Mit seiner die eigene Unbedarftheit und Mediengeilheit entlarvenden Frage an die Kulturministerin, wieso denn Luxemburg eine koloniale Vergangenheit habe, wo es doch nie Kolonien verwaltet habe, bestätigte der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser schon vor der Eröffnung der Ausstellung „Le passé colonial du Luxembourg“, die vom 7. April bis 6. November 2022 im Landesmuseum (Musée national d’histoire et d’art, MNHA) gezeigt wird, die Tatsache, dass Ausstellungen wie Museen sich politischen Aussagen nicht entziehen können. Viele dürften sich noch an die spektakulären Ausstellungen erinnern, die Marie-Paule Jungblut in den 2000er Jahren im Stadtmuseum (Musée d’histoire de la Ville de Luxembourg, heute Lëtzebuerg City Museum, LCM) inszeniert hat und die regelmäßig für öffentliche Kontroversen sorgten. In „Incubi – Succubi“ (2000) thematisierte sie Hexenverfolgungen in Vergangenheit und Gegenwart und widmete eine Sektion der Hexenjagd auf Ministerin Madeleine Frieden-Kinnen. „Luxembourg. Les Luxembourgeois. Consensus et passions bridées“ (2001) zeigte mit dem Finger auf etliche Tabus in der Luxemburger Gesellschaft. „Et wor alles net esou einfach …“ (2002) wies erstmals in der Luxemburger Geschichtsschreibung öffentlich darauf hin, dass es zur Zeit der Naziherrschaft neben der Resistenz auch Mitläufer und Kollaborateure in Luxemburg gab; die Kuratorin wurde deswegen sogar in der Großgasse angespuckt. In der Folgeausstellung „Le grand pillage“ (2005) ging es um die Mittäterschaft Luxemburger Behörden am Raub jüdischen Eigentums, das nach dem Krieg nie zurückerstattet worden war. „Achtung, Zigeuner!“ (2007) fragte nach der Haltung der Luxemburger Gesellschaft zu den Sinti und Roma, die immer noch des Landes verwiesen werden. In „Mord und Totschlag“ (2009/10) wurden Kriminalaffären ans Licht gebracht, die längst unter den Teppich gekehrt worden waren. „Armes Luxemburg“ (2011/12) machte offenkundig, dass es im reichen Luxemburg noch viel Armut gibt. Erst seitdem wird öffentlich über die stetig steigende Quote der Einwohner des Landes gesprochen, die dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Viele dieser Ausstellungen wurden in dieser Zeitschrift durchaus kritisch begleitet, insbesondere, weil man ihnen eine gewisse Kopflastigkeit nicht absprechen konnte. Man darf gespannt sein, wie kritisch M.-P. Jungblut die Geschichte der Chamber im Nationalarchiv inszenieren wird, wurde sie doch jüngst für 2023 mit einer Ausstellung zum 175-jährigen Bestehen des Luxemburger Parlaments beauftragt. Die von ihr kuratierte aktuelle Ausstellung über Working Class Heroes in Tetingen ist etwas dürftig ausgefallen und vergisst die vielen anonymen Helden der Arbeit.
Politische, unpolitische und wissenschaftliche Fragestellungen
Die genannten Beispiele zeigen, dass Museen zweifellos ein Raum der gesellschaftlichen, also politischen Debatte sind.1 Ausstellungskuratoren tragen Informationen zusammen, damit die Besucher sich ein Bild über historische Fragen machen und Stellung beziehen können. Das gilt umgekehrt auch für Ausstellungen, die bewusst die politische Relevanz eines Themas ausblenden. „Ons Schueberfouer“ (2019/20) im Stadtmuseum lenkte mit ihrem Thema von aktuellen Diskussionen ab. Bei „Gleef dat net …!“ (2021/22), die ungewollt einen wichtigen Beitrag zu den mit dem Ausbruch der Covid-Pandemie grassierenden Verschwörungstheorien leistete, indem sie deren Aufkommen erklärte, wurde der Museumsleitung von der Bürgermeisterin verboten, den Bezug zur Luxemburger Aktualität in Sachen Bommeleeër herzustellen. Das war nicht unpolitisch.
