Lëtzebuerg City Museum 3.0

Wenn man von Anfang an an der Geburt und der Entwicklung eines stadthistorischen Museums beteiligt war, ist man einerseits gespannt auf angekündigte Neuerungen und andererseits befangen in einer subjektiven Sichtweise auf das Neue, das man gern am Alten misst. So erging es mir zumindest, als ich die im Mai 2017 neu eröffnete Dauerausstellung im umgetauften Lëtzebuerg City Museum besuchte. Der Leser sei also gewarnt.

Story telling

„Geschichten erzählen“ ist das Stichwort, das international die Museums- und Ausstellungsszene beherrscht. Für das Stadtmuseum bedeutet das eine Abkehr von der thematischen Gestaltung der Säle, nach der von 2006-2016 die Dauerausstellung konzipiert war, zurück zu einer chronologischen Erzählung, die dem Besucher den Zugang zur Geschichte der Stadt Luxemburg erleichtern soll. Im Stadtmuseum beginnt diese Erzählung mit der Tauschurkunde von 963/987. Die vorgeschichtliche und gallo-römische Besiedlung des späteren Stadtgebiets wurde bewusst weggelassen, obschon sie die Infragestellung des mythischen Datums 963 und der Idee einer Geburtsstunde einer Stadt ermöglicht hätte. Nichtsdestoweniger ist der Durchgang durch die Stadtgeschichte nicht linear, sondern setzt thematische Akzente, die zum Teil an den bekannten sechs Stadtmodellen aufgehängt werden: So werden auf der untersten Ebene die Ursprünge der Besiedlung um das Jahr 1000 bis zur urbanen Siedlung, die erstmals im 16. Jahrhundert kartografisch dargestellt wurde, anhand von zwei Stadtmodellen behandelt. Daneben thematisieren ausgestellte Objekte das Leben in der mittelalterlichen Stadt von der Wiege bis zur Bahre: Stadtrechte (obschon der Freiheitsbrief von 1244 fehlt), Wirtschaft, Wohnkultur, Religion, Alltagsleben,… Die berühmte Tauschurkunde wird einerseits im Original in einer Schublade gezeigt, andererseits digital auf eine Glasfläche projiziert, wo der Besucher sich die deutsche, englische oder französische Übersetzung sowie erklärende Kommentare zu einzelnen Passagen der Urkunde einblenden lassen kann. Überhaupt werden nur Originalexponate gezeigt: ein Prinzip, dem sich das Museum seit seinen Anfängen verpflichtet hat. In diesem Raum fallen vor allem drei fast lebensgroße Statuen von einer Grablege aus dem ehemaligen Heilig-Geist-Kloster auf, eine Leihgabe des Hospice civil, die noch nie dem Publikum gezeigt wurden.

Der nächste Raum ist der frühneuzeitlichen Festungsstadt gewidmet. Hier entfaltet die neue Lichtanimation der Stadtmodelle ihre ganze Wirkung. In diesem Fall kann man mittels Touchscreen die Belagerung durch die Truppen Ludwigs XIV. auf das Modell von 1684 projizieren, während das Kriegsgeschehen aus unterschiedlichen Perspektiven durch die Lektüre von Auszügen aus zeitgenössischen Quellen akustisch veranschaulicht wird. Multimedia hat definitiv Einzug ins Museum gehalten. Gemälde, Medaillen, Plakate, Flugschriften zeugen einerseits von der französischen Propaganda, andererseits vom Medienecho, das die Eroberung Luxemburgs auslöste. Im anschließenden Raum wird das Zusammenleben von Garnison und Bürgern vom 16. bis ins 19. Jahrhundert thematisiert. Neben Helmen und Waffen stellen als eines der wenigen Artefakte zwei Dutzend uniformierte Puppen die Abfolge der in der Stadt stationierten Militäreinheiten dar (ein Überbleibsel der Fremdherrschafts-Ideologie?). Als Kulisse dient ein bislang kaum bekanntes, großformatiges Ölgemälde von Michel Engels aus einem ehemaligen Wirtshaus, das die Stadt kurz vor der Schleifung wiedergibt.

Im letzten Raum der Ebene 0 wurden auf dem Stadtmodell von 1795 die kirchlichen Gebäude aus Holz durch solche aus von Innen beleuchtetem Glas ersetzt, so dass die Bedeutung der Religion in der vormodernen Stadt sofort auf- und einleuchtet. Heiligenstatuen, ein Kleid der Marienstatue aus der Kathedrale und liturgische Geräte sind neben der Glocke aus der Siechenhofkapelle Leihgaben von verschiedenen Kirchenfabriken aus dem Stadtgebiet. Sie illustrieren gleichzeitig den Aufschwung der Goldschmiedekunst in der Stadt im 18. Jahrhundert.

