- Gesellschaft
Demographische und sprachliche Diversität
Faktuell 50
Das STATEC ist dabei, die Ergebnisse der Volkszählung von 2021 in thematischen Schwerpunktheften zu veröffentlichen, von denen hier zwei sich gegenseitig ergänzende Hefte zum Migrationshintergrund1 und zur Sprachenlandschaft2 vorgestellt werden sollen. Sie ermöglichen es, den Wandel unserer Gesellschaft in einer Detailtiefe zu beschreiben, wie sie nur alle zehn Jahre zur Verfügung steht.
Seit der Volkszählung 2011 ist die Bevölkerung fast ausschließlich durch Zuwanderung um 25,7 % von 512.353 auf 643.941 Einwohner gewachsen. Es verwundert daher nicht, dass fast die Hälfte der Wohnbevölkerung (49,3 %) im Ausland geboren wurde, also im engeren Sinne zugewandert ist. Zählt man die Personen mit einem oder zwei im Ausland geborenen Elternteilen hinzu, so haben 73,6 % der Einwohner einen Migrationshintergrund im Sinne der Statistik. In der STATEC-Analyse wird dieser Migrationshintergrund weiter aufgeschlüsselt, wie Abbildung 1 zeigt.
Abb. 1: Zusammensetzung der Wohnbevölkerung nach Migrationsstatus und deren Entwicklung 2011-2021

Quelle: STATEC
Den Kern der Bevölkerung bilden nach dieser Einteilung die sogenannten «2G Natives», die über mindestens einen in Luxemburg geborenen Elternteil verfügen. Ihre Anzahl ist mit rund 240.000 Einwohnern in absoluten Zahlen stabil geblieben. Ihr Anteil hat aber um 9 Prozentpunkte abgenommen. In der Beschriftung der Grafik sind sie vereinfachend als „Luxembourgeois de 2è génération“ bzw. „Second generation Luxembourgers“ bezeichnet. 99 % dieser Kernbevölkerung besitzen die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Am anderen Ende der Skala (oben in der Grafik) befinden sich diejenigen, die in den letzten 10 Jahren zugewandert sind. Ihre Zahl ist von 70.000 auf 160.000 gestiegen, ein Anstieg um 11 Prozentpunkte.
Abbildung 2 beschreibt nur die Wohnbevölkerung mit luxemburgischer Staatsbürgerschaft, d.h. die Wahlberechtigten. Unter diesen Personen mit luxemburgischem Pass haben die Zuwanderer der ersten und zweiten Generation inzwischen die Mehrheit übernommen. Auch wenn diese Schwelle im Jahr 2021 mit 50,2 % nur knapp überschritten wird, hat sich der Trend bis heute sicherlich verstärkt.
Abb. 2: Zusammensetzung der Luxemburger Staatsangehörigen nach Migrationsstatus und deren Entwicklung 2011-2021

