Von der Krone der Schöpfung zum Diener des Lebens

Zum schwierigen Verhältnis zwischen biblischem Auftrag und menschlichem Anspruch

In den letzten 2000 Jahren haben sich weder die (christlichen) Kirchen noch die Theologen besonders gegen einen „schöpfungsfeindlichen Anthropozentrismus“ hervorgetan. Der Mensch als Krone der Schöpfung, als Beherrscher der Erde („bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres“) stand bisher unbestritten im Zentrum der Betrachtung.

Im Zuge der sich im 20. Jahrhundert entwickelnden größeren Sensibilität für die Umweltproblematik rücken mittlerweile auch die Tiere in den Blick. In der Kirche tut man sich bis heute schwer damit, anzuerkennen, dass der christliche Glaube nicht nur den Menschen, sondern auch die Natur und die Tiere mit einschließen muss.

Das Tier in der Bibel

„Vom biblischen Zeugnis her ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das Verhältnis zu den Tieren im Glauben vorkommen muss. Die Schöpfungsgeschichte verpflichtet den Menschen, die Erde nicht nur zu bebauen, sondern auch zu bewahren (1. Mos. 2,15); Menschen und Tiere harren auf die Erlösung (Röm. 8,18-25); das der Welt verkündete Heil gilt auch den Kreaturen (z.B. Mk. 16,15); Gottes vollendete Welt ist nicht ohne Tiere denkbar (z.B. Offb. 5,13).“1 Die biblischen Schriften sind mit über 100 verschiedenen Tierarten bevölkert. Sie sind nicht nach der heute bekannten zoologischen Systematik (nach Linné) geordnet, sondern aufgrund ihrer Lebensräume Wasser, Luft und Land. In Gen 2,20 liest man, dass dieser Schöpfungsbericht davon ausgeht, dass es Haustiere (Vieh) seit Anbeginn gibt. In Gen 1 findet man die Einteilung der Tierwelt in vier Gruppen: Tiere des Landes, Wassertiere, geflügelte Tiere und Kriech- und Kleintiere.

In vielen Texten der Bibel bilden Mensch und Tier Schicksalsgemeinschaften. Beide Kreaturen erleiden die gleichen Situationen wie Hungersnöte, Dürren, Folgen von Kriegen.2 In der allseits bekannten Geschichte von der Arche Noah werden Mensch und Tier gleichermaßen von den Wassermassen verschlungen (außer natürlich die Menschen und die Tiere, die Noah auf seiner Arche unterbringen konnte). Nach der Sintflut schließt Gott mit Noah den Bund, der den Menschen und explizit auch die Tiere mit einschließt (Gen 9,93 und weiter in Gen 9; 12; 15; 16; 17).

Es gibt noch andere Gemeinsamkeiten der Tiere mit dem Menschen. So werden auch sie aus Ackerboden geformt (Gen 2,19). Beide ernähren sich zunächst vegetabil (Gen 1,294 ). Beide können Gott in ihrer Not anrufen (vgl. Ps 36,7). Den Tieren wird sogar eine besondere Gottesbeziehung zugeschrieben, wenn sie z. B. Gott um Nahrung bitten (Ps 104,21; Ps 147,9). Die besondere Nähe des Menschen zum Tier drückt sich aber auch durch den Akt der Namensgebung aus, die dem Menschen aufgetragen wird (Gen 2,19f).

Der Auftrag Gottes an die Menschen, die Erde zu beherrschen, bedeutet ein Doppeltes: Einerseits soll der Mensch die Erde in Anspruch nehmen, andererseits die Herrschaft über die Tierwelt ausüben. Diese Herrschaft bedeutet allerdings nicht, dass der Mensch die uneingeschränkte Verfügungsgewalt ausüben darf. Die Herrschaft zielt letztendlich auf den Erhalt der gemeinsamen Lebenswelt von Mensch und Tier.