Eine Etage höher versucht die Ausstellung zu erklären, dass Luxemburg seit dem 19. Jahrhundert auch Hauptstadt eines unabhängigen Staates ist und somit Bühne für Machtausübung: der großherzogliche Thron (eine Leihgabe der Abgeordnetenkammer), ein Stein der Festungsgrenze, Bilder vom Wiener Kongress und Napoleons, die Regierungsproklamation von 1848 sowie im nächsten Raum Büsten von landespolitischen Persönlichkeiten, Insignien der Macht wie die Schärpe und der Hut des städtischen Bürgermeisters im 19. Jahrhundert, der Hirtenstab von Bischof Adames, das Zeremonienschwert von Staatsminister Emile Reuter vermögen neben plakatierten Gemeindeverordnungen dieses an und für sich abstrakte Thema durchaus anschaulich zu illustrieren.

Überraschend sind die vielen stereoskopischen Fotos, auf denen die Schleifung der Festung scheinbar dreidimensional zu sehen ist, da wegen der Militärzensur außer dem ausgestellten, bislang unbekannten Album mit 20 Aquarellen von André Burnier (1858) kaum Bilder aus der Festungsstadt erhalten sind. Das Stadtmodell von 1867 erzählt die Bedeutung des Londoner Vertrags von 1867 als Wendepunkt in der Stadtgeschichte. Bürgermeisterin Lydie Polfer sprach bei der Präsentation der Dauerausstellung von einer zweiten Geburt der Stadt. Mittels Touchscreen kann man die farbige Beleuchtung auf dem Stadtmodell steuern und so die progressive Erweiterung des Stadtgebiets von 1867 bis heute verfolgen. Der nächste Raum bietet folgerichtig eine Auswahl von Industrieprodukten, die im 19. und 20. Jahrhundert in der Stadt Luxemburg hergestellt wurden, von der Blechdose aus der Kaffeerösterei Santos über Lederhandschuhe von Reinhard und Reißverschlüsse von riri bis zur Tabakschachtel von Heintz van Landewyck, sowie einen Werbefilm der Champagnerfabrik Mercier. Handelshäuser sind mit Fotos von Geschäftslokalen und einer wiederaufgebauten Ladentheke in der Ausstellung präsent, während die Arbeitsbedingungen keine Erwähnung finden.

Der letzte Raum der Etage 1 wiederholt das Thema des darunterliegenden Raums: Alltagsleben von der Wiege bis zur Bahre, diesmal im 19.-20. Jahrhundert, und zwar parallel in der Oberschicht und bei den ärmeren Leuten: Kinderspiele, Schule, Vereinsleben, Heimarbeit, Hochzeit, Reisen,… Spektakulär sind der große Reisekoffer aus dem Haus Louis Vuitton, der Maurice Pescatore gehört hat, oder das Hochrad, mit dem besser gestellte Bürger in den nach 1867 angelegten Parkanlagen herumfahren konnten. Eine ganze Wand mit Porträts von Stadtbürgern aus allen Schichten veranschaulicht die Vergänglichkeit des Lebens und die Erinnerung an die Toten.

Die dritte Ebene beginnt mit einer Wirtshausnachstellung, in der kopierte Zeitungen (aha, doch kein Original!) neben Fotos von zerstörten Häusern und Bildern von Pierre Blanc die Krisen von 1914-1919 illustrieren, deren demokratischer Ausgang symbolisch von einer Wahlurne verkörpert wird. Zur Ausstellung des Zweiten Weltkriegs wurde in Zusammenarbeit mit Radio 100,7 auf Tondokumente mit Interviews von Zeitzeugen aus dem CNA zurückgegriffen, die der Besucher sich zu den Themen 10. Mai 1940, Okkupation, Kollaboration, Judenverfolgung, Resistenz, Deportation, Liberation, Epuration anhören kann.

Noch schwieriger darzustellen war Luxemburg als Europastadt: Die Ausstellung beschränkt sich auf Plakate und Modelle vom „Grousse Kueb“, der nie gebaut wurde, und den Karlspreis von 1986. Hätte man hier nicht von einer dritten Geburt der Stadt mit der Erschließung des Kirchberg-Plateaus reden müssen? Beim Thema „Luxemburg als Finanzplatz“ werden die Banker-Krawatten aus der ursprünglichen Ausstellung durch schwarze Miniaturmodelle von Klischees ersetzt, die angeblich mit dem Finanzplatz assoziiert werden, während Wandtexte die „richtigen“ Verhältnisse erklären. Ob dieser kleine Raum beim Besucher seinen Sinn entfaltet, darf bezweifelt werden. Originale sind hier nicht ausgestellt. In Anknüpfung an die Ausstellung „Luxemburg – die Luxemburger“ von 2001 hätte man zu diesem Thema den Aufstieg Luxemburgs zum global player auf dem internationalen Finanzparkett erwartet.

Die Stadt im Wandel wird im letzten Großraum behandelt: Statistisches Material zu Bevölkerungsentwicklung, Arbeitsplätzen, Immobilienpreisen, Mobilität, Handel, Kultur wird jeweils mit einem Exponat illustriert. In einem Nebenraum versteckt zeigt die Installation von Patrick Galbats zum Inhalt der Koffer von Obdachlosen aus der Ausstellung über Armut von 2011 die Schattenseite des Luxemburger Wohlstands.

