- Politik, Wahlen2023
Mir wëlle bleiwe wat mer waren
Gedanken zum Wahlergebnis vom 8. Oktober 2023
Es war fast rührend zu sehen, wie Marie-Josée Jacobs (CSV), Charel Goerens (DP) und Alex Bodry (LSAP), drei Senioren ihrer jeweiligen Partei, auf RTL ihr ehrliches Bedauern über das schlechte Abschneiden der Grünen bei den Landeswahlen am 8. Oktober 2023 ausdrückten. Ganz anders die Stimmung auf den Wahlpartys von CSV und ADR, wo ungehemmte Schadenfreude ausbrach, als der Absturz der Grünen bekannt wurde, der der ADR – trotz Stimmenverlusten im Bezirk – einen Restsitz im Osten bescherte und der CSV auch ohne substanzielle Gewinne den Weg in die Regierung öffnete.
Rückkehr zur traditionellen Parteienlandschaft
Charel Goerens bemerkte bei dieser Gelegenheit, dass die Verluste der Grünen u. a. auch mit ihrem überraschenden Höhenflug von 2018 in Beziehung zu setzen seien, dass das diesjährige Ergebnis also eher als Rückkehr zur Normalität angesehen werden müsse. Insofern wirft der damalige Erfolg mehr Fragen auf als der heutige Niedergang.
Schaut man sich das gesamte Wahlresultat an, so drückt es meines Erachtens die Sehnsucht eines Teils der Luxemburger Wählerschaft nach einer Welt von gestern aus. Man darf nicht vergessen, dass die Wahlberechtigten nur 43,6% der Einwohner des Landes ausmachen, und knapp 38%, wenn man nur die abgegebenen Stimmzettel berücksichtigt. Unter den Wählern bilden alte Menschen, Staatsbeamte mit ihren Familien und Wohnungseigentümer die Mehrheit, während die meisten sozial Benachteiligten gar kein Wahlrecht haben. Diese Wähler wollen keine Experimente mehr, keine Rücksicht auf ethische Überlegungen bei der Zukunftsgestaltung. Allein die individuelle Sicherheit und der finanzielle Komfort zählen. Die Frage der Rentenfinanzierung wurde vorsorglich im Wahlkampf von niemandem aufgeworfen.
In Zeiten multipler Krisen weltweit ist eine konservative Wende bei der Wählerschaft keine Überraschung. Viele Wähler wollen die Komplexität der Weltlage mit ihren nationalen Auswirkungen und die zur Lösung der multiplen Probleme notwendigen Maßnahmen nicht verstehen. Zwar haben sie laut Umfragen sehr wohl verstanden, dass der Klimawandel und die Biodiversitätskrise Gegenmaßnahmen erfordern, doch was die Grünen in dieser Hinsicht vorschlagen, riskiert ihre Lebensweise in Frage zu stellen. Da wählt man dann lieber die Partei des selbsternannten „Klimapremiers“, dessen diesbezügliche Versprechen sehr vage bleiben. Die CSV, deren Spitzenkandidat eine „räsonable“ Klimapolitik versprochen hat, hatte von Seiten der Grünen-Wähler von 2018 kaum Zulauf (vgl. die Rubrik Faktuell). Oder man wählte gar die Klimaleugner vom ADR oder die Piraten mit ihren oft nicht sehr komplexen Wahlversprechen.
Dabei fand eigentlich kein echter Rechtsruck in der Parteienlandschaft statt, selbst wenn man die Stimmen von Fokus und „Liberté“ zu denen von CSV und ADR hinzuzählt. Der Sitzgewinn der ADR ist der eigenartigen luxemburgischen Wahlarithmetik geschuldet. Und sowohl ADR als auch CSV haben im Vergleich zu 2018 weniger als einen Prozentpunkt hinzugewonnen, trotz „neiem Luc“ und Grünen-Bashing. Der Rechtsruck hat vielmehr innerhalb der Parteien stattgefunden: Bei der ADR wird im Zentrum ein Kandidat gewählt, der aus seiner Sympathie für den Nationalsozialismus keinen Hehl macht, und ihr Parteipräsident findet, der Gebrauch solcher Symbole sei ihm „wurscht“. Bei der CSV feiert Luc Frieden ein Comeback und vertritt offensiv eine neoliberale Wirtschaftspolitik, gepaart mit Law-and-Order-Forderungen. Das gleiche gilt für die DP, deren „Klimapremier“ sich den Forderungen der Hauptstadtbürgermeisterin nach einer Lokalpolizei und Schnellverfahren vor Gericht beugt, ohne die traditionelle liberale Wirtschaftspolitik zu vernachlässigen. Wenn man weiß, dass eine derartige Wirtschaftspolitik zu vermehrten sozialen Spannungen führen wird, macht der Rückgriff auf eine härtere Gangart bei der Sicherheitspolitik Sinn.
