Was ist Widerstand?

Zur Neueröffnung des Musée National de la Résistance et des Droits Humains

Was ist Widerstand? Eine Tafel stellt die Frage gleich hinter dem Eingang des Museums am Escher Brillplatz und liefert in einer Bildershow Beispiele: die schwarzen Demonstranten in den USA oder Südafrika, der Student am Tienanmen-Platz in Peking, die Gilets jaunes in Frankreich, barbusige Frauen gegen Frauenmorde, Youth for Climate, die Impfgegner u. a. m. Die Beispiele zeigen, dass jeder Besucher, ob politisch rechts oder links orientiert, in eine Situation kommen kann, wo er Widerstand leisten will, sollte, muss. Die Vieldeutigkeit des Begriffs setzt sich fort bei allen Zwischentiteln in der Ausstellung, die letztlich auf ganz andere Erfahrungen als jene Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg übertragen werden können.

© MNRDH

Die dunklen Jahre

In der großen Eingangshalle, wo die Wandmalerei „Widerstand und Repression“ des KZ-Häftlings Foni Tissen und die monumentale Innenarchitektur erhalten geblieben sind, erwarten den Besucher 28 audiovisuelle Biografien von Einwohnern Luxemburgs aus den Jahren 1940-1944, die aus ihrem Leben unter dem Naziregime erzählen (in drei Sprachen nachgestellt): Widerstandskämpfer, Kollaborateure, Juden, Soldaten, Bürger.

Erst dann gelangt man in den ersten Ausstellungsraum im neuen Teil des Museumsgebäudes, wo die NS-Strukturen erklärt werden und das Leben unter dem Terrorregime dargestellt wird. Eine Zeitleiste stellt parallel die Zusammenhänge zwischen der Entwicklung in Luxemburg und im Rest der Welt in den Jahren 1919-1961 dar, von den Nachwehen des Ersten Weltkriegs über das Maulkorbgesetz und die Spanienkämpfer bis zur Zeugenaussage von ­Alfred Oppenheimer beim Eichmann-Prozess in Tel Aviv. Die Kartelle zu den einzelnen Objekten und vielen Fotos wird man beim ersten Besuch nicht alle lesen; viele Texte verlangen, dass man mit der Nase rangeht. Doch die Puppe in Nazi-Uniform, die Minifiguren des Winterhilfswerks oder die Schreibmaschine aus der Kanzlei des Chefs der Zivilverwaltung, und im ersten Stock der Schlagstock der Gestapo aus der Villa Pauly, das Maschinengewehr des Maquisards Justin Kohl oder das Notizheft des KZ-Stubenältesten Jean Scholtes ziehen einen in den Bann und man beginnt zu lesen.

Im ersten Stock geht es um Reaktionen auf die Diktatur: Kollaboration aus Überzeugung oder aus Opportunismus, Duckmäusertum, passiver oder aktiver Widerstand, … und um die Konsequenzen, welche die gewählte Haltung mit sich zog: Flucht und ihre Netzwerke, Polizeiterror, Konzentrationslager, Zwangsrekrutierung, Fahnenflucht, Umsiedlung, … Den Juden blieben solche Optionen nicht: Die rund 1300 Namen von Juden, die in Luxemburg gelebt hatten und der Shoah zum Opfer fielen, ganz gleich wie sie sich verhielten, defilieren an der Wand in einer Endlosschleife. Die nach dem Krieg aus Hinzert nach Steinfort gebrachte angebliche KZ-Baracke – die Geschichte der Holzhütte konnte trotz aller Bemühungen noch nicht definitiv geklärt werden – macht den Saal noch einmal dunkler als er ohnehin schon dank der schwarzen Hintergrundfarbe aller Ausstellungswände und -tafeln auf beiden Stockwerken ist. In der Baracke wird das Leben im KZ dokumentiert, mit seinen Leiden, aber auch Zeichen der Hoffnung und der Solidarität, letzteres sehr ergreifend dargestellt anhand einer Beinprothese, die Haftgenossen für Néckel Spielmann hergestellt hatten. Kriegsende und Nachkriegszeit werden im letzten Raum ausgestellt: Befreiung, Säuberungspolitik, Mythenbildung und die Konflikte zwischen Naziopfergruppen.

Dann tritt man wieder hinaus auf den Balkon der Empfangshalle, wo die Nischen den Menschenrechten gewidmet sind, die 1948 als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg von der UNO proklamiert wurden. Diesmal sind zwölf Biografien von Menschen mit Migrationshintergrund, längst eingesessenen oder solchen, deren Statut noch in der Schwebe ist, zu hören, die von Menschenrechtsverletzungen in ihrem Heimatland und eventuell in ihrem Fluchtland erzählen. Abschließend wird die Frage gestellt: Kann (gewalttätiger) Widerstand gegen die Menschenrechte verstoßen? Der Nahostkonflikt bietet aktuell viele Bilder zum Thema.