Im Gegensatz zum Stadtmuseum gingen die Ausstellungen im Landesmuseum eher von wissenschaftlichen Fragen aus. Dank der 2007 organisierten Ausstellung über Graf Peter Ernst von Mansfeld, Gouverneur von Luxemburg (1545-1604), wurde z. B. die archäologische und historiografische Forschung zu Mansfeld und seinem Schloss La Fontaine in Clausen erst richtig angestoßen. Seither hat die Forschung riesige Fortschritte gemacht, und es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht eine Publikation zum Thema erscheint. Dasselbe könnte man über die Ausstellungen zur Luxemburger Beteiligung an Weltausstellungen (2010) oder über den Kalten Krieg (2016/17) sagen: Themen, die bis dahin in der hiesigen Geschichtsschreibung kaum eine Rolle gespielt hatten. Zur Luxemburger Beteiligung an der globalen Kolonialgeschichte gab es immerhin schon ein paar Forschungsarbeiten2, bevor die jetzige Ausstellung im Landesmuseum konzipiert wurde.
Diese eher bewusst unpolitische Herangehensweise des MNHA scheint sich zu ändern. Die Ausstellung „#wielewatmirsinn – 100 Joer allgemengt Wahlrecht zu Lëtzebuerg“ (2019/20) war zwar informativ ausgerichtet und griff Kontroversen um das Wahlrecht vornehmlich fürs 19. und frühe 20. Jahrhundert auf, stellte aber auch die Frage, wie allgemein das Wahlrecht heute denn sei. In der aktuellen Ausstellung über Luxemburgs Beitrag zum Kolonialismus wird die Verstrickung von Luxemburger Politikern, Wirtschaftsmanagern, Forschern und Missionaren, sogar von etlichen Mitgliedern des Herrscherhauses mit Namen benannt. Selbst die aktuelle Ausstellung der Kunstabteilung des MNHA ist ein als solcher reklamierter politischer Akt: Ein Jahr früher als geplant wurde Maxim Kantor gebeten, 60 rezente Werke auszustellen, als klares Statement gegen den russischen Überfall auf die Ukraine.
Artige Themen
Mit dem Weggang von Marie-Paule Jungblut wandte sich das Lëtzebuerg City Museum von gesellschaftspolitischen Themen ab und konzentrierte sich stärker auf die Stadtgeschichte und artigere Themen: Die Geschichte des Roten Kreuzes (2014/15), das Stadtviertel Pfaffenthal (2015/16), die Schobermesse (2019/20), das Vereinsleben (2022/23). Inwiefern diese Neuausrichtung von oben gewollt war und ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Bekannt wurde nur der schon erwähnte Eingriff bezüglich der Bommeleeër-Affäre. Auch die Dauerausstellung ist zahmer geworden. Waren in der ersten, 1996 eröffneten Ausstellung zur Geschichte der Stadt Luxemburg alle Texttafeln mit Autorennamen signiert, um dem Besucher zu vermitteln, dass auch historische Aussagen zeit- und personenbedingt sein können, so lautet der Titel der aktuellen stadthistorischen Ausstellung in den drei Untergeschossen „The Luxembourg Story“, als gebe es nur eine Stadtgeschichte, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen darf. In seinem Beitrag zur internationalen Tagung Narratives in History Museums, die 2021 im LCM stattfand, schreibt Guy Thewes, Direktor des Museums, ausdrücklich: „The story, i.e. the history of the city, is told. The visitor no longer constructs his or her interpretation of history. It is the museum which provides a narrative, a story.“ Er freut sich über den damit ausgelösten Besuchererfolg bei Touristen, muss aber ein paar Zeilen weiter zugeben: „Unfortunately, success came at the cost of complexity. Historical discourse had to be simplified in order to be attractive.“3 Im Gespräch mit mir meinte er, die Neuausrichtung des Museums auf die reine Stadtgeschichte sei, im Vergleich zu Jungbluts Ausstellungen, die metaluxemburgische Fragen berührten und europaweit Interesse erregten, auch darauf zurückzuführen, dass das Stadtmuseum früher keine eigenen Sammlungen hatte, die stadthistorische Ausstellungen über die Dauerausstellung hinaus erlaubt hätten. Doch die Zeitausstellungen sind auch in den letzten Jahren zum Teil noch auswärts eingekaufte Inszenierungen. Die Ausstellung über Verschwörungstheorien etwa war 2019 vom Museum Kloster Dalheim in Nordrhein-Westfalen konzipiert worden4, wie 2004 die Ausstellung „,Sei sauber!‘. Eine Geschichte der Hygiene und öffentlichen Gesundheitsvorsorge in Europa“ war in Zusammenarbeit mit der Deutschen Arbeiterschutzausstellung (DASA) in Dortmund entstanden.