Die Krone der Schöpfung

Man kann allerdings nicht leugnen, dass dieser unglücklich abgeleitete Herrschaftsanspruch im Laufe der letzten Jahrhunderte mehr als einmal überstrapaziert wurde und u.a. als Legitimation für die Ausbeutung natürlicher Ressourcen bemüht wurde. Dies ist u.a. auf das Menschenbild bzw. das Tierbild zurückzuführen, das in der Aufklärung durch Philosophen wie René Descartes und später von Immanuel Kant begründet wurde. Für Descartes sind Tiere vernunftlos, haben keinerlei Empfindungen und verfügen über keinen Verstand.5 In seiner Schrift Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786) vertritt Kant die Ansicht, dass der Mensch der eigentliche Zweck der Natur ist und dass die Tiere „seinem Willen überlassene Mittel und Werkzeuge zur Erreichung seiner beliebigen Absichten“6 sind. Platon und die Denker der Antike gingen noch davon aus, dass jedes Lebewesen eine unsterbliche Seele hat, demnach seien auch Tiere beseelt. Für die später entstandene christliche Kirche rückte allerdings der Mensch in den Mittelpunkt und gründete seine Einzigartigkeit im Universum auch auf der Missachtung seiner Mitgeschöpfe. Thomas von Aquin (1225-1274) unterschied zwischen der Menschenseele und der Tierseele. Für ihn haben Tiere keine unsterbliche Seele; sie sind nicht für die Ewigkeit geschaffen. Die Tierseele geht im Unterschied zur Menschenseele mit dem Tod zugrunde.

Da empfindet jeder (christliche) Tierfreund eine gewisse Erleichterung, dass es bei so viel Anthropozentrismus doch noch einen glaubwürdigen Verfechter einer horizontalen Einheit der Geschöpfe gibt: Franz von Assisi. Für ihn sind die Tiere den Menschen als Geschöpfe Gottes gleichgestellt. Franziskus bezog alle Tiere in die Schöpfung mit ein. „Er versuchte, sein Leben dementsprechend auszurichten. Der alte Gedanke von der Einheit aller Schöpfung regiert vor jeder Unterscheidung von Mensch und Tier.

Ob Wurm oder Spinne, kein Tier erschien ihm so wertlos, dass es willkürlich gestört oder getötet werden durfte. Franz soll Hasen und Kaninchen aus Schlingen befreit, gefangene Fische ins Wasser zurückgesetzt und Lämmer frei gekauft haben, die auf dem Weg zum Markt feilgeboten wurden. Gegen den schon damals in Italien verbreiteten Singvogelmord ersehnt er den Beistand des Kaisers, um die grausame Jagd zu verbieten. Und die Vogelpredigt des heiligen Franz wurde im Nachhinein ebenso legendär wie seine Anrede „Bruder Esel“.7

Was auffällt, ist eher das Bestreben eines Franz von Assisi aufzuzeigen, dass Tiere genauso wie der Mensch Teile der einen Schöpfung Gottes sind. Als Verfechter des „Zusammen“ und des „Nebeneinander“ ist er bis heute ein innerkirchlicher Anarchist, dem die Schöpfung am Herzen lag und alles, was Teil davon ist. Diese Ansicht steht in starkem Kontrast zu der von der Kirche vertretenen Auffassung, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist. Dies führt allerdings dazu, dass die Schöpfung in der Theologie kaum eine Rolle spielt. Jean Améry spricht von einer „Verabsolutierung des menschlichen Lebens auf Kosten der Natur“.8 Ansätze eines Umdenkens gab es erst im 20. Jahrhundert. Die Impulse kamen wiederum nicht vom Lehramt, sondern von Einzelnen wie etwa Albert Schweitzer, dem österreichischen Jesuiten Max Huber oder dem Theologen Josef Bernhart.

Umdenken in der Kirche
Die rasante technische Entwicklung, die immer unübersehbarere Auswirkungen auf die Natur mit sich zog, die Nord-Süd Bewusstseinsbildung, die zunehmende Industrialisierung, das Wachstum der Bevölkerung, die schwerwiegende Belastung von Erde, Luft und Wasser und die mit all diesen Entwicklungen einhergehende Entfremdung des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung bedingten erste zaghafte Ansätze des Umdenkens in der offiziellen Kirche. Ostern 1980 beispielsweise wurde der schon erwähnte Franz von Assisi durch Papst Johannes Paul II. zum Patron der Natur- und Umweltschützer erhoben.