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Das ehemalige Musée de la Résistance im stark an die faschistische Monumentalarchitektur erinnernden Gebäude war von der LPPD (Ligue Luxembourgeoise des prisonniers et déportés politiques) gegründet, 1956 eröffnet und von ihr verwaltet worden. 1987-1991 kam es zum Streit, als Kulturminister Robert Krieps, ein ehemaliger KZ-Häftling von Natzweiler-Struthof, eine Erneuerung der Ausstellung initiierte, die LPPD aber keine anderen Widerstandsformen gegen Faschismus – wie etwa der ehemaligen Spanienkämpfer oder andere NS-­Opfergruppen wie die Zwangsrekrutierten – in ihr Narrativ aufnehmen wollte. Umso erfreulicher ist der neue Ansatz, den die drei Kurator:innen, Direktor Frank Schroeder und die beiden jungen Historiker:innen Elisabeth Hoffmann und Jérôme Courtoy, gewählt haben. Getreu dem Motto der Ausstellung, die Marie-Paule Jungblut 2001 im Geschichtsmuseum der Stadt Luxemburg inszeniert hatte, Et wor alles net esou einfach …, zeigen sie die Ambivalenz von Widerstand und Kollaboration sowie die Betroffenheit aller Schichten und Gruppen der Einwohnerschaft: Luxemburger, Flüchtlinge aus Deutschland, Kinder und Jugendliche, Juden und Zeugen Jehovas, … Bei einer der zahlreichen interaktiven Stationen kann der Zuschauer herausfinden, warum einer sich zur Wehrmacht meldete oder einen Kriegsdienstverweigerer versteckte. Die Antwort wird ihn überraschen und zum Nachdenken bringen. Kontroverse Details werden nicht verschwiegen: Ein Foto zeigt drei Luxemburger Soldaten der ehemaligen „Freiwilligenkompanie“ nach einer „Judenjagd“ des Reserve-Polizeibataillons 101; ein Zeitungsausschnitt kritisiert die Exilregierung.

Das Ergebnis zeigt, dass ihr Vorgehen, zunächst 42 Historiker:innen zu versammeln und von ihnen den aktuellen Stand der Forschung in 55 Beiträgen festhalten zu lassen, die 2021 als 960-seitiges Buch erschienen sind1, der richtige Weg war. 

Dank dem Anstoß von 2002 im Stadtmuseum, als erstmals das Narrativ vom Luxemburger Volk als homogenes Widerstandskollektiv in Frage gestellt wurde2, und der Dissertation von Vincent Artuso, der die Kollaboration wissenschaftlich erforscht hatte3, kam die Forschung über den Zweiten Weltkrieg in Luxemburg richtig in Fahrt und zeitigt im renovierten, umbenannten und erweiterten Musée National de la Résistance et des Droits Humains ihr jüngstes, sehenswertes und – trotz etlicher, nur schwer zu ertragender Fotos – ein auch für Jugendliche zugängliches Ergebnis, das im Übrigen in einem reich bebilderten, dreisprachigen Ausstellungskatalog dokumentiert ist4. Jugendliche und Studierende haben übrigens freien Eintritt. Dank QR-Codes, die immer wieder in der Ausstellung auftauchen, kann man sein Wissen zuhause vertiefen. Das Museum verfügt auch über einen Arbeitsraum für Klassenbesuche.

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Vergessene Opfer

Und es geht schon weiter. Das am 1. März 2024 eröffnete Museum zeigt vom 13. März bis zum 23. Dezember 2024 im Untergeschoss eine Ausstellung, mit der es völliges Neuland betritt: Es geht um verfolgte Randgruppen der damaligen Gesellschaft, um Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Menschen mit dunkler Hautfarbe oder körperlichen Gebrechen bzw. Behinderungen, aber auch um als „asozial“ klassifizierte Personen (z. B. Obdachlose oder Lebenskünstler), Vorbestrafte, (angebliche) Prostituierte, „Fahrende“ (Sinti, Roma und Jenische), die in der Forschung wie in der kollektiven Erinnerung bislang vergessen wurden. Für jede Kategorie Menschen haben die Aussteller eine Akte angelegt sowie mehrere Biografien mit Dokumenten zusammengestellt. Erstmalig wird hier eine nachempfundene KZ-Uniform eines Zeugen Jehovas ausgestellt, die nicht mit einem roten, sondern mit einem violetten Dreieck gekennzeichnet war. Gezeigt wird auch das Tagebuch, das die Jehova-Zeugin Maria Federspiel während ihrer Umsiedlung führte.

