Konstruktive Kapitalismuskritik

Wolfgang Kessler, Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern. Eine Streitschrift, Oberursel, Publik-Forum, 2019, 128 S., 15€.

Klimawandel, eine weltweit steigende Kluft zwischen Arm und Reich, auch in den Industrieländern, die Aushöhlung der Demokratie durch eine schleichende Diktatur des Kapitals, „ein rasendes Wachstumskarussell, das keine Rücksicht auf Mensch, Tier und Natur nimmt“ (S. 10f.): Das Fazit von Papst Franziskus, mit dem Kessler sein Buch beginnt, ist eindeutig: „Diese Wirtschaft tötet!“. Die Reaktionen darauf wenig überraschend: Ängste, Sehnsucht nach einer heilen Welt, wenn nicht nach einem Führer, Populismus, Rassismus, Ausgrenzung vermeintlicher Sündenböcke.

Schlagwörter, die so oder ähnlich eingefleischte forum-Leser, hellhörige 100,7-Hörer, überzeugte Naturata-Kunden, etliche kritische Grünen-Wähler, eifrige Diskussionsrundenteilnehmer schon allzu häufig gehört haben: Wolfgang Kessler ordnet sie zu einer prägnant formulierten Analyse des Zustands dieser Erde, die jeder nachvollziehen kann. Der Kritik des globalen Kapitalismus folgt ein zweiter Teil mit fünf Vorschlägen zur sukzessiven Veränderung des Kapitalismus. Marxisten mögen die Nase rümpfen und weiter auf die Revolution zur Abschaffung des Kapitalismus setzen, doch die dazu notwendige Massenbewegung will sich, wie schon Elmar Altvater konstatierte (S. 63), partout nicht einstellen, weil dieser Kapitalismus zu vielen Menschen echten Wohlstand beschert hat.

Dafür setzt Kessler auf a) ein soziales, klug kalkuliertes Grundeinkommen, b) mehr Staat und Spekulationssteuern, c) eine ökologische und sozial gerechte Revolution der Wirtschaft dank Ökosteuern und Rückzahlung einer Umweltdividende, d) einen ethischen Welthandel, der mittels Zöllen umweltschädliche und sozial ungerechte Produktionsweisen benachteiligt, e) ein Grundeinkommen für die Milliarde Menschen, die noch unter Hungersnot leiden, um die lokalen Märkte anzukurbeln und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Abschließend erinnert der Autor daran, dass die Konsumenten Teil des Wirtschaftssystems sind und mit ihren Konsumgewohnheiten, Reiseverhalten, Bankeinlagen durchaus Wirtschaft und Politik beeinflussen können. In meiner Zusammenfassung mag das alles etwas naiv klingen, doch die Analysen und Gegenvorschläge des promovierten Wirtschaftswissenschaftlers sind durchdacht und realistischer als manche linke Utopie, umso mehr als Kessler für viele Vorschläge Initiativen nennen kann, die schon eine alternative Praxis üben (die eine andere Richtung eingeschlagen haben/ die bereits alternative Wege gehen/ eine alternative Handlungsweise applizieren?). Als Vorzeigebeispiel wird immer wieder die von Christian Felber initiierte Gemeinwohl-Ökonomie genannt, nach deren Konzept seit dem 4. Juni 2019 Mertzig bei Ettelbrück die erste GWÖ-Gemeinde Luxemburgs werden will (vgl. woxx vom 31. Mai 2019).

Das Buch strahlt Hoffnung aus. Es ist sozusagen Wolfgang Kesslers Abschiedsgeschenk an die Leser von Publik-Forum, der Zeitschrift, in der er 28 Jahre lang anregende, Alternativen aufzeigende, auch für Laien verständliche Beiträge zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Deutschlands, Europas und der Welt veröffentlicht hat. Die letzten 20 Jahre, bis zum 30. April 2019, war er ihr Chefredakteur. Der Zeitschrift und ihren Leser*innen wird er bestimmt auch im Un-Ruhestand erhalten bleiben.

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