Wie sieht die Zukunft der Pfarrei aus?
Erfahrungen nach einem mehrjährigen Prozess der Restrukturierung
Als 2012 die ersten strukturierten Überlegungen in der Erzdiözese angestellt wurden, wie wir mit dem neuen Verhältnis zwischen Staat und Kirche(n) umgehen sollten, waren die Beweggründe in erster Linie materieller Natur. Die zu erwartenden finanziellen Einschnitte und die demographische Entwicklung (abnehmende Zahl der Geistlichen, der pastoralen Mitarbeitenden und Gläubigen) stellten eine große Herausforderung dar. Neben den in Zukunft immer zahlreicheren vakanten Stellen in den Pfarreien und der sehr beschränkten finanziellen Eigenmittel, um neues Personal, Kirchengebäude und Projekte zu finanzieren, stellte auch der Aufbau einer Gemeindekatechese die Pfarreien vor große Herausforderungen.
Eine generelle Bewertung der Entwicklungen würde den Rahmen der folgenden Überlegungen sprengen, deshalb soll anhand von einigen Stichworten, die im Verlauf des Erneuerungsprozesses immer wieder auftraten, die Möglichkeiten und Herausforderungen in der Gestaltung der Pfarreien beleuchtet werden.
Wofür sind Pfarreien da?
Die Wortbedeutung von „Pfarrei“ kommt aus dem Griechischen und heißt soviel wie „Nachbarschaft“. Hier zeigt sich schon eine der Schwierigkeiten der Veränderungen der letzten Jahre. In den meisten europäischen Diözesen wurde aus verwaltungstechnischen Gründen eine Zusammenlegung der alten Pfarreien in größere Verwaltungseinheiten vorgenommen. So entstanden aus den ursprünglich 274 Pfarreien in Luxemburg 33 „Neue Pfarreien“. Dies war vor allem dem sogenannten Priestermangel geschuldet. In anderen Diözesen (wie z. B. in Trier) wurde noch drastischer zusammengelegt. Um in diesen größeren Räumen noch Nähe zu den Gläubigen aufrecht zu erhalten, besann man sich auf das nun verstärkt eingeforderte Engagement der ChristInnen in den Pfarreien.
Bisher kannte man die Pfarrei als Mikrokosmos, wo man mit allen Diensten wie Gottesdienst, Vorbereitung und Zugang zu den Sakramenten, spirituellen und sozialen Angeboten und Seelsorge vor Ort versorgt war. Die Pfarrei als kirchlicher Lebensraum mit ihren lokalen Traditionen sieht sich heute allerdings mit Herausforderungen konfrontiert, denen sie sich meist nur mit großen Schwierigkeiten stellen kann. Allein der Aufbau einer Pfarrkatechese für Kinder und Erwachsene verlangte nach neuen Ideen und dem Mut, alte Pfade zu verlassen. Die Pfarreien bekamen es mit der neuen „Freiwilligkeit“ der Gläubigen zu tun. Dies führte anfangs in einigen Bereichen zu Einbrüchen in der Anzahl der Teilnehmenden, allerdings brachte sie auch bisher nicht gekanntes Engagement hervor. Eltern und andere Erwachsene interessieren sich zunehmend für das Kennenlernen und die Vertiefung des Glaubens: ihres eigenen und jenes ihrer Kinder. In manchen Pfarreien wurden die Mitarbeitenden vom Interesse schier überrollt.
Es wird den Pfarreien aber auch zunehmend klar, dass ihre Zukunftsfähigkeit davon abhängt, in welcher Weise sie sich von den kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten inspirieren, vitalisieren und korrigieren lassen. Die Pfarrei lebt nicht für sich, sondern inmitten eines gesellschaftlichen Lebens, wo Glauben seinen festen Platz hat, und sie ist nicht der Gegenspieler einer säkularisierten Welt. In diesem Kontext bekommt der Begriff der Partizipation eine neue Bedeutung.
