Welche Geschichte an der Uni Luxemburg?

Klarstellungen zum Edito in forum 414

Im Unterschied zu dem fast gleichlautenden Beitrag auf Radio 100,7 am 12. Januar 2021 hat der forum-Leitartikel aus Heft 414/Februar 2021 („Keine Luxemburger Geschichte mehr an der Uni?“) überraschend viel Staub aufgewirbelt, eine parlamentarische Anfrage eines ADR-Abgeordneten provoziert und auf Twitter gar zu einem kleinen Shitstorm geführt. Auf Bitten der Redaktion möchte ich daher hier ein paar Klarstellungen veröffentlichen.

  1. Die Überschrift „Keine Luxemburger Geschichte mehr an der Uni?“ hat offenbar bei einigen Universitätsangehörigen zu Fehlinterpretationen geführt, denn natürlich wird an der uni.lu auch historische Forschung zu Luxemburg betrieben, was im Text ja auch ausdrücklich eingeräumt wird. Das Missverständnis ist eigentlich nicht nachzuvollziehen, denn jeder weiß, dass Überschriften nicht den Zweck haben, den Inhalt eines Beitrags in all seiner Differenziertheit wiederzugeben – wie sollte das auch möglich sein? –, sondern die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf sich zu ziehen. Auflagenstarke Zeitungen beschäftigen für die Formulierung der Titelschlagzeilen einen eigenen Redakteur, der unabhängig vom Journalisten arbeitet.
  2. Wer den Beitrag zu Ende gelesen hat, wird problemlos feststellen, dass dort nirgends behauptet wird, an der Uni Luxemburg werde nicht mehr zur Geschichte Luxemburgs geforscht. Im Gegenteil, es wird nur gesagt, dass die diesbezüg­liche Forschung hinter den Lehrstuhlbezeichnungen nicht sichtbar ist. Deshalb sei ein Lehrstuhl für transnationale Luxemburger Geschichte gerade wegen der Sichtbarkeit in der internationalen akademischen Welt wichtig. Von einer Monopolstellung kann keine Rede sein.
  3. Die heftigen Reaktionen auf Twitter kamen hauptsächlich von Seiten des C2DH, das sich mit digitaler und Zeitgeschichte beschäftigt. Vielleicht ging aus dem Beitrag nicht klar genug hervor, dass dieser sich auf das Historische Institut (IHist) bezog. Es war nämlich allein von Dekanat und Institut die Rede, von denen das C2DH getrennt ist. Aus diesem Grund wurde auch die Zeitgeschichte ausgeklammert, da es am IHist keinen Lehrstuhl für Zeitgeschichte gibt (was nicht ausschließt, dass man sich auch dort mit Fragen der jüngeren Geschichte beschäftigt). Ein ehemaliger Uni-Student schrieb mir: „Mir schéngt, dass Är Iwwerleeungen op d’Geschicht vum Lëtzebuerger Territoire am Ganzen zielt, an och éischter géint Uni-­Leedung an de Ministère geriicht ass wéi géint den C2DH.“ Schade, dass die Verantwortlichen des C2DH sich dann aber geweigert haben, in einem argumentativ nachvollziehbaren Beitrag in forum ihre Kritik am Edito zu äußern und die Diskussion voranzubringen. Die Redaktion hat ihnen natürlich angeboten, in der nächsten Ausgabe auf diesen Text zu antworten.
  4. Motiviert war mein Editorial von den Interessen des IHist, das seit 2017 die Neubesetzung der Stelle fordert und in seinem jüngsten Strategiepapier erneut festhält, dass der Posten eines „professor in comparative regional history in a European perspective („Vergleichende Landesgeschichte in europäischer Perspektive“)“ unabdingbar ist, weil allein eine solche Professur die Langzeitperspektive methodisch berücksichtigt und nicht epochenspezifisch begrenzt arbeitet. Der Inhaber eines entsprechenden Lehrstuhls hätte den Auftrag, (In)Fragestellungen der Lux­emburger Gesellschaft aus historischer Sicht für alle Epochen kritisch zu begleiten. Diese Forderung wollte mein Editorial in die Öffentlichkeit bringen, weil sie uniintern seit Jahren kein Gehör findet. Wer die Klagen des IHist, denen ich Ausdruck gab, als meine „persönliche Geschichte“ bezeichnet, will sich offenbar einer sachlichen Debatte entziehen.
  5. Das Problem gehört nämlich in die Öffentlichkeit, weil die multikulturelle Luxemburger Gesellschaft Anrecht hat auf Lehre und Forschung zu ihrer Geschichte und zwar nicht nur der letzten 100 Jahre. Tatsächlich fördern Rektorat und Conseil de gouvernance jedoch seit Jahren nur noch das C2DH, während das Historische Institut ausblutet. Dazu ein paar Zahlen: Vor der Trennung – die von 43 der 44 damaligen Institutsmitglieder abgelehnt worden war – gab es im IHist (abgesehen von der Musikologie) neun Professorenposten. Vier sind dann doch ins C2DH gewechselt; im Institut blieben nur noch fünf, von denen einer 2017 in den Ruhestand ging; da waren’s nur noch vier. Erst am kommenden 1. April wird endlich Prof. Dr. Monique Weis den seit der Trennung verwaisten Posten der Geschichte der Frühen Neuzeit wiederbesetzen. Im C2DH sind – Stand heute – 13 Professorenposten vorhanden. Insgesamt lautet das aktuelle Verhältnis der Gesamtmitarbeiterzahlen 38 zu 108. Dieses Missverhältnis (das z. T. durch die von der Regierung aufgezwungene Integration des CVCE bedingt ist) zu thematisieren, macht der C2DH-Direktor mir ebenfalls zum Vorwurf. Das verstehe ich nicht – der Vorwurf trifft doch nicht ihn, sondern nur die Unileitungsgremien. Und weder das IHist noch ich haben je einen Posten des C2DH in Frage gestellt, sondern auf Zusammenarbeit gesetzt.
  6. Dieses Ungleichgewicht – vier bis fünf Professoren für die komplette Menschheitsgeschichte bis zum Ersten Weltkrieg, 13 für die 100 Jahre danach – ist aber offenbar auch von der Regierung gewollt. Sie schwört auf das Zauberwort „Digitalisierung“, die aber kein Alleinstellungsmerkmal des C2DH ist. Und in den Sekundarschulen soll der Geschichtsunterricht auf die Zeitgeschichte zentriert, die Auseinandersetzung der Schüler mit der Steinzeit, der gallo-römischen Vergangenheit, der Entstehung von Adel und Städten im Mittelalter, dem Absolutismus des Ancien régime, den Anfängen der Industrialisierung usw. zurückgestutzt werden. Das ist ein Skandal, der den jungen Menschen den Reichtum der europäischen Kultur(en) vorenthält und sie von ihren vielfältigen Wurzeln trennt: ein weiterer Grund, warum die Frage der Postenverteilung im Bereich Geschichte an der Uni Luxemburg in die Öffentlichkeit gehört. Dahinter steckt eine bemerkenswerte Tendenz, nämlich dass Luxemburger „Identität“ immer stärker an der Luxemburger Sprache und weniger (als etwa im 19. Jahrhundert) an der Luxemburger Geschichte festgemacht wird, was sich u. a. auch in der im Editorial erwähnten Posten­aufstockung des Instituts für Luxemburgistik niederschlägt.
  7. Damit will ich aber weder hier noch im Leitartikel im vorigen forum-Heft ein Plädoyer für eine nationalistisch gefärbte Geschichtsauffassung halten, wie mir auf Twitter eine Historikerin unterstellte, die trotz mehrjährigem Forschungsaufenthalt am IHist offensichtlich weder mit meinen historischen Arbeiten noch mit meinen gesellschaftspolitischen Wortmeldungen in Berührung gekommen ist. Tatsächlich habe ich immer dafür plädiert, den Begriff transnational oder besser noch metanational mit dem Begriff Luxemburger Geschichte zu verbinden. Damit öffnet sich ein Ausweg aus der Aporie, wonach eine Luxemburger Nation ja frühestens im 19. Jahrhundert entstanden ist und historisch erforscht werden kann, die historische Forschung sich aber mit dem Großraum, in dem seit 1839 das Großherzogtum Luxemburg angesiedelt ist, auch in Epochen beschäftigt, als es weder eine Luxemburger Nation noch Sprache gab. Dieser Sozialraum, von Menschen konstruiert und nicht naturgegeben, hat im Lauf der Geschichte immer wieder seine geographische Konfiguration verändert. Er gehörte in der Jungsteinzeit zur Rössen-Kultur, zur Zeit des römischen Reiches zur Civitas Treverorum, vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zum Habsburger Weltreich, 1795-1815 zur französischen Republik bzw. Kaiserreich usw. Meine diesbezüglichen Ansichten habe ich in wissenschaftlichen Veröffentlichungen ausführlich begründet.1 Metanational2 – also hinter den Nationenbegriff schauend, im Sinne, wie man von Metadiskurs oder Metaphysik spricht – führt auch zur Infragestellung des Nationenbegriffs, wie ich sie am 29. April 2014 zum Ausdruck brachte, als ich im Auftrag der Regierung den Festvortrag aus Anlass des 175. Jahrestags des Londoner Vertrags von 1839 halten durfte.3 Ich benutze daher nie den Begriff der „Nationalgeschichte“. Insofern widerspricht die Anfrage von Fred Keup (ADR) völlig meinem Ansinnen: Er unterschlägt beim Begriff „Luxemburger Geschichte“ jedes Mal den Zusatz „transnational“ oder „metanational“! Geschichte habe ich immer als kritische Sozialwissenschaft verstanden und praktiziert. Daher lässt sie sich nicht fürs nation branding einspannen.