„Komm, mir grënnen e Veräin!“
Diese Kritik bedeutet nicht, dass die aktuelle Ausstellung „Komm, mir grënnen e Veräin!“ im LCM (23. März 2022 – 15. Januar 2023) uninteressant sei. Im Gegenteil. Das Vereinsleben hat schon lange eine historiographische Auseinandersetzung verdient. Als ich 2002 gebeten wurde, die European Values Study für Luxemburg aus der Warte des Historikers zu kommentieren5, stellte ich erstaunt fest: „[…] j’ai été frappé par l’importance que revête selon l’étude EVS menée au Luxembourg, la vie associative dans notre société. […] les études de fonds sur le rôle de ces associations culturelles, sportives, humanitaires, de bienfaisance etc. restent extrêmement rares alors que selon la REV il s’agirait d’une caractéristique essentielle de la société luxembourgeoise!“ Diese Lücke schließt nun zum Teil das Stadtmuseum, das in der Ausstellung die Fähnchen von nicht weniger als 196 Sportvereinen aus der Hauptstadt aufgehängt hat. Daneben werden natürlich auch andere Vereinigungen von den Freimaurern bis zur Action catholique familiale, von den Jünglingsvereinen der Redemptoristen bis zum Einäscherungsverein und zur Amiperas, vom Gesangverein und freiwilligen Feuerwehren bis zu den Pfeifenrauchern und Briefmarkensammlern gewürdigt. Ausgestellt sind auch Vereinsbroschüren, die zum 25., 50., 75., 100., … Gründungsjubiläum erschienen sind und selbst für Profihistoriker oft wertvolle Informationen nicht nur über die Geschichte des Vereins, sondern auch des Stadtviertels bieten. Die jüngste, die 2025 aus Anlass des 110. Jubiläums des FC Avenir Beggen erscheinen wird, liegt als Manuskript in der Vitrine! Sie gehören zur sogenannten grauen Literatur, die bei lokalgeschichtlichen Studien auf keinen Fall übergangen werden darf, auch wenn sie sich oft wiederholen. Damit greift das Stadtmuseum heute eine wissenschaftliche Zielsetzung auf, die früher dem Landesmuseum eigen war. Die gesellschaftliche Bedeutung des Vereinswesens geht aus den sehr unterschiedlichen Gründungs- oder Beitrittsmotiven hervor: Helfen wollen, etwas lernen, Geselligkeit pflegen, Anerkennung erhoffen, Verantwortung übernehmen, sich selbst verwirklichen, … Ein Großteil der Exponate kam durch einen öffentlichen Aufruf zustande: „Bréng Däin Déngen!“ ins Museum. Diese partizipative Herangehensweise, die seit wenigen Jahren international die Museumsgestalter fasziniert – ein schönes Beispiel ist das Historische Museum Frankfurt –, wird im Herbst noch verstärkt, indem jeden Monat ein anderer Verein einen noch leeren Raum bespielen darf. Als erste sind die italienischen Auswanderervereine dran.
„Le passé colonial du Luxembourg“
Auch in der Kolonialausstellung fehlt die partizipative Dimension nicht. Einerseits beteiligte das Landesmuseum mehrere einschlägig ausgewiesene Vereinigungen der Zivilgesellschaft an den Vorbereitungen, und man kann sich Interviews mit acht in Luxemburg lebenden Personen anhören, von denen zwei sich zum Thema portugiesischer Kolonialkrieg bzw. Rassismus in Luxemburg äußern. Andererseits werden die Besucher am Schluss gebeten, auf einer Pinnwand anzugeben, ob die Luxemburger Regierung sich für die koloniale Vergangenheit Luxemburgs entschuldigen solle oder nicht. Mit dieser Frage bleiben die Verantwortlichen allerdings hinter der politischen Brisanz des Ausstellungsthemas zurück. Denn die postkoloniale Ausbeutung der ehemaligen Kolonien geht doch heute im Zeitalter der Globalisierung unvermindert weiter. Und daran ist Luxemburg eher stärker beteiligt als zur Zeit des Kolonialismus im engeren Sinn des Wortes. Statt sich für vergangene Fehler zu entschuldigen, müsste die Regierung ihre Politik auf Wahrung der Menschenrechte auch in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen ausrichten. Zurecht betitelt Thierry Hick seine Ausstellungskritik im Luxemburger Wort (13.4.2022) mit „Une ambiguïté persistante“. Die Ausstellung ist politischer als ihre Initiatoren vielleicht denken. Der Spiegel, den die Ausstellung der Luxemburger Gesellschaft entgegenhält, zeigt in Sachen Verachtung der Ureinwohner bzw. Überheblichkeit des weißen Mannes eine Fratze, die der des Antisemitismus einer bestimmten Epoche nicht unähnlich ist. Von „Black lives matter“ war man vormals auch in Luxemburg weit entfernt. Und das darf man sagen, obschon die Ausstellung durchaus nuanciert darstellt und auch „à décharge“ argumentiert. Die Obermosel-Zeitung protestierte z. B. schon 1895 gegen die Gräueltaten in den Kolonien.