Partizipation ermöglichen
Partizipation bedeutet im Kern, dass der Mensch als Kommunikationspartner ernst genommen wird. Partizipation bedeutet aber auch, dass es echte Teilhabe an Entscheidungen gibt. Hier zeigt sich wiederum eine der großen Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit von Kirche und Pfarreien. Inwieweit ist die Teilhabe an Entscheidungen, die das Glaubensleben betreffen, gewollt, möglich und gefördert? Die Neukonstituierung der Pastoralräte und der Kirchen-Verwaltungsräte in den Pfarreien mag ein Indiz für den Willen der Kirchenhierarchie sein, diese Partizipation zu wollen und auch zu ermöglichen. Allerdings musste und muss immer noch vielerorts darum gerungen werden, in Entscheidungsfragen die jahrzehntelange Fixierung auf den Klerus zu überwinden. Die neue Rollenfindung der einen wie der anderen ist zu einer Kernaufgabe der kirchlichen Organisation geworden. Zum einen war es praktisch und bequem, Entscheidungen und die Verantwortung dafür größtenteils dem Klerus zu überlassen. Zum anderen fehlt es in vielen Pfarreien am Bewusstsein, dass kirchliches Leben von allen verantwortet werden soll.
Leitung und Ehrenamt
Man sollte eher von engagierten ChristInnen als von ehrenamtlichen HelferInnen sprechen, denn letztere verweisen darauf, dass sie in erster Linie zur Entlastung der Priester und der Hauptamtlichen gebraucht werden. Engagierte ChristInnen bringen das gelebte gesellschaftliche Leben in die Pastoral (Seelsorge) ein. Im „normalen“ Leben tragen sie Verantwortung für die Familie, den Betrieb, ihre Dienststelle, die Gesundheit und das Wohlergehen von Menschen und vielem mehr. In der Pfarrei stellt sich heute die Frage, wie man diese menschlichen und fachlichen Kompetenzen möglichst gewinnbringend für den Einzelnen, für die Pfarrei und letztlich auch für das Gemeinwesen einbringen kann. Diese Sicht auf das Engagement braucht auch ein neues Verständnis von Leitung.
Erste Erfahrungen in der Pfarrei Atertdall Sainte-Claire
Als sich im Frühsommer 2018 abzeichnete, dass die Pfarrstelle in der Pfarrei Atertdall, die den größten Teil des ehemaligen Dekanats Ospern im Kanton Redingen ausmacht, ab Herbst vakant bleiben würde, wagte die Diözesanleitung den Schritt, einen Laien mit der Koordination der Pfarrei zu betrauen. So kam es, dass der Erzbischof mir, einem verheirateten Familienvater, diese Aufgabe übertrug. Dies war für die Luxemburger Kirche Neuland.
In anderen Teilen der Weltkirche wird schon seit vielen Jahrzehnten die Seelsorge in priesterlosen Gemeinden vom Bischof beauftragten Laien verantwortlich übertragen. Sie taufen, beerdigen, assistieren der Ehe, dienen vor allem aber den Gläubigen als feste Ansprechpartner. Allerdings sind dies oft Gemeinden, die nicht Pfarreien im kirchenrechtlichen Sinn sind. Diese bischöflich ausgebildeten und beauftragten Gläubigen hat es zum Beispiel in Nordindien schon lange vor der Inkraftsetzung des Kirchengesetzbuches von 1983 mit seinem c. 517 § 2 CIC gegeben, der die Übertragung der Pfarrseelsorge an Diakone oder Laien vorsieht.
Durch die territoriale Vergrößerung der Pfarreien kommen auf den leitenden Priester immer komplexere Aufgaben zu, und nicht jeder Priester ist dieser größeren Verantwortung gewachsen. Auch der „Priesterimport“ – nach vielen Jahren nicht immer positiver Erfahrungen – ist hierfür keine Lösung.
Wichtigstes Anliegen der Kirchenleitung in Luxemburg war und ist es, den Gläubigen eine präsente Kirche mit einem festen Ansprechpartner zu bieten. Kirchenrechtlich bleibt der Pfarrer-Moderator der Leiter der Pfarrei. Im Atertdall ist dies der derzeitige Dechant des Dekanats Zentrum. Sämtliche an die Weihe gebundenen sakramentalen Handlungen obliegen dem leitenden Priester. Er bleibt auch letztverantwortlich gegenüber dem Bischof.
Möglichkeitsräume schaffen
Die Pfarrei Atertdall Sainte-Claire umfasst acht Zivilgemeinden und etwa 14.000 Einwohner. 33 Kirchen und größere Kapellen liegen auf dem Territorium der Pfarrei. Ich hatte das Glück, dass mein „Vorgänger“ bereits sehr gute Vorarbeit geleistet hatte, was die Ordnung der Kirchenangelegenheiten anging. Er war leider nur ein Jahr im Amt, was für die Pfarrei nicht sehr einfach war, da Wechsel immer auch Unsicherheiten mit sich bringen.
