WEE 2050 ist eine Facebook-Community mit 8.745 Abonnent*innen; einer ihrer Mitbegründer ist heute Abgeordneter, ein anderer im Vorstand der Actioun Lëtzebuergesch. Regelmäßig postet WEE 2050 mit großer Resonanz das hier abgebildete Meme1 als Widerspruch zu den optimistischen Meinungen zur Verbreitung der luxemburgischen Sprache, wie sie z. B. aus Anlass des von der UNESCO ausgerufenen Internationalen Tags der Muttersprache zu hören sind. Die Verantwortlichen des WEE 2050 werden sicher über den Titel, unter dem ihre Grafik hier besprochen wird, empört sein und darauf hinweisen, dass in dieser Ausländer*innen überhaupt nicht vorkommen und dass jeder einzelne Punkt durch Quellenangaben belegt sei. Die Grafik gibt vor, den Anteil der Bevölkerung abzubilden, der „Luxemburgisch redet“, und zu belegen, dass Luxemburgisch langfristig verschwinden wird. Die Dramatik dieser These wird dadurch verstärkt, dass die vertikale Achse nicht bei null sondern bei fünfzig Prozent beginnt.
Bei genauem Hinsehen wird man aber feststellen, dass die meisten Punkte nicht den Sprachgebrauch, sondern den Ausländeranteil darstellen. Andere aus der Literatur übernommene Zahlen werden, wie am Punkt für das Jahr 1846 gezeigt werden soll, überinterpretiert und verallgemeinert oder gar anachronistisch ausgelegt.
Der Punkt für 2011 stammt aus der ersten Volkszählung, in der Fragen über den Sprachgebrauch erhoben wurden. Diese wird dieses Jahr wiederholt werden, und man darf schon jetzt gespannt darauf sein, neue und detaillierte Informationen zum Gebrauch der verschiedenen Sprachen zu erfahren. Anders als im Großherzogtum wurde in Belgien schon 1846 in der ersten Volkszählung nach dem Sprachgebrauch gefragt. In der kleinen belgische Grenzgemeinde Attert gaben 99 % der 2.505 Einwohner*innen an, Deutsch zu sprechen, nur 1 % nannte als Sprache Französisch. Diese Zahl wurde stellvertretend für ganz Luxemburg in die Grafik eingetragen. Hier soll nicht darüber gestritten werden, ob man dieses punktuelle Ergebnis auf das ganze Großherzogtum verallgemeinern darf. Der eigentliche Denkfehler ist ein anderer: Damals gab es die luxemburgische Sprache noch nicht. Und diese wird auch nicht in der zitierten Volkszählung erwähnt. Der korrekte Wert lautet also: Luxemburgisch NULL Prozent.
1848 wurde in der ersten Verfassung des Großherzogtums die Gleichberechtigung zwischen Deutsch und Französisch festgeschrieben, und diese offizielle Zweisprachigkeit hatte genau hundert Jahre Gesetzeskraft. Dann wurde von 1948 bis zum Sprachengesetz von 1984 gestritten, ob Luxemburgisch überhaupt eine Sprache sei, bis es schließlich zur Nationalsprache erhoben und eine funktionale Arbeitsteilung zwischen den drei Landessprachen offiziell festgeschrieben wurde. Heute bekommt Englisch eine immer grösser Bedeutung, sodass schon in regierungsoffiziellen Texten von „les quatre langues usuelles du pays, à savoir luxembourgeois, français, allemand et anglais“ gesprochen wird.2 Man beachte die vom Gesetzestext von 1984 abweichende Reihenfolge, in dem Luxemburgisch noch an dritter Stelle stand. Optimist*innen werden das als eine Aufwertung empfinden.
„Das öffentliche Reden über Sprache ist nicht einfach nur ein Reden über Sprache“, sondern werde von der Neuen Rechten als „trojanischen Pferd“ benutzt, um ihre nicht ganz so salonfähigen Themen „in die Mitte der Gesellschaft“ hineinzuführen. So zu lesen in einem soeben erschienen Buch mit dem Titel: Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die Sprache instrumentalisiert.3
Die Grafik des sich selbst als die Mitte der Gesellschaft bezeichnenden WEE 2050 stellt denn auch hauptsächlich den Ausländeranteil in verschiedenen Volkszählungen dar. Die spektakuläre Zunahme des Gebrauchs des Luxemburgischen zwischen 1900 und 1947 erklärt sich im Wesentlichen aus dem Rückgang des Ausländeranteils auf Grund der Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren. Die Vertreibung und Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg lässt den Ausländeranteil weiter fallen und wird von der Grafik als Zunahme des Luxemburgischen in der Öffentlichkeit dargestellt. ff
https://tinyurl.com/WEE2050batter (letzter Aufruf: 8. März 2021).
https://tinyurl.com/gouv4lang (letzter Aufruf: 8. März 2021).
Henning Lobin, Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die Sprache instrumentalisiert, Berlin, Duden, 2021.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
