soziale und weltweite Gerechtigkeit, die seit Jahrzehnten nichts unternommen hat, um die Wohnungsnot zu lindern, die also die katholische Soziallehre nur zum Schein im Parteiprogramm als Inspirationsquelle anführt, deren Protagonisten die Angst vor Bettlern, Muslimen, Junkies und Kriminellen schüren, um unsere Freiheiten durch weitere angebliche Sicherheitsmaßnahmen einschränken zu können, usw. usw.? Genauso wenig hätte die Kirche Interesse, die Grünen als christliche Partei anzuerkennen, wenn sie sich auf Laudato si! beriefen, oder die Linke, wenn sie die katholische Sozial-lehre als Grundlage für ihre antikapitalistische Politik
benennen würde. Keine Partei kann ein Wahlprogramm entwickeln, das sich zu 100% mit der katholischen Lehre deckt. Aber die Kirche hat jedes Interesse, dass viele Parteien ihre Grundsätze von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ernst nehmen und parteipolitisch deklinieren. Wenn hingegen Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP?) im LW-Interview (16.11.2017) meint: „Ohne Moral wären wir wohl längst schon viel weiter“ und damit jedes Vorsorgeprinzip, jeden Verantwortungsgedanken von sich weist, müsste es einen Aufschrei in den Kirchen geben.
Der Generalvikar verwies bei Kloertext auf die Forderung von Papst Franziskus, die Kirche müsse am Rand der Gesellschaft aktiv werden. Und tatsächlich ist der Einsatz der Luxemburger Kirche an der Seite der Flüchtlinge („Reech eng Hand!“ und Caritas) bemerkenswert. 2007 hatte Erzbischof Fernand Franck zur Umsetzung des Sozialworts der katholischen Kirche2 die Kirchenfabriken aufgefordert, Immobilien zur Aufnahme von Flüchtlingsfamilien und/oder für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen; das Echo war allerdings eher dürftig. Wenn der Erzbischof dieses Engagement auf Seiten der Zukurzgekommenen meinte, als er dem Luxemburger Wort vorwarf, kirchliche Initiativen kämen in der Berichterstattung der kircheneigenen Zeitung zu kurz, dann muss man seinen Unmut
verstehen. (Das rechtfertigt aber wohl nicht die Entlassung eines Chefredakteurs.)
Dieses Engagement war aber kaum gemeint, als der Präsident des Verwaltungsrats der Aktiengesellschaft Saint-Paul, der CSV-Politiker Luc Frieden, den verdutzten Journalisten mitteilte, das Luxemburger Wort müsste zu einer Mitte-Rechts-Linie zurückfinden, und die Wirtschaftsredaktion aufforderte, ihre wirtschaftskritische Linie aufzugeben. Denn Mitte-Rechts ist mit der katholischen Soziallehre, mit der Botschaft Jesu, mit dem Auferstehungsglaube nicht vereinbar. Deshalb forderte ich in meinem 100,7-Beitrag die Diözesanleitung auf, sich von der CSV zu trennen, insbesondere keine exponierten CSV-Politiker mehr als Präsidenten von Aktiengesellschaften und Stiftungen einzusetzen, die Kirchen- bzw. Ordensgüter wie das Presse-unternehmen Saint-Paul oder die Robert-Schuman-Krankenhäuser verwalten. Männer wie Luc Frieden oder Jean-Louis Schiltz sind als Anwälte des Finanzplatzes bekannt; sie stehen für eine Steuerpolitik, die multinationalen Unternehmen Milliardenbeträge sparen hilft, während selbst kleine Unternehmen in Luxemburg ihre Steuern bis zum letzten Cent zahlen müssen. Mit solchen Leuten an der Spitze ihrer Dienstleistungsunternehmen macht die Kirche sich unglaubwürdig. Da hört niemand mehr die Botschaft Jesu, die sie verkünden will. Da werden ihr Machtgelüste unterstellt. Es genügt auch nicht, wie der Erzbischof es im Interview tat, auf Papst Franziskus zu verweisen: Wo bleibt sein eigenes (Hirten-)Wort der Kritik an der Finanz- und Steuerpolitik oder an der Wohnungsbaupolitik der Luxemburger Regierungen? Es darf nicht sein, dass die katholische Kirche sich nur bei Fragen der individuellen Ethik wie der Euthanasie oder, wie angekündigt,der Leihmutterschaft zu Wort meldet. Welche moralische Instanz wenn nicht die Kirche soll dann bei Fragen der Umwelt-, Flüchtlings-, Steuer-, Finanzpolitik usw. den Finger erheben? Insofern ist es nur folgerichtig, dass die Kirche nicht mehr in der Staatsschule aktiv ist, denn wenn sie ihre prophetische Botschaft dort wirklich verkündet hätte, wäre sie aus anderen Gründen rausgeflogen.
michel pauly
1.Es ist dies in der ohnehin eher schmalen Stichprobe die einzige Frage, bei der ein wesentlicher Unterschied zwischen Luxemburgern und ausländischen Mitbürgern festzustellen ist.
2.w3.restena.lu/justpaix/sozialwort_dossier/sozialwort2007_dossier/sozialwort.pdf.
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