Quelle: STATEC, Grafik: forum
Die STATEC-Publikation zum Migrationshintergrund sowie eine weitere zur Staatsbürgerschaft3 haben in der Öffentlichkeit wenig Aufsehen erregt. Anders die Publikation zur Sprachenlandschaft, obschon sie eigentlich nur den hier kurz skizzierten demografischen Wandel widerspiegelt. Selbst in großen Ländern ist die Beherrschung der Landessprache bei Zuwanderern keine Selbstverständlichkeit. Das gilt auch für das kleine Luxemburg mit seinen drei Landessprachen, und die Zahl der Zuwanderer, die von Haus aus eine andere Sprache sprechen – in der Demolinguistik Allophone oder Nichtlandessprachler genannt – nimmt ständig zu. Zuwanderer lernen die Landessprache in der Regel im Laufe der Zeit, es sei denn, sie sprechen eine Weltsprache und sind in ihrem neuen Alltag weder beruflich noch privat darauf angewiesen. In Luxemburg stehen sie jedoch vor einer größeren Schwierigkeit, da sie mit drei Sprachen konfrontiert sind, die in der Gesellschaft unterschiedliche Funktionen erfüllen. Dies stellt eine große Herausforderung für die luxemburgische Sprachenpolitik dar, der sie sich in den letzten Jahren, wenn auch zögerlich, gestellt hat.
Die Erhebung des Sprachgebrauchs durch das STATEC im Rahmen der Volkszählung ist Voraussetzung für eine faktengestützte Sprachen- und Bildungspolitik und symbolisiert gleichzeitig die Abkehr von der lange Zeit üblichen Vogel-Strauß-Politik, die die Mehrsprachigkeit Luxemburgs feierte, ohne ihre Schattenseiten zu sehen.
Die Volkszählung benutzt als Indikator für die sprachliche Zusammensetzung der Bevölkerung den Begriff der Hauptsprache. Dies ist die Antwort auf die Frage „In welcher Sprache denken Sie und welche beherrschen Sie am besten?“. Nur eine Antwort durfte genannt werden. Angesichts der massiven Zuwanderung erstaunt es nicht, dass rein statistisch der Anteil von Luxemburgisch als Hauptsprache zurückgegangen ist (48,9 %). Trotz des Rückgangs von 7 Prozentpunkten liegt es noch immer weit vor Portugiesisch (15,4 %) und Französisch (14,9 %), das 3 Prozentpunkte zulegt (Abbildung 3). Diese Prozentwerte sind aber vermutlich zu hoch, da es bei der Frage viele Enthaltungen, besonders unter Menschen mit Migrationsgeschichte, gab.
Das Hauptproblem mit diesem Indikator besteht darin, dass nur eine Antwort zugelassen war, obwohl bekannt ist, dass die Zahl der Jugendlichen und Kinder mit mehr als einer Familiensprache sehr groß ist. So kommt etwa eine Erhebung des Service national de la jeunesse (SNJ) zum Ergebnis, dass zwei Drittel von den ca. 10.000 in der allerdings nicht repräsentativen Stichprobe erfassten Kindern in mehrsprachigen Haushalten leben.4
Die Zahl der Allophonen ist von 29,1 % auf 33,4 % innerhalb der Gesamtbevölkerung gestiegen. Unter den Eingewanderten sind es mittlerweile 66 %. Die Migrationswellen der letzten Zeit haben neue Sprachen mit sich gebracht: z.B. Arabisch, Tigrigna aus dem Horn von Afrika, Ukrainisch, Pular, das vor allem in Guinea, Guinea-Bissau und Mali gesprochen wird usw. Die aus Ex-Jugoslawien Geflüchteten, ihre Nachkommen und sicher auch rezentere Zuwanderer bilden mittlerweile die 7. Sprachgemeinschaft.
Abb. 3: Bevölkerung nach Hauptsprache, 2021 und 2011

Quelle: STATEC
Der Haupterkenntnis, dass die Wohnbevölkerung sprachlich diverser wird, steht gegenüber, dass zumindest in der Vergangenheit ein Teil der Zuwanderer Luxemburgisch gelernt hat, wie aus Abbildung 4 für die Personen mit bekanntem Einwanderungsjahr hervorgeht. Die Höhe der Balken gibt die Anzahl der Zuwanderer nach Aufenthaltsdauer an. Die im Laufe des Jahres 2021 Eingewanderten befinden sich auf der linken Seite, weil ihre Aufenthaltsdauer null beträgt. Die blaue Linie zeigt, dass der regelmäßige Gebrauch des Luxemburgischen (das war die zweite Frage) mit der Aufenthaltsdauer zunimmt. Sie zeigt aber auch, dass man in Luxemburg leben kann, ohne die luxemburgische Sprache üblicherweise zu verwenden; was nicht heißt, dass man die Sprache nicht gelegentlich benutzt, denn danach wurde nicht gefragt. Die Grafik enthält aber auch eine weitere positive Botschaft: Mit der Aufenthaltsdauer nimmt der Anteil derer, die sogar Luxemburgisch als Hauptsprache (gelbe Linie) bezeichnen, zu.
Abb. 4: Luxemburgisch als Hauptsprache und Umgangssprache der Zugewanderten nach Aufenthaltsdauer

Quelle: STATEC
Eine Aufschlüsselung der Sprachenkenntnisse nach Migrationshintergrund zeigt z.B., dass der Anteil des Luxemburgischen als Hauptsprache bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den letzten zehn Jahren nicht abgenommen hat, was die Autoren als integrations- und bildungspolitischen Erfolg werten.
ff
- https://statistiques.public.lu/en/recensement/arriere-plan-migratoire.html (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 13. Dezember 2023 aufgerufen).
- https://statistiques.public.lu/en/recensement/diversite-linguistique.html
- https://statistiques.public.lu/en/recensement/nationalites.html
- http://tinyurl.com/snjlingu
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