Für die Zukunftsgestaltung ist diese Entwicklung nicht gut. Die künftige Regierung wird aller Voraussicht nach aus einer großen Anzahl von bisherigen Bürgermeistern bestehen, die sich eher in Kirchturmpolitik auskennen und ihr mangelndes Verständnis für die steigende Komplexität der Probleme selbst auf lokaler Ebene schon offengelegt haben. Auf Regierungsebene bedeutet das, dass der Einfluss von Beratern aus der Finanzwelt umso stärker sein wird. In Sachen Klima- und Biodiversitätspolitik kann man nur hoffen, dass die EU im Rahmen des European Green Deal weiterhin klare Vorschriften beschließt, an deren Umsetzung auch Luxemburg nicht vorbeikommen wird. Dann wird es CSV und DP mit ihrer starken Mehrheit im Parlament wohl leichter gelingen, genau die Verbote zu erlassen, die der Wähler den Grünen unterstellt hat, obschon diese in den zehn Jahren ihrer Regierungsbeteiligung nur ein Verbot durchgesetzt haben: gegen die Fuchsjagd. Das Verbot von Glyphosat erließ der LSAP-Agrarminister.
Alle anderen Maßnahmen wie etwa das geplante Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 beruhen auf EU-Entscheidungen, was das ADR-Versprechen, dieses Verbot „der Grünen“ zu kippen, als Lüge und leeres Versprechen entlarvt. Was die versprochenen Steuersenkungen anbelangt, wird sich deren demagogischer Charakter wohl in naher Zukunft offenbaren.
Zur Stärkung der konservativen Parteien trugen auch die Neuwähler bei: Ihre Stimmen gingen zu 22% an die CSV, 17% an die ADR, 16% an die DP, 14% an die Piraten, aber nur zu 2% an die Grünen (vgl. Rubrik Faktuell). Jungwähler und neu eingebürgerte Luxemburger gaben eher Listenstimmen ab (64% der abgegebenen Stimmen, seit 2009 mit steigender Tendenz) oder wählten bekannte Gesichter. Gerade im Milieu der Expats aus dem Finanzsektor ist die Vorliebe für eine liberale Wirtschaftspolitik nachzuvollziehen. Die späte Verteilung von programmatischen Wahlbroschüren neben Flugblättern, die nur Passbilder der Kandidaten zeigten, tat ihr Übriges.
Der Absturz der Grünen
In den Wochen nach den Wahlen wurde schon viel über die Ursachen für die spektakulären Verluste der Grünen geschrieben, sowohl in der Tages- und Wochenpresse, als auch von Seiten von Parteimitgliedern in den (un)sozialen Medien. Zwei häufig genannte Gründe sind u. E. falsch: Das Bashing, dem sich die Grünen seit Monaten von Seiten der ADR, der CSV und gewisser LW-Journalistinnen ausgesetzt sahen, die keinen Moment zögerten, Fake news zu verbreiten, hatte sicher nur eine ganz begrenzte Wirkung. Allenfalls einige Wechselwähler, die 2018 erstmals grün gewählt hatten, dürften von dieser Anti-Grünen-Propaganda beeindruckt worden sein. Auch die ADR war einem Bashing ausgesetzt – in diesem Fall mit beweisbaren Informationen zu ihrer Nähe zum Rechtsextremismus – und hat darunter offenbar nicht gelitten. Zum anderen darf daran gezweifelt werden, dass Stammwähler der Grünen die Partei im Stich ließen, weil ihre Ministerriege die urgrünen Ideale aus Koalitionsräson verraten habe.
Dann würde sich nämlich die Frage stellen, wohin denn diese Wähler abgewandert sind. Die Analyse der Wählerwanderungen zeigt, dass die meisten (34%) zur DP gingen: Das waren eher bürgerliche Wechselwähler. Es dürfte höchstens ein Teil der knapp 10% Grünen-Wähler von 2018 sein, die zu „anderen Parteien“ abwanderten und von denen wohl vor allem die Partei der Impfgegner, „Liberté“, am meisten auffing, und die man als ehemalige grüne Stammwähler bezeichnen kann. Oder sie gehören zu den 19,3% Wahlberechtigten, die nicht zur Urne gingen oder einen ungültigen Wahlzettel abgaben. Déi Lénk haben jedenfalls keine Wähler von den Grünen angezogen, im Gegenteil, obschon ihr Programm die Öko- und die Sozialfrage wohl besser miteinander verknüpft hat als jenes der Grünen.