Im Atertdall fand ich einige wichtige Elemente für einen Neustart unter besonderen Bedingungen vor:
- Das Sekretariat und die Katechese waren mit kompetenten Mitarbeitenden besetzt, die nicht unbedingt einen „Chef“ brauchten, um effizient zu arbeiten.
- Der Verwaltungsrat der Pfarrei (Conseil de Gestion Paroissial) war – wie ich später erfuhr – exzellent besetzt.
- In der Pfarrei kümmert sich eine „Equipe des funérailles“ (sechs engagierte ChristInnen) um Trauergespräche und die Ausrichtung von Bestattungszeremonien. Diese „Equipe“ verrichtet ihren Dienst an sieben Tagen in der Woche das ganze Jahr über und ist mit etwa 80 Begräbnissen pro Jahr gut ausgelastet. Ein Pfarrer aus der Pfarrei Mersch wurde vom Bischof beauftragt, im Bedarfsfall im Atertdall tätig zu werden.
- Als Priester üben zwei Geistliche ihr Amt in der Pfarrei aus: schon viele Jahre ein Pater, der in Arlon wohnt, und seit Herbst 2018 ein französischer Geistlicher, der für drei Jahre am Wochenende die Gottesdienste betreut. Der Umstand, dass es keinen permanent residierenden Priester gibt, war anfangs für viele stark gewöhnungsbedürftig.
- Etwa 170 engagierte ChristInnen, die in unterschiedlicher Weise in der Pfarrei tätig sind (als KüsterInnen, KatechetInnen, Mitglieder eines kommunalen Kirchenrates oder des Conseil de Gestion Paroissial, Equipe des funérailles, Kirchenchöre, aktive Mitglieder in christlichen Vereinen…), machen eine pastorale Arbeit erst möglich.
- Die Pfarrei umfasst acht Zivilgemeinden: Man hat also besonders in Fragen der Gebäude- und Liegenschaftsverwaltung mit acht Gemeinderäten, acht Budgets und acht kommunalen Kirchenräten zu tun. Auch die Segnung der 27 Friedhöfe zu Allerheiligen wird zu einer ganz besonderen Herausforderung. Dass auch hierbei die engagierten ChristInnen eine tragende Rolle spielen, gehört mittlerweile zur Normalität.
Die größte Herausforderung besteht darin, die Kontakte mit den vielen Beteiligten zu knüpfen und zu unterhalten. Viele Treffen und Versammlungen finden in den Abendstunden statt und werden reihum von den Mitgliedern des Pastoralteams wahrgenommen. Wurde anfangs noch für jede lokale Initiative ein „Go“ aus dem Pfarrbüro erbeten, so liegt der Schwerpunkt mittlerweile auf der gegenseitigen Absprache und Kommunikation.
Sicherlich hat das neue Modell der Pfarrbetreuung die Kirche vor Ort verändert. Die bei uns aktiven Priester können sich vermehrt auf den priesterlichen Dienst konzentrieren und haben mit Verwaltung eher weniger zu tun. Engagierte ChristInnen erleben sich eher als MitgestalterInnen kirchlichen Lebens. Die Begräbniskultur hat sich dahingehend verändert, dass sie mehr zur Angelegenheit der Kirchengemeinde wurde. Initiativen werden vermehrt von den lokalen Gruppen in die Hand genommen. Natürlich brauchen manche Entscheidungen länger Zeit, da mehr konsultiert wird, etwa bei der Entscheidung, für welche Kirchen mit den Zivilgemeinden eine Konvention abgeschlossen wird. Diese größere Mitverantwortung führt allerdings auch zu nuancierteren Entscheidungen und weicht das Kirchturmdenken auf.
Fazit
Die Beauftragung von Laien mit der Pfarrleitung kann keine nachhaltige Lösung sein, denn die Gefahr eines neuen Klerikalismus ist in diesem Kontext nicht von der Hand zu weisen. Die Erfahrung, dass sich die Verantwortung für so vieles, was die Pfarrei und die Pastoral ausmacht, auf viele Schultern verteilen lässt – wenn der Wille dazu da ist –, ist für mich besonders wichtig. Letztlich wird die Pfarrei sich gut weiterentwickeln können, wenn sie weiterhin am Dialog und an ihrer Kommunikation nach innen aber vor allem nach außen arbeitet, sich als Teil der Gesellschaft sieht und zu den Fragen, die gesellschaftsrelevant sind, einen eigenen Beitrag leistet.
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