 

  1. Michel Pauly, „Was unterscheidet die Muschelkette aus Waldbillig von der Igeler Säule? Von der trans- zur metanationalen Perspektive in der Nationalgeschichte am Beispiel Luxemburgs“, http://www.connections.clio-online.net/searching/page?q=Pauly; http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=897&type=diskussionen (letzter Aufruf: 25. Februar 2021); ders., „Questions autour d’une parure en coquillages trouvée à Waldbillig. Plaidoyer pour une perspective trans- ou meta-nationale de l’histoire luxembourgeoise“, in: Hémecht 58 (2006), S. 9-33.
  2. Zu meiner freudigen Überraschung wird der Ausdruck mittlerweile auch andernorts in der akademischen Welt gebraucht; vgl. etwa Mihaela Ursa, „Metanationalizing Theory in Comparative Studies“, in: Metacritic Journal for Comparative Studies and Theory 5.2 (2019), https://doi.org/10.24193/mjcst.2019.8.04 (letzter Aufruf: 25. Februar 2021).
  3. Michel Pauly, „Lëtzebuerg 1839-2014. Ried bei der Séance académique ,175e anniversaire de l’indépendance du Grand-Duché de Luxembourg‘“ am 29. April 2014, http://www.gouvernement.lu/3680782/Michel_Pauly_LU.pdf; version française : http://www.gouvernement.lu/3680794/Michel_Pauly_FR.pdf.

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