Muslime waschen sich vor dem Gebet, Juden vor dem Essen, Hindus im Ganges. Warum waschen sich Christen nicht rituell? Sind sie wasserscheu?
Wasser ist zum Waschen da
In vielen Religionen übernimmt Wasser dieselbe Funktion, die es auch im Haushalt hat: Man benutzt es zur Reinigung. Es geht natürlich nicht nur um die äußere Reinigung, sondern es ist ein Zeichen, das uns darauf aufmerksam macht, dass wir uns auch innerlich waschen müssen, um quasi von innen rein zu werden. Der äußere Akt regt sozusagen die innere Reinigung an.
Tatsächlich gibt es in den unterschiedlichen Weltreligionen Riten, die mit Wasser in Zusammenhang stehen. Im Islam etwa vollzieht der Muslim die rituelle Gebetswaschung, bevor er die Moschee zum Gebet betritt; so gut wie jede jüdische Gemeinde besitzt eine Mikwe, ein Ritualbad mit fließendem reinem Wasser; Hindus nehmen ein rituelles Bad im Ganges. Im Hinduismus ist das Wasser zudem das einzige Element, das als „unsterblich“ angesehen wird. Im Christentum scheint es eine solche rituelle Waschhandlung nicht zu geben.
Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass auch bei den Christen eine rituelle Waschung bzw. Reinigung im Vollzug des Sakramentes der Taufe vollzogen wird. Mit der Taufe wird der Mensch in die Christengemeinschaft aufgenommen. Dabei ist die Taufe gleichzeitig Wandlung und Neuwerdung des Menschen, denn der Täufling bekennt sich mit diesem Akt als zur Gemeinschaft Jesu gehörig. Gleichzeitig symbolisiert die Taufe die Gnade Gottes, die Sünden zu vergeben und einen Neubeginn zu ermöglichen. Die Taufe als Reinigungsritual wird einmalig durchgeführt und wird nicht – wie andere Rituale in anderen Religionen – regelmäßig wiederholt.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich das Ritual der Taufe verändert. Früher, bei der sogenannten Immersion, wurde der Täufling komplett untergetaucht. Dieses Untertauchen findet sich heute beispielsweise noch bei den Baptisten wieder. Der „alte“ Mensch stirbt durch das Untertauchen und taucht gereinigt, befreit von seinen Sünden wieder auf. Er kann nun ein neues Leben im Glauben an Christus beginnen. Eine Reminiszenz an dieses Taufritual ist auch die kleine Geste im Eingang der Kirche, wenn der Gläubige sich mit Weihwasser aus dem Becken bekreuzigt.
Diese reinigende Kraft, die dem Wasser symbolisch zugesprochen wird, findet sich auch bei Menschen, die gesegnetes Wasser von Heilquellen mitbringen, wie beispielweise aus Lourdes. Auch außerhalb des Christentums besteht die Vorstellung von Wasser als Träger von heiligen, heilenden und vitalisierenden Kräften. So wird das Wasser aus dem Ganges in Kupferkrügen an die Gläubigen verkauft, und von pilgernden Muslimen wird Wasser aus der heiligen Quelle Zamzam in Mekka, der Heilkraft zugeschrieben wird, geschöpft, um es Verwandten und Freunden mitzubringen.
Auch in der Eucharistie im Rahmen des katholischen Gottesdienstes spielt Wasser eine zentrale Rolle. Bevor der Priester die rituellen Handlungen vollzieht, reinigt er seine Hände mit Wasser. Hier geht es tatsächlich um die symbolische Reinigung von Sünden, ehe das Messopfer dargebracht wird. Kurz danach vermischt der Zelebrant den Wein im Kelch mit einer kleinen Menge Wasser. Zum einen hat dies historische Gründe: Der Wein der Antike war nicht, wie man ihn heute kennt. Er war eher likörartig und relativ dickflüssig und wurde erst durch das Hinzugeben von Wasser trinkbar. Heute wird bei der Vorbereitung des Kelches ein Gebet gesprochen. Das Wasser steht dabei für das Menschliche, das Vergängliche, das sich mit der Gottheit Christi – dem Wein – vermischt.