Abgesehen davon, dass das Belgische Kongo vielleicht einen etwas zu breiten Platz in der Ausstellung einnimmt und die Luxemburger Präsenz in anderen Kolonien der Welt etwas zu kurz kommt, hätte m. E. ein anderer Aspekt vertieft werden müssen: Mit einer kolonialen Vergangenheit sind nicht nur die rund 52 % Einwohner konfrontiert, die einen Luxemburger Pass haben, sondern auch die 15 % Portugiesen, die 8 % Franzosen, die 4 % Italiener oder die 3 % Belgier, die unter uns leben, ganz zu schweigen von den Luxemburger Staatsangehörigen, deren Eltern oder Großeltern noch Portugiesen oder Kapverdianer waren. Das Thema gäbe ein schönes Beispiel ab für entangled history oder histoire croisée: Die Geschichte des Kolonialismus berührt verschiedene Einwohnergruppen dieses Landes auf unterschiedliche Weise, verbindet sie aber auch in einer gemeinsamen Vergangenheit. Portugiesen und Franzosen, um nur sie zu nennen, müssten nicht mehr den Eindruck gewinnen, dass die Luxemburger Geschichte mit der ihres Herkunftslandes nichts zu tun hat. Insofern hätte z. B. die Kolonialgeschichte Angolas, der Kapverdischen Inseln oder Algeriens neben dem Kongo breiter ausgeführt werden können. Immerhin kamen in den 1960er und 1970er Jahren eine ganze Reihe junger Portugiesen nach Luxemburg, weil sie aus der Armee desertierten, die in Angola und Mosambik gegen die Unabhängigkeitsbewegungen vorging. Sie wurden in Luxemburg vom portugiesischen Geheimdienst PIDE überwacht, erhielten aber damals vom Luxemburger Staat anstandslos Aufenthaltsgenehmigungen.
Fazit: Die beiden aktuellen Ausstellungen sind unbedingt einen Besuch wert und fordern zum Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung auf. Insofern zeigt der Paradigmenwechsel, den man Marie-Paule Jungblut zugute schreiben muss, Nachwirkung. Die Museen in der Stadt Luxemburg sind keine Kuriositätenkabinette mehr, wie etwa noch das Museum im Kirschgarten in Basel, sondern erfüllen ihre gesellschaftspolitische Aufgabe. Besonders erfreulich ist dabei – und das sah man sowohl bei der Vernissage als mittlerweile auch im Goldenen Buch –, dass die Kolonialismus-Ausstellung auffallend viele Besucher anzieht, die nicht altluxemburgischer Abstammung sind. Das muss die Vereinsausstellung auch noch schaffen.
- Vgl. Marie-Paule Jungblut, Heimatfabrik Lokalmuseum. Eine Untersuchung im Raum Wallonien und Luxemburg, Esch-sur-Alzette, Melusina Press, 2020 (zugl. Diss. Universität Trier, 2019), https://doi.org/10.26298/hdsx-b121: § 127 und 133.
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Siehe – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Publikationen von Thomas Kolnberger, Pierre Marson, Regis Moes, Marc Thiel, Claude Wey, Frank Wilhelm u. a.; vgl. auch das Dossier in forum 208 (Mai 2001): Une histoire peu connue: Luxembourg-Congo.
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Guy Thewes, „Urban History in the Lëtzebuerg City Museum: Changes and Continuity“, in: Narratives in History Museums – Reflections and Perspectives. Proceedings of the XIVth Annual Meeting of the International Association of Museums of History, Luxembourg, 8-9 July 2021, hg. v. Gaby Sonnabend / Guy Thewes, Luxembourg, 2022, S. 34-44, Zitate S. 43.
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Verschwörungstheorien früher und heute. Katalog zur Sonderausstellung der Stiftung Kloster Dalheim, 2019, 20212.
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Michel Pauly, „L’histoire des valeurs – les valeurs et l’histoire“, in: Michel Legrand (Hg.), Les valeurs au Luxembourg. Portrait d’une société au tournant du 3e millénaire, Luxemburg, Ed. Saint-Paul, 2002, S. 781-787, Zitat S. 783.
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