Für die Bürgermeisterin findet sich das Highlight der Ausstellung auf der vierten Ebene, im Erdgeschoss, hinter der Eingangshalle: ein neues Modell der Stadt des 21. Jahrhundert im Maßstab 1:2500, aus dem man einzelne Teile wie ein Puzzle rausnehmen und an die städtebauliche Entwicklung anpassen kann. Die Sektion trägt den Titel „Zukunftsperspektiven“. Kurator Guy Thewes hofft, dass das Modell der Ort von und der Anlass zu Diskussionen über die Stadtplanung werden wird. Im Vorraum darf sich der Besucher eine Rede der Bürgermeisterin zum neuen PAG (Gesamtbebauungsplan) anhören.

Und das Ende der Geschichte?

Es besteht kein Zweifel, dass die von Tido Brussig (München) inszenierte Dauerausstellung eine klare, leicht lesbare, nüchterne Darstellung der Geschichte der Stadt Luxemburg der letzten 1000 Jahre bietet, der Rundgang wurde vereinfacht, die Einführungstexte wurden in einfacher Sprache geschrieben und verarbeiten die jüngsten Forschungsergebnisse, das neue Leitsystem bietet eine bessere Orientierung in den verschachtelten Gebäuden des Museums, die neue Multimedia-Animationen der Stadtmodelle nutzen optimal neueste Technik im Dienst des story telling. Nicht zuletzt machen sich zwanzig Jahre hauseigene Sammeltätigkeit bezahlt; es können, neben einer ganzen Reihe von Leihgaben, viele neue Exponate gezeigt werden, die zum Teil noch nie ausgestellt worden waren und zum Teil eine wissenschaftliche Aufarbeitung verdient hätten (z.B. das Album von André Burnier). In Zukunft soll auch eine App entwickelt werden, die Besuchern, die weder deutsch noch englisch noch französisch lesen, erlaubt, die Erklärungen in einer anderen Sprache zu erhalten; auf dieselbe Art sollen thematische Rundgänge angeboten werden.

Und doch bleibt zumindest beim Fachhistoriker ein gewisses Unbehagen. Allein schon der Titel der Dauerausstellung, mit dem im ganzen Stadtgebiet großflächig geworben wird, The Luxembourg Story, wirft Fragen auf: Gibt es denn nur eine Story, die mit dem bestimmten Artikel bezeichnet werden kann? Wer hat warum diese Story konstruiert? In der ursprünglichen Dauerausstellung von 1996 waren alle Raum- und Sequenztexte signiert: Der Besucher sollte wissen, dass die Darstellung die Sicht eines namentlich genannten Historikers widerspiegelte. Die Subjektivität jeder Ausstellung und damit der Konstruktionscharakter jeder Geschichtsdarstellung sollte bewusstgemacht werden. Davon ist jetzt nichts mehr zu spüren.

Brüche in der Entwicklung, soziale Brennpunkte, politische Kontroversen, Kehrseiten der Stadtgeschichte werden vom Besucher kaum wahrgenommen. Wohl ist eine Holzleiste zum Nähen von Lederhandschuhen ausgestellt, die Kinderarbeit zuhause ermöglichte, doch wer kann diese soziale Plage des 19. Jahrhunderts hinter dem Exponat erkennen? Sicher ist die Übernahme der Obdachlosen-Installation von Patrick Galbats lobenswert und ihr Standort in einem schwer zugänglichen Nebenraum symbolträchtig, doch hätte man nicht weitere Exponate aus der Ausstellung über Hygiene(mängel) in der Stadt übernehmen können?

Die Ausstellung im Stadtmuseum steht in den Augen der kommunalen Autoritäten natürlich im Dienst des City branding. Sie soll in erster Linie Touristen die Geschichte der Stadt nahebringen – vorausgesetzt, sie verstehen das Wort Lëtzebuerg im neuen Namen des Museums – und dazu gehört eine lineare Story ohne Ecken und Kanten. Doch ursprünglich sollte das Museum auch dazu dienen, die Stadtbewohner mit ihrer Geschichte und den Herausforderungen der Jetztzeit zu konfrontieren. Etliche thematische Zeitausstellungen in den Jahren 1997-2010 (über Hexenverfolgungen, über das Verhalten der Luxemburger im Zweiten Weltkrieg, über Armut, über Kunstraub, über Glaubensfragen, …), die meisten von Marie-Paule Jungblut kuratiert, entsprachen sicher dieser aufklärerischen Zielsetzung. „Warnung! Geschichte kann zu Einsichten führen und verursacht Bewusstsein“, steht als Wahlspruch auf der Tür meines Arbeitszimmers. Ob The Luxembourg Story im Geschichtsmuseum der Stadt Luxemburg diesen Anspruch erfüllt, muss sich erst zeigen.

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