Bedeutender scheinen uns andere Erklärungen. An erster Stelle steht die oben skizzierte multikrisenbedingte Rückkehr zur typisch luxemburgischen, konservativen Geisteshaltung. Doch es gibt wohl auch etliche parteiinterne Fehler, die zum Verständnis des Ergebnisses beitragen. So haben die Grünen es nicht fertiggebracht, die zugegeben komplexe Lage auch für nicht akademisch gebildete Wähler einfach zu erklären. Wer von einer CO2-Steuer spricht und sozial benachteiligten Schichten eine „soziale Kompensation“ verspricht, hat die Sprache dieser Menschen nicht getroffen. Familien, für die jeder Euro im Portemonnaie zählt, muss man ganz konkret erklären, dass wenn sie xx Euro verdienen, ihnen yy Euro zurückerstattet werden, sogar wenn sie weniger als yy Euro CO2-Steuer bezahlt haben. „Biodiversität“ bleibt selbst für viele Landbewohner ein abstrakter, unverständlicher Begriff, solange man nicht sagt, dass sich dahinter u. a. das Aussterben der Schmetterlinge und Bienen verbirgt. Und auch „ökologische Transition“ ist für die wenigsten Wähler ein geläufiger Begriff, der ihr Leben direkt berühren würde.
Wer von einer CO2-Steuer spricht und sozial benachteiligten Schichten eine „soziale Kompensation“ verspricht, hat die Sprache dieser Menschen nicht getroffen.
Dank ihres Wahlerfolgs konnten die Grünen 2018 mehrere Ministerien übernehmen, für die sie eigentlich keine spezifische Kompetenz mitbrachten (Wohnungsbau, öffentliche Sicherheit). Der reale oder unterstellte Misserfolg in diesen Bereichen ließ denn auch nicht auf sich warten. Andererseits hatten sie kein Ministerium übernommen, in dem sie sich während der Covid-Krise hätten profilieren können, wie Paulette Lenert, Xavier Bettel oder Lex Delles es taten. Die LSAP-Spitzenkandidatin sah allerdings auch nur mäßigen Wahlerfolg, während die typisch grünen Themen wie Klima- und Biodiversitätskrise aus dem öffentlichen Diskurs verschwanden. Hinzu kommt, dass der Staatsrat wichtige Gesetzesvorhaben von grünen Ministern offenbar auf die lange Bank schob, etwa jene zum Jugendschutz und -strafrecht oder zur Wohnungspolitik. Einmal mehr zeigte der Staatsrat mit dieser Hinhaltetaktik, dass er sehr wohl Politik macht und sich keineswegs so neutral verhält, wie er immer wieder von sich behauptet.
Nicht zu unterschätzen sind auch etliche Personalia. Dazu gehört sicher die recht schmale Personaldecke der Partei. Einige Mandatsträger, so z. B. die Minister Kox und Turmes, sind schlechte Redner, die ihre Themen nur ungenügend vermitteln konnten, obschon Turmes’ Energiesparprogramm großen Erfolg hatte. Er hatte zudem den Nachteil, dass er nach seinem Mandat im Europäischen Parlament nie wirklich in der nationalen Politik, und schon gar nicht in seinem Wahlbezirk Norden, ankam. Carole Dieschbourg stolperte über Traversini, Valorlux und ihre engsten Mitarbeiter, die Welfring denn auch kaltstellte.
Nicht zuletzt muss François Bausch die Verantwortung für das Desaster tragen. Bei allem Respekt für die beiden Co-Präsident:innen ist er doch der eigentliche Drahtzieher bei Déi Gréng. Er ließ Felix Braz vorschnell absetzen, schützte Carole Dieschbourg nicht, und ließ Claude Turmes abblitzen mit dessen Vorschlag, nur noch E-Autos als Firmenwagen zu subventionieren. Sam Tanson setzte er als Spitzenkandidatin durch, kontrollierte die Listenaufstellung, und kam erst zwei Monate vor der Wahl mit einer Lösung für die Umgehungsstraße von Niederkerschen. Und macht jetzt der emsigen Djuna Bernard keinen Platz im Parlament. Diese Eingriffe geschahen zwar außerhalb des Gesichtsfelds der meisten Wähler, aber die Motivation der auf innerparteiliche Demokratie drängenden Parteibasis dürften sie kaum beflügelt haben.