Im etwa gleichen Zeitraum entstand auch die Initiative für eine gerechte, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung verpflichtete Welt durch den Ökumenischen Rat der Kirchen auf der VI. Vollversammlung in Vancouver. In der Folge äußern sich die verschiedenen christlichen Kirchen vermehrt zu Themen wie der Verantwortung des Menschen für seine Umwelt und den respektvollen Umgang mit Tieren. Es setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass sich christliche Ethik nicht allein auf zwischenmenschliches Verhalten beschränken darf.

Im Jahr 1989 wird in der Stuttgarter Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen das nötige Umdenken, dass der Mensch ein Geschöpf unter anderen Geschöpfen ist und man sich von einer Ethik verabschieden soll, die nur den Menschen im Blick hat, treffend formuliert: „Wenn wir als Christen, und sei es auch nur bruchstück- und zeichenhaft, den verheißenen Frieden Gottes in dieser Schöpfung aufzeigen wollen, müssen wir umdenken.
Wir müssen ablassen von Machtphantasien über die Schöpfung und demütig die Grenzen unseres Handlungsspielraums und unsere eigene Begrenzung anerkennen. Wir müssen Abschied nehmen von dem Glauben an ein unbegrenztes Wachstum und an Fortschritt ohne Ende und uns am Maßstab des Lebens und dessen, was dem Leben dient, orientieren.“9

Verlautbarungen und Lehrschreiben

Im Jahr 1971 ging Papst Paul VI. erstmals in einem lehramtlichen Schreiben auf ein explizit ökologisches Thema ein. Im apostolischen Schreiben Octogesima adveniens spricht er die ökologische Krise an. Im gleichen Jahr erschien das nachkonziliare Schreiben De iustitia in mundo, das sich ebenfalls dieser Thematik widmete. Im Jahr 1980 veröffentlichten die deutschen Bischöfe ein erstes umfängliches Hirtenschreiben unter dem Titel Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit: Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung.

Im ersten Kapitel der 46-seitigen Schrift liest man unter dem Titel Besinnung tut not folgende Textpassage: „Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Je mehr er kann, desto größer wird seine Verantwortung. Mit den Möglichkeiten, Leben zu mehren und zu fördern, wachsen die Möglichkeiten, Leben zu schädigen und zu zerstören. Wachstum von Produktion und Konsum bedeutet nicht fraglos Wachstum der Menschlichkeit. Wo der Vorrang der geistigen Güter vor den materiellen, der Vorrang der Person vor den Sachen nicht gewahrt wird, da ist das Gleichgewicht des inneren und äußeren Friedens und auch das Gleichgewicht einer gerechten sozialen Ordnung auf Weltebene bedroht.“
Es geht bei diesem Zitat weniger darum, eine genaue Textanalyse vorzunehmen, als eine Parallele anzudenken, die wir später zum Text der Enzyklika Laudato Si’ finden.

Eine Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen aus dem Jahre 1989 kommt mit dem Titel Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung daher. Es mag frustrierend sein, dass auch in diesem Schreiben Tiere nur am Rand Erwähnung finden. Allerdings ist der Ansatz der christlichen Kirchen, den Schutz und die Bewahrung der Schöpfung auch an soziale Themen zu koppeln, sehr deutlich.

Auf die Themen des Tierschutzes und der Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf gehen in den 1990er Jahren verschiedene Diskussionsbeiträge und Schreiben der christlichen Kirchen im deutschsprachigen Raum ein. Papst Johannes Paul II. macht in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1990 auf die Herausforderungen der ökologischen Krise aufmerksam.

