Zwischen Europäisierung und Renationalisierung der Freizügigkeit 

von Claudia Hartmann-Hirsch und Fofo Senyo Amétépé, Wiesbaden, Springer VS, 2021, 207 S., 50 € (aus dem Französischen: Libre circulation: ouverture ou restriction ?, Paris, L’Harmattan, 2021, 246 S., 26 €)

Claudia Hartmann-Hirsch und Senyo Fofo Amétépé haben in den letzten Jahren zusammen am LISER (Luxembourg Institute of Socio-Economic Research) zu verschiedenen migrationsbezogenen Themen geforscht; insbesondere zur strukturellen Veränderung der portugiesischen Migration nach der Finanz- und Bankenkrise ab 2007. Ein soeben zeitgleich auf Französisch und in deutscher Übersetzung in zwei renommierten Wissenschaftsverlagen erschienenes Buch macht ihre Arbeiten einem breiteren Publikum zugänglich.

Nach einer kurzen Vorstellung von neueren Ansätzen einer transnationalen Migrationsforschung jenseits des „methodologischen Nationalismus“ folgen u. a. eine statistische Untersuchung der rezenten portugiesischen Immigration und eine Darstellung der diese motivierenden Push-Pull-Faktoren. Dabei werden die Sprachensituation und das in Luxemburg hohe Armutsrisiko als gegen Luxemburg als Zielland sprechende Faktoren ausgemacht. Nach der Finanz- und Bankenkrise kamen höher qualifizierte Migrierende, die mit anderen Problemen konfrontiert waren als ihre weniger qualifizierten Landsleute. Zum Beispiel: Wie können sie ihr nationales kulturelles Kapital im Rahmen der doch sehr spezifischen luxemburgischen Mehrsprachigkeit valorisieren? Da dies nur bedingt möglich ist, sind viele von ihnen, insbesondere Frauen, unter ihrer Qualifikation beschäftigt. 

In weiteren Kapiteln finden sich Interviews mit zahlreichen institutionellen Schlüsselakteuren und eine umfangreiche Auswertung von EuGH-Urteilen zur Freizügigkeit innerhalb der EU und dem Zugang zu Sozialleistungen, z. B. bei Erwerbslosigkeit: ein Problem, das angesichts der zunehmenden Zahl an Neueinwandernden mit prekären Verträgen an Bedeutung gewinnt. Die Tatsache, dass angesichts der EU-weiten Diskussion um „Sozialdumping“ und „nationale Präferenz“ der EuGH zunehmend zu Ungunsten der Migranten urteilt und selbst gegen die Position der EU-Kommission eine Renationalisierung und Einschränkung der Freizügigkeit betreibt, lässt Hartmann und Amétépé auf die im französischen Titel gestellte Frage Ouverture ou restriction ? mit Bedauern eine Tendenz zu letzterem feststellen.

ff

D’Sandmeedchen 

von Yorick Schmit und Dirk Kesseler, Luxemburg, Rotondes ASBL / Krémart Edition, 2021, 32 S., 24,90 € 

Als erstes AR-Kinderbuch Luxemburgs angepriesen, präsentiert sich D’Sandmeedchen in einem modernen Kontext: AR steht für augmented reality, d. h., dass man das Buch nicht nur auf gewöhnliche Art und Weise, sondern ebenfalls mit Hilfe einer App lesen und entdecken kann. Diese sorgt dafür, dass die Illustrationen „zum Leben erwachen“. Die Idee, das Kinderbuch multimedial aufzubereiten, ist zwar zeitgemäß, aber nicht unbedingt eine Stärke: Die Umsetzung ist – wie es bei AR oft der Fall ist – leider eine eher wackelige Angelegenheit.

Das Werk von Yorick Schmit (Text) und Dirk Kesseler (Illustrationen) bedient sich eines uralten Märchenstoffes und lässt die Sagengestalt des Sandmannes zur Hauptfigur werden. Wie viele Autor*innen vor ihnen wandeln sie diese nach ihren Vorstellungen ab. So geht der Sandmann hier in Rente und überlässt seiner Tochter das Ruder. Diese wird von ihrer Cousine, der Nacht, bestohlen und begibt sich auf eine atemberaubende Aventiure durch den Äther. Auf der Suche nach der entwendeten Sand­tasche begegnet das Sandmädchen vielen fantasievollen Figuren, die den Himmel ihr Zuhause nennen: dem Wolkenhirten, dem Mann im Mond und dem (für Kinder vielleicht etwas furchteinflößenden) kleinen Bären. 

Die Illustrationen von Kesseler sind in einem modernen Stil gehalten, jedoch mit sehr viel Herz gezeichnet – eine eher seltene Kombination. Hinzu gesellt sich die Geschichte von Schmit. Aus dieser gelungenen Zusammenarbeit entsteht eine kosmische Reise mit traumhaftem, gar philosophischem Unterton. 

Zeitgenössische Einflüsse aus der Popkultur lassen sich sowohl bei Bild wie Text erahnen. So erinnert der Sandmann mit seinem Hawaiihemd an Muten Roshi aus der Manga- und Anime-Serie Dragon Ball, während seine Tochter ähnlich wie Son Goku auf einer Wolke reitet. Zudem könnte Neil Gaimans Comic-Serie Sandman eine Rolle beim Entstehen von D’Sandmeedchen gespielt haben. Aus diesen möglichen Inspirationsquellen hat sich eines der schönsten und authentischsten Kinderbücher entwickelt, das der hiesige Buchmarkt derzeit zu bieten hat – 100 Prozent „made in Luxembourg“ und zur Abwechslung keine bloße Übersetzung eines internationalen Bestsellers.

FS

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