Die Zukunft vorbereiten
„Fir d’Zukunft mussen déi gréng decidéieren, ob se nach eng Kéier probéiere wëllen, a wéi enger Form och ëmmer, eng méi breet opgestallte gréng „Vollekspartei“ ze ginn, wou se bis 2018 op engem gudde Wee waren, an dann aus de Feeler vun de leschte Joren léieren, oder ob se zréck zur idealistescher Virreiderpartei wëlle goen, déi fir eis Gesellschaft deelweis onangeneem awer och liewenswichteg kéint sinn. Béides zugläich ass a mengen Aen net méiglech (…).“ Das schreibt Manuel Huss am 17. Oktober 2023 auf Facebook. Er war Mitarbeiter der grünen Parlamentsfraktion. Und in der Tat ist das die Entscheidung, vor der die Partei steht. Ihr gesellschaftlicher Auftrag war lange Zeit eher der, die Dringlichkeit der ökologischen Frage mit all ihren Facetten ins politische Gewissen zu rufen. Das gelingt nicht über den Weg einer Volkspartei. Dazu wird sie aber in der Opposition sicher viele, sehr viele Gelegenheiten haben. Und Déi Lénk ebenso.
Unser in forum Nr. 433/September 2023 veröffentlichter Aufruf zu einem „cordon sanitaire“ der Medien gegenüber der ADR, deren nazifreundlicher Sprecher nunmehr Abgeordnetenstatus genießt, erhält ebenfalls zusätzliche Dringlichkeit. Wenn die Partei nunmehr von der Kammertribüne aus zu bester Fernsehzeit ihre immer engere Freundschaft zu Rechtsradikalen à la AfD, Fratelli d’Italia, PiS, Schwedendemokraten, Vox u. ä. verkündet und für individuelle Selbstverteidigung mit der Schusswaffe werben darf, dann wächst sicher die Gefahr, dass noch mehr Wähler, darunter erschreckend viele Jugendliche, die offenbar nicht wissen, wie die Nazis auf demokratischem Weg an die Macht kamen1, auf ihre Lügen und falschen Versprechen hereinfallen.
Auch die ebenfalls im vorigen forum-Heft beschriebenen Aufgaben, vor denen die nächste Regierung steht, sind alle noch zu bewältigen. Umso stärker werden Bürgerinitiativen wie das Aktionsbündnis One Planet gefordert sein. Und umso wichtiger wäre auch die Fortführung und Verstetigung der unter der Dreierkoalition eingeführten Bürgerforen, an denen auch Ausländer und Grenzgänger sich beteiligen durften. Der zukünftige Premier Luc Frieden gab im Wahlkampf zu, dass er die Klimareports der UNO nicht gelesen habe. Hoffentlich liest er den Bericht, den das nationale Observatorium für Klimapolitik (OPC) ihm nach den Wahlen zukommen ließ. Dort heißt es in aller Deutlichkeit: „Ohne transformative Klimamaßnahmen in dieser Legislaturperiode wird Luxemburg die nationalen Ziele des Klimagesetzes 2020 und die EU-Ziele für 2030 und 2050 nicht erreichen.“ Und das OPC verlangt, ganz besonders die von CSV und DP so umworbene Finanzindustrie in die Pflicht zu nehmen. Es darf nicht bei netten Gesprächen mit der Caritas, dem Rotem Kreuz, dem Nachhaltigkeitsrat und dem Mouvement écologique bleiben.
1 Das scheint auch die LW-Journalistin Ines Kurschat nicht zu wissen, die am 18.8.2023 auf Facebook gegen den forum-Vorschlag eines „cordon sanitaire“ mit den Worten Position bezog: „Et kann en vun der ADR hale wat e well an och vu gewëss Gestalten bei hinen. Awer d‘Partei ass demokratesch gewielt… Ech géif wierklech recommandéiere sech mol genau ze iwwerleen wat derzäit gesot gett a wat Fuerderungen vun sou enger Zensur fir eng Demokratie géif bedeiten.“ Die NSDAP war ab März 1932 mit 230 Abgeordneten stärkste Partei im deutschen Reichstag. Sollte deswegen niemand gegen sie aufstehen?
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