Faktuell 40

Orientierungsbenachteiligung

Unter dem Motto „Bereit für die Zukunft?“ stellt der dritte Bildungsbericht der Universität Luxemburg die Digitalisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in den Fokus. Die insgesamt 70 Autorinnen und Autoren haben neben diesen beiden Schwerpunktthemen viele informative statistische Studien zusammengetragen, von denen einige die längst bekannten Ergebnisse der Bildungsforschung zum Thema Chancengleichheit bestätigen und vertiefen. Zum Beispiel: Das luxemburgische Bildungssystem werde der „sozialen Diversität des Landes nicht gerecht“. Die Chancen der „Schülerinnen und Schüler, die zu Hause weder Luxemburgisch noch Deutsch sprechen und aus sozial benachteiligten Familien kommen“, haben sich sogar verschlechtert. Noch immer seien sie nicht genügend auf den „Schriftspracherwerb in der Fremdsprache Deutsch“ vorbereitet. Das Sitzenbleiben tauge nicht als Allheil-mittel gegen Bildungslücken. 

Das Thema der Ungleichheiten wurde in der Pressekonferenz – glaubt man der Berichterstattung des Luxemburger Wort – „in knapp drei Minuten abgehandelt“. Während die Bildungsforschung zu immer neuen Höhenflügen anhebt, verharrt das Bildungssystem in den Niederungen der strukturellen Trägheit. Dazwischen agiert der Minister als uneingestandener Systemsprenger, der mit seinen sogenannten „internationalen Schulen“ das sprachliche Bildungsideal des traditionellen Curriculums unterläuft. Leider erfährt man außer den stetig steigenden Schülerzahlen kaum etwas über diese neuen Schulen. Für eine statistische Auswertung ihres Lernerfolges wird auf die nahe Zukunft oder die nächste PISA-Erhebung 2024 vertröstet. In der Zwischenzeit sei ein bemerkenswerter Land-Artikel empfohlen. Bernard Thomas hat sich nach Differdingen in die erste dieser neuartigen Schulen begeben und mit Lehrenden und Lernenden gesprochen.

Aus den Kapiteln des Bildungsberichts über die Ungleichheit sei eines exem­plarisch ausgewählt. Andreas Hadjar und Susanne Backes untersuchen die Mechanismen beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarschule. Diese Orientierung beruht einerseits auf den Leistungen, andererseits auf den Empfehlungen der Lehrpersonen und den Entscheidungen der Eltern. Im Schuljahr 2019/20 wurden 72 % der sozialbegünstigten Jugendlichen ins klassische Gymnasium orientiert; bei den sozialbenachteiligten waren es nur 16 % (Balken). Würde nur die Leistung berücksichtigt (Dreiecke), wären es 51 % der begünstigten und 36 % der benachteiligten Jugendlichen. Das Kapitel führt diese Diskrepanz auf „elterliche Kosten-Nutzen-Wahrnehmungen und stereotype Evaluationen durch LehrerInnen“ zurück und zeigt, dass die Reform dieser Orientierungsprozedur im Jahre 2017, die den Eltern eine stärkere Mitsprache gab, keinen Einfluss hatte.

  1. https://bildungsbericht.lu (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 14. Februar 2022 aufgerufen).
  2. https://tinyurl.com/BildungsberichtWort
  3. https://tinyurl.com/EIDLand sowie https://tinyurl.com/BulliSystem
  4. https://tinyurl.com/HadjarBackes

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