Biblisches Wasser
In der Genesis heißt es: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ (Gen 1,1-2) Herrscht hier, ganz am Anfang der Bibel, noch das Chaos, in das Gott in den nächsten sieben Tagen Ordnung bringt, so liest man ganz zum Schluss: „Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall.“ (Offb 22, 1) Einer der letzten Sätze an gleicher Stelle besagt: „Wer durstig ist, der komme! Wer will, empfange unentgeltlich das Wasser des Lebens!“ (Offb 22, 17). So steht das Wasser am Beginn der Bibelerzählungen und ganz am Ende. Die Bedeutung von Wasser in der Bibel kann also nicht überschätzt werden.
Die Bibel verweist mehrfach auf die zerstörerische Macht des Wassers. Man denke nur an die Sintflut oder an das Rote Meer, das die ägyptischen Verfolger des Volkes Israel verschlingt, nachdem Mose es trockenen Fußes durch die geteilten Fluten geführt hat.
Die bedrohliche Seite des Wassers zeigt sich für den biblischen Menschen auch an anderer Stelle: Das unergründliche Meer galt als lebensbedrohliche Macht (Jes 17), als Ursprung des Bösen (Ps 104) und als das Ungeheuer (Jes 27: Drache) schlechthin. Das Meer ist Sinnbild des Totenreiches (Ez 26) und wird in der kommenden Welt nicht mehr existieren (Offb 21). Das Meer wird für Jona zumindest vorübergehend zum Grab (Jona 2,6f). Auch im Neuen Testament findet sich in der Geschichte der Sturmstillung (Mk 4,35ff) ein Hinweis auf die bedrohliche Seite des Wassers und gleichzeitig ein Hinweis auf denjenigen, der das Chaos beherrschen kann.
Das Sinnbild des Brunnens
Eine besondere Rolle spielen in den Bibeltexten die Brunnen. Sie sind Treffpunkte, Sammelplätze für Viehherden und auch Symbole für Tiefergehendes.
In den Regionen, die Schauplatz der biblischen Geschichten sind, herrscht oftmals Trockenheit. Da im trockenen Nahen Osten Wasser ein hohes Gut ist, kam es vielfach zum Streit um Brunnen. Wie zum Beispiel in Gen 26,15, wo die Philister alle Brunnen zuschütten, weil sie Isaak seinen Wohlstand neiden. Isaak zieht weiter und seine Knechte graben neue Brunnen.
Im Buch der Sprichwörter findet sich eine Sammlung von Erfahrungen und Ratschlägen, wie man ein gottgefälliges Leben führen kann. Hier wird die Klugheit als ein Brunnen dargestellt, aus dem das Leben sprudelt. Auch der „Mund des Gerechten“ sei einem Brunnen vergleichbar, weil aus ihm lebensdienliche Worte strömen. (Spr 10,11)
Der Brunnen steht aber auch als romantische Kulisse für ergreifende Liebesszenen. Auf einer Reise zu seinem Onkel Laban, der im fernen Mesopotamien lebt, ruht Stammvater Jakob an einem Brunnen aus. In der Ferne sieht er eine Schafhirtin herankommen, es ist Rahel, eine Hirtin. Sie ist „schön von Gestalt und hatte ein schönes Gesicht.“ Jakob wälzt den Stein vom Brunnenloch, damit ihre Tiere trinken können. Dann küsst er sie und beginnt zu weinen. Es sind Freudentränen, denn Rahel ist seine Cousine, die er später, nach einigem Hin und Her, heiratet. (Gen 29,9 ff)
Der Brunnen dient auch als Synonym für die Gebärmutter der Frau. Jesaja beschreibt ihn recht martialisch als „Felsen, aus dem ihr gehauen seid, / (auf) den Schacht, aus dem ihr herausgebohrt wurdet (Jes 51,1).
Eine der bekannteren Stellen, in denen ein Brunnen als Quelle eine Rolle spielt, ist die Szene am Jakobsbrunnen. Jesus ruht sich in der Stadt Sychar am Brunnen aus, als er eine einheimische Frau um Wasser bittet. Jesus macht ihr klar, dass das Wasser des Brunnens den Durst nur kurzzeitig stillen kann, er ihr aber „lebendiges Wasser“ geben kann und sie dann niemals mehr Durst haben wird. Als „lebendiges Wasser“ wird auch das Quellwasser bezeichnet, das es im Gegensatz zu dem üblicherweise zur Verfügung stehenden Zisternenwasser frisch und rein ist.
