Das Fabrikgelände liegt im Dunkeln, nur aus dem Türspalt der Lagerhalle dringt ein Lichtschein heraus.
„Schön, dass du auch da bist“, Kim holt mich kurz vor der Tür zur Halle ein, „und gut, dass eure Gruppe auch mitmachen will.“
„Worum geht es denn eigentlich?“, frage ich, weiß nicht recht, was ich hier soll.
„Um unsere Osterfeier im kommenden Jahr. 2041 werden zum ersten Mal alle christlichen Gruppen und Gemeinschaften gemeinsam Ostern feiern.“
Wir gehen in die Halle. 30, vielleicht 35 Personen sitzen an Tischen.
„Hier sind wir“, Kim ist nicht zu bremsen, „Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Gruppen. Komm, wir setzen uns dort zu Chloé.“
„Was ich nicht verstehe, warum feiern wir nicht, wie in den letzten Jahren in der Kathedrale, zusammen mit den anderen, den Traditionalisten und Vertretern der Amtskirche?“, ich frage und ahne die Antwort.
„Weil wir wiederum nur Gäste wären, und keinesfalls auch nur einen kleinen Teil des Gottesdienstes gestalten dürften. Weißt du, es ist noch immer, wie es war: Teilnahme endet mit einem Entscheid der Amtsträger. Roma locuta, causa finita. Das wollen wir nicht mehr. All unsere Mitglieder werden sich an Ostern hier in der Fabrik versammeln, es wird einen Gottesdienst geben, dem Magdalena vorstehen wird. Sie ist ein echtes Talent. Wir werden beten, singen, Brot und Wein teilen …“
„Stopp“, ich unterbreche Kim, kann nicht anders, „Brot und Wein teilen, Eucharistie feiern ohne Priester? Ist das nicht die endgültige Abspaltung, die doch alle vermeiden wollten?“
„Wir sprechen nicht von Eucharistiefeier, wir feiern Ostern, den Auferstandenen, das Leben. Wir werden gemeinsam in der Bibel lesen, uns darüber austauschen und lassen dann auch Brot und Wein herumgehen. Alles Weitere liegt nicht in unserer Hand.“
„Es ist mit der Liturgie, wie mit vielen anderen Themen auch“, Chloé mischt sich in unser Gespräch ein, „wir müssen unser Christsein in die eigene Hand nehmen. Die Zeit der Hirten ist vorbei, es gibt kaum noch welche, die Herden müssen sich selbst organisieren. Als ich mich vor gut 20 Jahren, zusammen mit Marianne und Jessica, von der offiziellen katholischen Kirche loslöste, es war die Zeit, als bereits vieles weggebrochen war, die Kirchen immer leerer wurden und die Anzahl der jährlichen Taufen rapide sank, waren wir die Einzigen, die den Schritt öffentlich taten. Wir wollten Christsein leben, nur nicht mehr in der Kirche, die wir vorfanden. Die Traditionalisten beschimpften uns, die Zögerer trauten sich nicht, etwas zu sagen, und den meisten war es bereits egal. Wir wollten Christinnen sein, als Frauen, gleichberechtigt und frei. Und selbst wenn keine von uns Priesterin werden wollte, wir konnten nicht einverstanden sein, dass der Zugang zum Priestertum von einem Y-Chromosom abhängen sollte. Zehn Jahre später waren wir ein paar Dutzend, gründeten die ‚Hildegard-Bewegung‘ und engagieren uns bis heute in der Hilfe für Geflüchtete, die der Klimawandel zu uns führt. Anfangs gingen wir weiter zur offiziellen Messe, hielten den schiefen Blicken stand und auch manch dummer Predigt. Damals gab es auch noch eine Handvoll Priester, die uns, zwar eher heimlich als offen, unterstützten. Dort gingen wir dann hin. Es dauerte Jahre, bis wir uns sagten, dass wir auch Gottesdienst selber feiern könnten. Seither versammeln wir uns, meistens am Samstagabend, lesen in der Bibel, singen, beten, loben und danken Gott und reden viel, über unser Leben, über den Glauben, die Welt und unser Engagement in der Gesellschaft.“
„Und jetzt kommt ein weiterer Schritt“, Kim übernimmt wieder. „An Ostern 2041 schlagen wir die Gründung eines Netzwerkes christlicher Gruppierungen vor und laden alle ein mitzumachen, selbstverständlich auch die offizielle katholische Kirche und die Traditionalisten. Die Zeit des Jeder-Für-Sich-Alleine ist dann vorbei. Eine neue Form von Kirche wird entstehen, partizipativ, gleichberechtigt, demokratisch und mit flachen Hierarchien.“
„Sagen wir mal, wir wollen es hoffen und werden auch dafür beten und arbeiten“, wirft Chloé ein, „es wäre aber naiv anzunehmen, dass sich früher oder später die Machtfrage bei uns nicht stellen wird, und dass es nicht zu Konflikten kommen wird. Das, was uns unterscheiden sollte, ist eine Struktur, die auf allen Ebenen Gleichberechtigung von Frauen und Männern verlangt, Mitbestimmung voraussetzt und Mandate kontrollierbar begrenzt.“
„Und dabei sollen die offizielle Kirche und die Traditionalisten mitmachen?“, frage ich erstaunt. Ich kann mir das nur schwer vorstellen.
„Wahrscheinlich nicht sofort“, meint Chloé und fährt fort, „vielleicht, wenn sie merken, dass wir es ernst meinen, mit dem Christsein, dem Glauben und unserem Handeln in der Welt, wenn sie sehen, dass wir versuchen, Kirche zu sein in einer Welt, die mit alten Institutionen nicht mehr umgehen kann, eine Kirche, die unserer Zeit entspricht, die offen ist, bunt und vielfältig.“
„Träum weiter!“, unterbricht Kim, „wir werden sie einladen, aber ich sage dir, sie werden nicht mitmachen, weil sie sonst nämlich über ihren Schatten springen müssten. Sie werden sich weiter zurückziehen und uns gelegentlich, quasi aus ihrer Sakristei heraus, Ratschläge geben, was wir alles nicht machen dürfen.“
„Sei nicht so pessimistisch“, erwidert Chloé, „wir versuchen, ein Netzwerk aufzubauen, und wir hoffen, dass die offizielle Kirche, die heute vor allem noch Steine und Kapital verwaltet, und die Traditionalisten, die an einer Kirche des 19. Jahrhunderts hängen, auch mitmachen, gleichberechtigt neben der ‚Hildegard-Bewegung‘, den Meditationsgruppen, des Kulturateliers, den Bibelfans und den anderen, die sich heute hier versammeln und die ich nicht einmal alle kenne.“
„Ich bleibe skeptisch, … aber gut! Bevor wir mit dem Treffen beginnen“, Kim wendet sich mir zu, „solltest du uns sagen, ob deine Gruppe mitmacht beim gemeinsamen Osterfest. Und es wäre echt toll, wenn ihr dabei wärt.“
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