Klimaschutz verlangt einen starken Staat

Der Sommer hatte es in sich. Hitze­rekorde wurden in Luxemburg dieses Jahr zwar nicht gebrochen, außer im März, wohl aber im vorigen Sommer, und dieses Jahr in Italien und Griechenland. Dafür gab es bei uns am 14. Juli Starkregen, der gefühlte 24 Stunden anhielt und Überschwemmungen wie nie zuvor verursachte und in Wallonien und in der Eifel über 200 Tote forderte. In Südeuropa und in Nordamerika bedrohen Waldbrände ganze Ortschaften. In Grönland und in der Antarktis brechen Eisberge weg. Am 29. Juli 2021 erreichte die Erde den Overshootday, d. h. den Tag, an dem die Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das zur Verfügung stehende Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion der Ressourcen in diesem Jahr übersteigt. Luxemburg hatte seinen Overshootday dieses Jahr bereits am 15. Februar erreicht. Umweltministerin Carole Dieschbourg stellte im Juli die sektoriellen CO2-Sparpläne der Regierung vor. Und der Weltklimarat (IPCC) veröffentlichte am 9. August seinen Bericht, der von Wissenschaftlern aus aller Welt erarbeitet und von den Regierungsvertretern aller UNO-Mitgliedsstaaten abgesegnet wurde – und der einmal mehr deutlich machte, dass der Klimawandel und die damit zusammenhängenden Naturkatastrophen sehr wohl auf menschliches Einwirken zurückzuführen sind.

Was aber von Menschenhand gemacht ist, kann auch von Menschenhand wieder in Ordnung gebracht werden. Eigentlich! Das geht nämlich nur, solange es noch nicht zu spät ist, weil das Natursystem definitiv aus den Fugen geraten oder „gekippt“ ist. Der IPCC-Bericht enthält diesbezüglich eine positive Nachricht: Es ist noch nicht zu spät. Aber je länger wir warten, desto heftiger wird die Reaktion ausfallen müssen. Wer eine kleine Wunde sofort desinfiziert, muss nicht zur Amputation schreiten, um einer Entzündung Herr zu werden.

Viele Betroffene mögen sich zurecht ärgern, dass sie zu spät vor der Flutwelle gewarnt wurden oder die Warnungen nicht ernst nahmen. Politiker werden sich nicht rausreden können: Seit Jahrzehnten warnen Wissenschaftler vor der Klima­krise, doch die meisten wiegeln ab, finden die Warnungen übertrieben, bequemen sich höchstens zu symbolischen Gegenmaßnahmen, aus Angst, Wähler zu verängstigen. Sie wollen bloß nicht härtere Zeiten prophezeien, höhere Steuern und Einschränkungen ankündigen, kurz: die Wahrheit sagen. Wenn der CSV-Präsident im Interview mit reporter.lu vom 10. August 2021 für einen „gewissen Umwelt- und Klimaschutz“ eintritt und nichts von Verboten hält, dann stellt er eindeutig die Wahlchancen seiner Partei über die Notwendigkeit von einschneidenden Maßnahmen, um diese Erde zu retten. Er will darauf warten, dass die Leute „selbst einsehen, dass diese [Verbots-]Politik sinnvoll ist“, als ob sich diese Hoffnung nicht längst als Illusion erwiesen hätte.

Denn eins ist klar: Maßnahmen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, die Biodiversität zu retten, die natürlichen Ressourcen zu schonen, werden etwas kosten. Jeden von uns. Wir werden unseren Lebensstil drastisch ändern müssen, zumindest die Bessergestellten unter uns. Die Maßnahmen werden nicht populär sein. Schon jetzt darf man Häuser nicht mehr nach Belieben bauen, sie müssen energieneutral sein. Die Flugtickets werden teurer werden, weil auch Kerosin endlich besteuert werden soll. Es wird sich nicht mehr jeder eine Urlaubsreise in die Südsee leisten können. Das Kilometergeld dürfte mittelfristig für Arbeitnehmer, denen ein Angebot des öffentlichen Transports für ihre Fahrt zur Arbeitsstelle zur Verfügung steht, abgeschafft werden. Auf jede Tonne CO2 ist seit dem 1. Januar 2021 eine Taxe von 25 Euro zu zahlen. Sie soll progressiv steigen. In der Schweiz liegt sie schon bei 89 Euro, ohne dass man wie hierzulande vor allem aus Unternehmerkreisen Proteste hört. Gerade Betriebe, die hauptsächlich im Inland Aufträge erledigen, könnten verpflichtet werden, ihren Fuhrpark auf Elektrofahrzeuge umzustellen.

Die staatlich verordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus haben gezeigt, dass die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit bereit ist, Verbote zu akzeptieren, wenn’s ums Überleben geht. Ohne starken Staat wird die Menschheit die Klimakrise nicht überleben. Die Zeiten des Laissez-faire sind vorbei. Schluss mit lustig.

Statt radikale Maßnahmen abzulehnen und nur Trippelschritte gegen den Klima­wandel vorzuschlagen, täten die Politiker besser daran, ihre Fantasie spielen zu lassen, um Maßnahmen vorzuschlagen, wie für die ärmeren Schichten – in­ Luxemburg sind 18 % der Bevölkerung dem Armutsrisiko ausgesetzt – zumindest die finanziellen Mehrlasten kompensiert werden könnten. In der Schweiz wurden 2020 aus den CO2-Steuereinnahmen pro Person, Kinder inbegriffen, 65 Euro zurückerstattet. In Luxemburg ist ein Steuerkredit von 96 Euro pro Steuerzahler vorgesehen: Das ist nicht nur weniger großzügig, obschon bei uns auch der Sprit besteuert wird, sondern auch schwerer zu kommunizieren. Trotzdem fällt das bei einkommensschwächeren Haushalten, die weniger Auto fahren oder in kleineren Wohnungen geringere Heizkosten haben, stärker ins Gewicht als bei reichen Energievergeudern. Man könnte auch an eine Reduktion der Mehrwertsteuer auf Reparaturkosten denken, um den Konsum von Rohstoffen durch den Verkauf von neuen Geräten zu bremsen. Die EU hat beschlossen, auf Güter aus Ländern, die ihren Export verbilligen, indem sie keine oder ungenügende Klimaziele und Umweltauf­lagen einhalten, Importtaxen zu erheben. Dank der beiden letztgenannten Maßnahmen können vom Klimaschutz Handwerk und Industrie profitieren und sogar Arbeitsplätze entstehen.

Die Luxemburger Versicherungen haben erklärt, dass die jüngsten Überschwemmungen die teuerste Naturkatastrophe darstellen, für die sie je aufkommen mussten. Die Prämien dürften demnach bald angehoben werden. Man könnte also annehmen, der Markt werde die Menschen dazu bringen, sich an den Klimawandel anzupassen. Ob aber je ein Versicherungsschutz gegen das Ansteigen des Meeresspiegels oder das Bienensterben angeboten werden wird, wage ich zu bezweifeln.

Als ich meiner Tochter sagte, ich sehe schwarz für die nächste Generation, schüttelte sie den Kopf: „Hast Du denn noch immer nicht verstanden, dass auch Deine Generation schon vom Klimawandel und Artensterben bedroht ist?“ In dem Sinne wünsche ich dem Klimastreik am 24. September 2021 vollen Erfolg.  

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