Überblickt man die verschiedenen Kontexte, in denen Wasser in der Bibel vorkommt, kann man sagen, dass Wasser als Ursprungselement allen Lebens gilt, als Symbol für Chaos steht, das durch Gott geordnet und seinem heilbringenden Zweck zugeführt wird. Wasser reinigt, heilt, erfrischt, verschlingt, bedroht, erhält Leben und führt zusammen.
Der Zugang zu sauberem Wasser ist ein Menschenrecht
Im Rahmen des ersten Weltgebetstages für die Bewahrung der Schöpfung hat Papst Franziskus 2018 in seiner Botschaft die Bedeutung des Menschenrechts auf Wasser betont.1 Er verurteilt eine Privatisierung von Trinkwasser und drängt auf stärkeres Engagement zur Gewährung dieses Menschenrechts. Er warnt zudem vor einem Kampf um die Ressource Wasser. „Beten wir, dass die Wasser nicht Zeichen der Trennung unter den Völkern, sondern der Begegnung für die menschliche Gemeinschaft werden.“ Er folgt damit seinem Vorgänger Johannes Paul II., der gefordert hatte, das Menschenrecht auf Wasser anzuerkennen und allen Menschen Wasser zugänglich zu machen.
Bereits im Jahr 2005 haben der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK, die Schweizer Bischofskonferenz SBK, der Ökumenische Rat Christlicher Kirchen Brasiliens CONIC und die Katholische Bischofskonferenz Brasiliens CNBB gemeinsam die Ökumenische Erklärung zum Wasser als Menschenrecht und als öffentliches Gut veröffentlicht.2
Auch viele Hilfswerke engagieren sich international für das Recht auf Wasser. Federführend im Bereich Recht auf Wasser ist das deutsche Hilfswerk Brot für die Welt, das seit Jahren mit Studien und Wasserkampagnen auf das Thema aufmerksam macht, insbesondere im Rahmen seiner mehrjährigen Kampagne „Menschenrecht Wasser“.
Wasser ist aber auch konkret ein Zeichen des diakonischen Dienstes für die Grundbedürfnisse des Menschen: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben“. (Mt 25,35) Den Zugang zu Wasser zu ermöglichen, ist das zweitgenannte der sieben Werke der Barmherzigkeit. Nicht eine nette Geste der Großzügigkeit, sondern Voraussetzung der Verbindung mit Gott in seinem Reich! Diese Verpflichtung, zum Recht auf Wasser zu verhelfen, gilt auch im Krieg, gegenüber Feinden: „Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen, / hat er Durst, gib ihm zu trinken“. (Spr 25,21) Hier liegt der Anfang des modernen völkerrechtlichen Verbots der Aushungerung und des Verdurstenlassens von Menschen.3
Für das Christentum kann man die Bedeutung von Wasser demnach folgendermaßen zusammenfassen:
Wasser ist 1. Quelle des Lebens, 2. Element der Zerstörung und des Neuanfangs, 3. Symbol für Gottes Liebe und Heilkraft, 4. Symbol für die Aufnahme in die Gemeinschaft der Kirche und 5. konkretes Element der diakonisch-politischen Solidarität.
Die Spiritualität des Wassers hat für das Recht auf Wasser eine doppelt eminente Bedeutung: Sie fundiert und begründet das Recht auf Wasser in den verschiedenen Kulturen und Weltanschauungen. Sie ergreift und motiviert zudem auch jene Menschen, die zum rechtebasierten Ansatz wenig Zugang haben.4
- Vgl. zum Menschenrecht auf Wasser den Beitrag von Michael Krennerich in diesem Dossier.
- https://www.evref.ch/wp-content/uploads/2019/09/oeku_erklaerung_menschenrecht_wasser_de.pdf (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 25. August 2020 aufgerufen).
- https://www.ekir.de/globalisierung/Downloads/Wasser-Gottes_Gabe_wmh_Nr47.pdf, Kapitel 4.1.
- https://tinyurl.com/y5zfq826, S. 49.
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