Auch in dieser Zeitausstellung ist die Darstellung sehr nuanciert und betont die Ambivalenz. Die ersten Tafeln zeigen auf, wie die Nazi-Ideologie keineswegs aus dem Nichts entstanden ist, sondern auf Sozialdarwinismus und Theorien der Rassenhygiene aufbaute. In Luxemburg wurden solche Gedankengänge schon in den späten 1920er Jahren von der Eugenik-Studienkommission des „Vereins für Volks- und Schulhygiene“ vertreten. Der Abgeordnete René Blum, Vorsitzender der sozialistischen Partei, oder Jules Salentiny, der es zum ersten Richter am Obergerichtshof brachte, waren nur einige bekannte Mitglieder dieser Kommission. Die beiden entwarfen ein Gesetz zur Einführung eines ehelichen Gesundheitszeugnisses, das die Heirat von „Wahnsinnigen, Verbrechern und Alkoholikern“ verhindern sollte. Der Gesetzesentwurf wurde 1927 in der Abgeordneten­kammer abgelehnt. 

Während der NS-Besatzung des Landes beruhte die Durchsetzung dieser rassenhygienischen Ideologie auf vier Säulen: Verwaltung, Polizei, Justiz und Medizin. Die Richterrobe, die den Besucher im Untergeschoss empfängt, symbolisiert u. a. die Neuorientierung der Justiz. Biografische Beispiele wie die des Richters Mathias Schumacher zeigen, dass auch Luxemburger gegen gesellschaftliche „Außenseiter“ im Namen des deutschen Volkes „Recht“ sprachen. 1941 etwa war Schumacher einer der Richter im Prozess gegen das homosexuelle Paar Regenwetter & Boellecke. Der Luxemburger Arzt Franz Demuth leitete in der Pfaffenthaler Entbindungsanstalt eine „Behandlungsstation“ gegen Geschlechtskrankheiten, in der zahlreiche als angebliche Prostituierte festgenommene Frauen – auch wenn sie keine waren – zwangsuntersucht wurden. Ca. 850 Frauen sind während der Nazizeit in Luxemburg von der Kripo bei Razzien wegen angeblicher Prostitution festgenommen worden; von ihnen berichtete noch keine von Hunderten Publikationen zum Thema Zweiter Weltkrieg in Luxemburg. Und der Luxemburger Toto Mergen erklärte die Jéinesch in einer Studie zu einer „asozialen“ kriminellen Rasse. Seine Forschungsergebnisse trugen mit dazu bei, dass Jenische rassenhygienisch erfasst wurden. Der unter dem Namen „Aktion T4“ bekannte nationalsozialistische Massenmord an Anstaltspatienten wurde, nach derzeitigem Wissen, in Luxemburg nicht angewandt, aber 10-12 % der geistig erkrankten Menschen in Ettelbrück fielen dem Hungertod zum Opfer. Wohl kaum ein Zufall. Neben einem pädagogischen Ausstellungskatalog wird der für Mitte des Jahres vorgesehene wissenschaftliche Sammelband mit Beiträgen von Vincent Artuso, Kathrin Mess, André Marques, Jérôme Courtoy und Daniel Thilman die Ergebnisse der durch die Ausstellung initiierten wissenschaftlichen Forschung präsentieren. Die insgesamt kleine Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit Interessenvertretungen entstand, klingt aus mit einer Regenbogenfahne der LGTBQ+-Bewegung. Anhand dieser werden die Entwicklungen eben­dieser Gruppen nach dem Krieg in Luxemburg erklärt. Mittels Interviews beantworten die Interessengruppenvertreter gesellschaftskritische Fragen, z. B. ob es solche Kategorisierungen und Stigmatisierungen von Menschen heute auch in Luxemburg noch gibt.  


1 Le Luxembourg et le Troisième Reich. Un état des lieux / Luxemburg und das Dritte Reich. Eine Bestandsaufnahme, hg. v. Musée national de la Résistance et des Droits Humains, Esch-sur-Alzette 2021.

2 … et wor alles net esou einfach. Questions sur le Luxembourg et la deuxième Guerre mondiale. Fragen an die Geschichte Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg. Lesebuch zur Ausstellung (Publ. du Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg, t. X), Luxemburg 2002.

3 Vincent Artuso, La collaboration au Luxembourg durant la Seconde Guerre mondiale (1940-1945). Accomodation, adaptation, assimilation (Luxemburg-Studien / Etudes luxembourgeoises, 4), Frankfurt a. M., Peter Lang Verlag, 2013.

4 Luxemb(o)urg 1940-1945, hg. v. Musée de la Résistance et des Droits humains, Esch-sur-Alzette 2024.

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