- Gesellschaft
Eine Nation mit Migrationshintergrund
FAKTUELL
Vor kurzem ist ein fulminantes Werk von Paul Zahlen unter dem Titel Nombres et pénombres, les défis de la statistique au Luxembourg erschienen.1 Es ist die umfassendste methodologische Auseinandersetzung mit der amtlichen Statistik im Allgemeinen und deren spezifischen Problemen in einem kleinen Gemeinwesen, die je in Luxemburg publiziert wurde. Darüber hinaus werden die Herausforderungen für eine faktenbasierte Diskussion im Zeitalter der „Post truth“-Politik und der Aufsplitterung der Öffentlichkeit in durch algorithmengesteuerte Rückkopplung geschaffene Facebook-Glaubensgemeinschaften diskutiert. Den an die Medien gerichteten Vorwurf des „cherry picking“, des selektiven Heraussuchens von Daten, die die Meinung des potentiellen Lektorats bestätigen, muss auch diese Kolumne ernst nehmen.
Statistische Kategorien sind gesellschaftliche Konstrukte, wie Paul Zahlen unter anderem am Beispiel des Migrationshintergrundes zeigt. So wurde erst 1871, als die Nationalstaaten sich zu festigen begannen, erstmals bei uns nach der „nationalité“ gefragt. Heute ist Luxemburg ein buntes Einwanderungsland mit einem komplizierten Staatsbürgerrecht und die statistische Erfassung seiner pluralen Bevölkerung ist nicht so einfach, wie es sich die mit zwei Kategorien („Wir“ und die „Anderen“) – auskommenden Stammtischbrüder vorstellen.
Zum Beschreiben des Migrationshintergrundes der Bevölkerung wird zunächst, wie P. Zahlen erklärt, eine Vereinfachung eingeführt. Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit werden als Luxemburger gezählt, selbst wenn sie eine andere Staatsbürgerschaft von Geburt an besaßen. Mit dieser Definition beträgt der Ausländeranteil heute 47,7% (1. Januar 2017). Doch die Einwohner mit Migrationshintergrund bilden längst die Mehrheit im Lande. Auf Grund der letzten Volkszählung konnte das STATEC für das Jahr 2011 feststellen: „61.2% de la population du Grand-Duché ont un «background» migratoire.“2
Diese Zahl basiert auf einer, das erste Mal in der Volkszählung 2011 vorgestellten Definition des Migrationshintergrunds und berücksichtigt nicht nur die Staatsangehörigkeit, sondern auch den Geburtsort der Befragten, sowie den Geburtsort ihrer Eltern. Tabelle 1 zeigt diese Details für die Luxemburger Staatsbürger.
Im Allgemeinen ist es üblich, diese sechs Kategorien in drei Gruppen zusammenzufassen. Die Migranten, im eigentlichen Sinne des Wortes, die selber eingewandert sind (2011: 9,8% der Luxemburger); die im Land geborenen Kinder der Migranten, die auch manchmal etwas missverständlich Migranten der zweiten Generation genannt werden (24,4%, also praktisch ein Viertel der Staatsangehörigen) und die Luxemburger ohne Migrationshintergrund, die 65,9% ausmachen.
Leider kann diese Zahl nicht aktualisiert werden, da der Geburtsort und der Geburtsort der Eltern nur alle zehn Jahre in der Volkszählung erhoben werden. Die Definition erfasst auch nicht die vielen Luxemburger mit eingewanderten Großeltern, nach denen im Rahmen einer Volkszählung kaum gefragt werden kann. 1997 war dieser Punkt allerdings in einer repräsentativen Umfrage untersucht worden. Demnach hätten damals 45% der Luxemburger mindestens einen nicht im Großherzogtum geborenen Großelternteil gehabt. In der Minette-Region waren es sogar 55%.3 Unter Einbeziehung dieser „dritten Migrationsgeneration“ sind die Luxemburger mit ausländischen Wurzeln sicher mittlerweile in der Mehrheit.
1 Paul Zahlen, Nombres et pénombres, les défis de la statistique au Luxembourg, in : Institut Grand-Ducal, Actes de la Section des Sciences Morales et Politiques, (XX) 2017, p. 67-190.
2 François Peltier et Germaine Thill, L’arrière-plan migratoire de la population du Grand-Duché de Luxembourg, in: Premiers résul- tats (12) 2013, http://www.statistiques.public.lu/en/publications/ series/rp2011/2013/12-13-arriereplan-migratoire/index.html.
3 Fernand Fehlen et Isabelle Piroth, Trajectoires migratoires et mobilité sociale, in : Recherche Etude Documentation (Hors série 1)
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