Laudato Si’

Das Lehrschreiben Laudato Si’, von vielen als Umweltenzyklika bezeichnet, ist im Wesentlichen eine Sozialenzyklika. Eine Besonderheit ist, dass sie die Zusammengehörigkeit von Umweltschutz und Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt stellt. „Sie enthält Züge einer Gesellschaftskritik, die erstmals lehramtlich den Klimawandel und die mit ihm verbundene Ernährungskrise aus ethischer Perspektive thematisiert. Franziskus macht sehr deutlich, dass der moderne ‘Anthropozentrismus’ die technische Vernunft über die Wirklichkeit gestellt habe (Nr. 115)“10.

Papst Franziskus ergänzt in Laudato Si’ die traditionellen Grundsätze der katholischen Soziallehre – Personalität (Mensch im Zentrum), Solidarität (vorrangige Option für die Armen und Benachteiligten), Subsidiarität (vor Ort tun, was möglich ist; in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen nur, was besser getan werden kann), Gemeinwohl (das Wohlergehen aller im Blick) – mit den Grundsätzen der Nachhaltigkeit (Auswirkungen unseres Handelns auf künftige Generationen) und einer ganzheitlichen Ökologie (alles hängt mit allem zusammen). Er führt auch den Ausdruck des „gemeinsamen Hauses“ ein und beschreibt die Erde als das gemeinsame Lebenshaus aller Geschöpfe.

Er mahnt einen Kulturwandel zugunsten ökologischer Verantwortung an und kritisiert den modernen Anthropozentrismus (Nr. 115-136), um so den Eigenwert von Pflanzen und Tieren hervorzuheben.

Der Mensch ist letztendlich in der misslichen Lage, dass er als Endzweck der Schöpfung gesehen wird, andererseits aber auch Teil der Natur ist, in der er seinen Platz suchen muss. Darüber hinaus trägt er auch die besondere Verantwortung für die kommenden Generationen und die Konsequenzen seines Handelns gegenüber Menschen, die er i.d.R. nie zu Gesicht bekommt.

Das Wissen, dass jede Handlung vor seiner Haustür auch Auswirkungen auf die Lebensumstände von Geschöpfen (Menschen und Tieren) in näher oder weiter entfernten Orten haben kann, wird umfassender, auch wenn wir feststellen, dass Wissen nicht zwingend auch Verhaltensänderungen bedingt.

Der Verantwortung, die letztendlich aus diesem Wissen erwächst, kann der Mensch sich nicht länger entziehen. Spätestens nach Laudato Si’ können sich die Christen nicht mehr auf die Primatur des Menschen berufen, wenn sie gestalterisch in die natürliche Umwelt einwirken. Das Aufzeigen der engen Verbindungen und unmittelbaren Abhängigkeiten innerhalb eines sozialen und natürlichen Systems sollten beredt genug sein, auf dass sich der Mensch von der ‘Krone der Schöpfung’ in seinem Selbstverständnis zum kreativen, empathischen, respektvollen und liebenden Teil eines Ganzen entwickeln kann.

1 Dietrich, Hans-Eberhard: „Die Kirche und das „liebe Vieh“ in: Deutsches Pfarrerblatt 5/2017

2 s. Jer 14,2-6; Hos 4,3; Jo 1,18ff, Hag 1,11

3 „Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren des Feldes, mit allen Tieren der Erde, die mit euch aus der Arche gekommen sind.“
Papst Franziskus via Wiki Commons
4 Dann sprach Gott. „Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen“

5 vgl. Descartes, René: Discours de la méthode, 1637.

6 Kant, Immanuel, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, Kant Werke Bd. 9, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 90f.

7 Precht, Richard David: Tiere denken: Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen, München 2016

8 zitiert in: Dietrich, Hans-Eberhard: „Die Kirche und das „liebe Vieh“ in: Deutsches Pfarrerblatt 5/2017.

9 Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), „Forum Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Gottes Gaben – Unsere Aufgabe. Die Erklärung von Stuttgart, in: Materialdienst der Ökumenischen Centrale, 1988/IV, Frankfurt a.M. 10 Schallenberg, Peter / Menke, Marius: „Die Enzyklika „Laudato Si’“ und die katholische Soziallehre, in: Die neue Ordnung, Bd. 70 (2016), 3, S.164-178, S. 170.

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